Veröffentlicht: 04.10.11
Science

«…Frage vorerst offen, ob das arktische Ozonloch nur eine Ausnahme ist»

Vergangenen Winter hat sich erstmals über der Arktis ein Ozonloch gebildet, das fünf Mal so gross wie Deutschland war. Für ETH-Professor Thomas Peter ist die kürzlich publizierte Studie nicht überraschend. Doch sie wirft viele Fragen auf.

Simone Ulmer
Thomas Peter beeindruckt an der neusten Studie vor allem das ähnliche Muster im Ozonabbau der Antarktis und der Arktis. (Bild: ETH Zürich)
Thomas Peter beeindruckt an der neusten Studie vor allem das ähnliche Muster im Ozonabbau der Antarktis und der Arktis. (Bild: ETH Zürich)

Herr Peter, vor einem Jahr konnten wir uns noch darüber freuen, dass das Montrealer Protokoll von 1987 Wirkung zeigt. Eine Studie in Ihrer Gruppe hat gezeigt, dass das Ozon im globalen Mittelwert – und besonders in den nördlichen gemässigten Breiten – wieder ansteigt. Nun wurde im vergangenen Winter erstmals ein Ozonloch über der Arktis lokalisiert. Was ist passiert?
Wir hatten über der Arktis bisher starke Ozonverluste, aber nie ein Ozonloch. Dieses Ereignis hängt mit veränderten Temperaturstrukturen in der Atmosphäre zusammen. In der viel kälteren Antarktis gibt es in jedem Winter sogenannte polare Stratosphärenwolken, auf denen das Chlor – das die Menschen in die Atmosphäre einbrachten – bei Sonneneinstrahlung in eine aggressive Form überführt wird, die dann das Ozon zerstört. Das kann auch in der Arktis passieren, wenn dort im Winter die Stratosphäre hinreichend auskühlt. Normalerweise wird die Stratosphäre der Arktis aber nicht so kalt. Während die Luftmassen über dem isolierten Kontinent der Antarktis geschlossen sind, fliesst die arktische Luft über Bergketten und wird durch die Land-See-Unterschiede gestört. Die dadurch verursachten Störungen in den Luftbewegungen wandern nach oben in die Stratosphäre. Dies verhindert im Allgemeinen, dass die Polarwirbel im Norden so stabil und kalt werden wie im Süden. Der Artikel in «Nature» zeigt nun, dass dieser Nord-Süd-Unterschied kleiner geworden ist und die Situation in der Arktis im vergangenen Winter plötzlich derjenigen in der Antarktis sehr ähnlich wurde.

Schuld daran ist eine aussergewöhnlich kalte Stratosphäre, aber gleichzeitig schmelzen die Grönland-Eisdecke und das arktische Eis dramatisch. Wie passt das zusammen?
Die Menschen bringen zunehmend Treibhausgase – allen voran CO2 – in die Atmosphäre, die die Troposphäre erwärmen und die Eisschichten am Boden zum Schmelzen bringen. Dieselben Treibhausgase wirken auf die Stratosphäre aber kühlend. Das führt zu mehr Stratosphärenwolken, auf denen Chlor aktiviert wird, welches schliesslich mehr Ozon zerstört.

Wir Menschen haben hier also zwei Mal die Finger im Spiel, beim Einbringen der Treibhausgase wie auch beim Chlor, das wir in Form von FCKWs in die Atmosphäre brachten.

Das heisst letztendlich, dass die Anzeichen der Ozon-Regenerierung, die sie noch vor einem Jahr in den mittleren Breiten ausgemacht haben, durch eine Klimaerwärmung wieder zunichte gemacht werden kann?
Glücklicherweise ist das nicht ganz so schlimm. Natürlich hat eine derart massive Ozonzerstörung auch Auswirkungen auf die mittleren Breiten, wenn die Luftmassen mit stark reduzierten Ozonwerten am Ende des Winters nach Süden verfrachtet werden. Wir sind in der einen oder anderen Weise davon betroffen, denn durch dieses Ereignis ist auch über uns die Ozonschicht etwas dünner geworden. Wenn die nächsten Winter aber wieder normal und in der Stratosphäre weniger kalt werden, wird sich die Ozonschicht weiterhin erholen, wie wir das vor etwa einem Jahr prognostizierten. Die Autoren der neuen Studie schreiben, dass man nicht sagen kann, wann und ob wieder so eine Situation auftreten wird.

