Veröffentlicht: 21.10.11
Campus

Das Haus als nachhaltige Maschine

Heute ist Bauen noch verantwortlich für mehr als 30 Prozent der CO2-Emissionen weltweit. Das könnte ganz anders sein. Am Lokaltermin des ETH-Präsidenten stellte die ETH Zürich die strategische Initiative Nachhaltiges Bauen vor und diskutierte mögliche Rezepte mit Fachleuten aus der Industrie.

Martina Märki
Am Lokaltermin zu bewundern: Versuchsaufbau zur Analyse des Tragverhaltens komplexer Gewölbestrukturen. Digitale Formfindungsverfahren wie dieses eröffnen neue Wege im Entwurf. (Bild: Tom Kawara)
Am Lokaltermin zu bewundern: Versuchsaufbau zur Analyse des Tragverhaltens komplexer Gewölbestrukturen. Digitale Formfindungsverfahren wie dieses eröffnen neue Wege im Entwurf. (Bild: Tom Kawara) (Grossbild)

Die Hightech-Kulisse des ETH-Campus Hönggerberg kontrastiert aufs Schönste mit buntem Markttreiben vor dem Institutsgebäude der Architekten und Bauingenieure. Marktfahrer bieten Biologisches und Nachhaltiges aus lokalem Anbau an. Kein Gegensatz hätte das Thema des Lokaltermins besser illustrieren können. In der Bauhalle auf dem Hönggerberg trafen sich interessierte Industrievertreter, Partner und potenzielle Förderer der ETH Zürich auf Einladung des ETH Präsidenten und der ETH Zürich Foundation mit Baufachleuten der ETH Zürich, um über nachhaltiges Bauen zu diskutieren. Der Tenor: Bio beziehungsweise Nachhaltigkeit und Hightech gehören zusammen.

Im Bauen liegt noch viel Potenzial für Nachhaltigkeit, führte ETH Präsident Ralph Eichler aus. Deshalb ist nachhaltiges Bauen eines der strategischen Schwerpunktthemen für die ETH Zürich, das sie mit Förderung von Industrie, Stiftungen und Privatpersonen rasch voranbringen will. Dazu dient die Initiative Nachhaltiges Bauen.  «Die ETH Zürich ist prädestiniert dafür, einen besonderen Beitrag zu leisten, weil hier wie an nur wenigen Orten sonst, Fachleute aus verschiedenen Disziplinen auf diesem Gebiet zusammenarbeiten», sagte Eichler. Diese interdisziplinäre Lehr- und Forschungstätigkeit will die ETH mit neuen Professuren und einem intensiven Dialog zwischen Hochschule und Industrie ausbauen. Sie hat die Initiative bereits erfolgreich gestartet. Von 6 geplanten neuen Professuren konnten bereits 3 durch die ETH Zürich sichergestellt werden: die Professur für Digitale Fabrikation, die Professur für Holz-Physik und eine Professur für Bautechnik. 4 weitere Professuren sind dank Zuwendungen von Partnern gesichert und schon berufen, beziehungsweise sollen im Laufe des Jahres 2012 besetzt werden. Neben der Professur für Nachhaltiges Bauen sind dies die Assistenzprofessur für Architektur und nachhaltige Gebäudetechologien von Arno Schlüter, eine Assistenzprofessur für Materialwissenschaft für nachhaltiges Bauen und die Professur für urbane Wassersysteme.

Technologien systematisch genutzt

Der thematische Bogen, den die neuen Professuren spannen, zeigt, wie umfassend nachhaltiges Bauen verstanden wird. «Es gibt nicht das Patentrezept, die eine Technologie oder das ideale Material für nachhaltiges Bauen. Es geht darum, viele verschiedene Komponenten in einem Gesamtsystem für die jeweilige Gebäudesituation intelligent und optimal zu kombinieren und in gute Architektur zu integrieren», erläuterte Arno Schlüter, Professor für Architektur und Nachhaltige Gebäudetechnologie am Departement Architektur der ETH. Intelligente Technologien spielen dabei eine besonders wichtige Rolle. Schlüter illustrierte das am Projekt einer modularen, adaptiven Fassade, an dem die ETH-Architekten gerade arbeiten. Deren einzelne Elemente organisieren sich selbst und richten sich automatisch optimal aus, je nach den vorgegebenen Zielen zur Energiegewinnung, Beschattung und Kühlung oder gewünschten Lichtverhältnissen im Gebäude. Voraussetzung dafür ist ein hochkomplexes Zusammenspiel von Sensoren und Informationstechnik. Im Idealfall ist es für den Endnutzer jedoch «so einfach bedienbar wie ein iPad», gab der CEO von Siemens Building Technologies Division, einem Förderer der Initiative, Johannes Milde, die Messlatte vor.

Lebenszyklen beachten

Doch nachhaltiges Bauen beginnt bereits viel früher: «Viele Baustellen sind heute noch uneffiziente Materialschlachten», kritisierte Marc Angélil, Professor für Architektur und Entwurf. Deshalb sei es ein besonderes Anliegen, bereits bei den Materialien und bei den Bauprozessen nachhaltig zu denken. «Materialien verwenden, die lokal verfügbar und recyclierbar sind und auf Qualität und Dauerhaftigkeit achten», empfahl Urs Mäder, Mitglied der Geschäftsleitung der Baustofffirma Sika AG, ebenfalls Förderer der Initiative Nachhaltiges Bauen. Dazu sind auch aussagekräftige Lebenszyklusberechnungen nötig, ergänzte Robert J. Flatt, Professor für Baustoffe am Departement Bau, Umwelt und Geomatik. Dann nämlich liesse sich nicht nur die Wahl der Baumaterialien besser treffen, sondern es könnte auch ökonomisch besser zugunsten nachhaltiger Bauweisen argumentiert werden. Eines der Hemmnisse, warum nachhaltiges Bauen noch nicht so weit in der Praxis umgesetzt wird, wie dies eigentlich bereits heute schon möglich wäre, liegt nämlich im zu kurzfristigen Denken der Bauherren, darin war sich die Diskussionsrunde an der Veranstaltung einig.

Wissen umsetzen

«Heute geht es nicht mehr um die Theorie, es geht ums Umsetzen und um die geeignete Ausbildung von Fachleuten für die Praxis», fasste ETH-Präsident Eichler zusammen. Er sprach damit den anwesenden Industrievertretern aus dem Herzen: Noch mehr industrienahe Forschung wünscht sich Sika-Vertreter Mäder und Milde von Siemens Building Technologies: «Wir brauchen dringend geeignete Fachleute, die sich für elaborierte Gebäudetechnik begeistern.» Die ETH Zürich und die ETH Zürich Foundation planen bereits Phase II der Initiative für Nachhaltiges Bauen: mit der Äufnung eines Projektfonds sollen Projekte und Talente im Bereich Nachhaltiges Bauen besonders gefördert werden.

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