Veröffentlicht: 17.11.11
Science

Vom Hirngespinst zur Materie

Hansjörg Grützmacher, Professor für anorganische Chemie der ETH Zürich, wollte einst Künstler werden. Als Chemiker sieht er nun eine gewisse Geistesverwandtschaft, mit der Ideen umgesetzt werden können.

Interview: Peter Rüegg
Hansjörg Grützmacher, Professor für anorganische Chemie der ETH Zürich. (Bild: zVg HJ Grützmacher / ETH Zürich)
Hansjörg Grützmacher, Professor für anorganische Chemie der ETH Zürich. (Bild: zVg HJ Grützmacher / ETH Zürich) (Grossbild)

Was halten Sie für die grösste Errungenschaft oder wichtigste Entdeckung der Chemie?
Jede Entdeckung hat zu ihrer Zeit ihren Wert – er wird allerdings nicht notwendigerweise erkannt. Die grösste Errungenschaft derjenigen, die sich mit Chemie beschäftigen, also von Chemikern, ist es, dass ihnen die Wandlung von einer Geheimwissenschaft zu einer Naturwissenschaft von zentraler Bedeutung gelungen ist.

Womit befassen Sie sich in Ihrer Forschung und was wird davon im Alltag spürbar oder nutzbar?
Wir beschäftigen uns mit der Erforschung von effizienten Synthesemethoden von Spezialchemikalien. Ein Meilenstein ist hier sicherlich die an der ETH stark verbesserte Synthese eines Photoinitiators, der nun bei der BASF Schweiz (vormals CIBA) nach diesem Verfahren produziert wird. Dieser Initiator wird in vielen Beschichtungsverfahren, wie bei Autolacken, CDs oder DVDs und auch im medizinischen Bereich, etwa bei der Härtung von Zahnkunststofffüllungen, angewandt.

Was hat Sie an Chemie fasziniert? Warum wollten Sie Chemiker werden?
Das Umsetzen von Ideen, also «Hirngespinsten» in Materie, die «Produkte». In vergleichbarer Form gelingt das sonst nur Künstlern – und das war mein ursprünglicher Studienwunsch.

Welche Forschungsgebiete der Chemie werden in Zukunft besonders wichtig und weshalb?
Die grösste Herausforderung wird es sein, verlässliche und effiziente energieliefernde, -speichernde und -verbrauchende Systeme zu finden. Der Mensch hat immer um Ressourcen Kriege geführt. Wenn also hier kein Durchbruch erzielt wird, sind völkerübergreifende Konflikte vorprogrammiert. Das ist zwar auch eine Art, sparsamer mit unseren Rohstoffen umzugehen, kann aber nicht die gewünschte sein. Und das weltweite Bildungsniveau ist zu niedrig, um mit dieser Bedrohung friedlich umzugehen.

Welchen Begriff aus der Chemie sollten am Ende des Internationalen Jahrs der Chemie alle kennen und warum?
Atom, Molekül, Materie. Das Verständnis des einen bedingt das Verständnis des anderen. Und es wäre gut, wenn verstanden und eingesehen würde, dass es zu jedem dieser Begriffe noch ungeahntes Neues zu entdecken gibt. Wissenschaft ist dynamisch und braucht breite öffentliche Akzeptanz und Unterstützung.

Zur Person

Der 52jährige Hansjörg Grützmacher ist seit 2001 ordentlicher Professor und zur Zeit Leiter des Laboratoriums für anorganische Chemie der ETH Zürich. Sein Forschungsinteresse gilt unter anderem der organometallischen Chemie sowie der Hauptgruppenelemente-Chemie mit Fokus auf neuartige Bindungssysteme.