Und wenn die Emissionen der Treibhausgase weiter ansteigen…
Wenn die Menschen die Emissionen der Treibhausgase nicht senken, dann werden diese Temperaturveränderungen auch in der Stratosphäre weiter voranschreiten. Das heisst, dass sich die Stratosphäre auch in der nördlichen Polarregion weiter abkühlen könnte. Dann hätte zwar das Montrealer Protokoll sehr gut funktioniert, weil es die weitere Emission der ozonzerstörenden Gase unterbunden hat. Aber trotzdem hätten wir ein Problem in Bezug auf die Ozonschicht in den hohen Breiten, weil wir das Kyoto-Protokoll und andere Klimaziele nicht umsetzen, sondern immer weiter CO2 in die Atmosphäre pumpen.

Hat Sie die Studie überrascht?
Nein. Das Ereignis zeichnete sich im letzten Winter ab und wurde unter Wissenschaftlern diskutiert. Aber trotzdem ist eine Abbildung in der Studie verblüffend. Die Kurve zeigt den Abbau des Ozons im vergangenen Winter über der Arktis und zeichnet praktisch den Verlauf und den Abbau des Ozons in der Antarktis nach. Interpretiert man das Bild, scheint es so, dass der Mechanismus in der Arktis offensichtlich ganz genau so wie in der Antarktis abgelaufen ist.

Was würde das bedeuten, wenn sich dieses Szenario jährlich im Winter wiederholen würde?
Wenn die natürliche Variabilität in der arktischen Stratosphäre so schwach würde wie in der Antarktis, hätten wir jedes Jahr einen Winter mit einem Ozonloch über der Arktis. Diesen Fall haben wir in unserem Artikel zum Montrealer Protokoll nicht berücksichtigt. Das hiesse, wir müssten neu über die Bücher, denn die grosse Luftmasse, in der im Winter das Ozon zerstört wird, würde im Sommer über die gesamte Nordhemisphäre verteilt. Doch wie gesagt, ein solch krasses Szenario ist mit unserem derzeitigen Wissen nicht vereinbar.

Müsste man dann nicht nur von neuen Voraussetzungen bei der Regeneration der Ozonschicht ausgehen, sondern mit noch umfassenderen Veränderungen bei den klimatischen Verhältnissen rechnen?
Mit dieser Frage beschäftigen sich Wissenschaftler seit längerer Zeit. In Modellen untersuchen sie, welche Rückkopplungen die stratosphärischen Veränderungen auf die darunterliegende Troposphäre haben. Von der Antarktis weiss man, dass das Ozonloch das Wetter in Bodennähe verändert hat. Die Winde haben sich verstärkt und die Temperaturen sich verändert. Das könnte zu den grossen Eisabbrüchen beigetragen haben. Ähnliche Veränderungen könnte es im Norden auch geben. Aber diese Chemie-Klima-Wechselwirkung ist nach wie vor nicht zureichend beschrieben. Dafür braucht es komplexe Modelle. Wir können heute noch nichts über mögliche Folgen sagen, die Frage muss ich unbeantwortet lassen. Die Chancen sind jedoch gut, dass die nächsten Winter in der Arktis entschieden harmloser verlaufen werden. Aber wir wissen nicht, ob sich derartige Ereignisse häufen werden. Das betonen auch die Forscher in der Publikation.

Das heisst aber auch, dass wir in unseren Klimamodellen immer noch sehr viele Unbekannte haben.
Richtig. Wir haben noch sehr viele Unbekannte. Die dynamischen Modelle sagen voraus, dass die Klimaveränderungen den arktischen stratosphärischen Wirbel eher stören und die Stratosphäre nicht so stark abkühlen lassen. Daher stellt sich die Frage, ob diese neue Studie mit unseren Modellen überhaupt kompatibel ist: Ist das einfach nur «Wetter»? Ein ganz besonders kalter Stratosphären-Winter, so wie es in 2003 einen ganz besonders heissen Troposphären-Sommer gab?

Das zeigt aber auch einmal mehr, dass wir über die Prozesse des Klimawandels nicht voll im Bild sind…
… das sind wir tatsächlich noch nicht. Wir wissen, dass die Treibhausgase die globale Stratosphäre in den mittleren Breiten abgekühlt haben. Vor etwa dreizehn Jahren schloss ich in einer Publikation daraus, dass wenn diese Abkühlung auch in den Polarregionen geschieht, wir auch in der Arktis ein Ozonloch bekommen werden. Nachdem die Modelle aber nahelegten, dass die Stratosphäre eher gestört wird und dadurch eine Abkühlung verhindert wird, habe ich das nicht mehr weiter verfolgt. Und nun haben wir diese neue Publikation. Für mich bleibt die Frage vorerst offen, ob das arktische Ozonloch nur eine Ausnahme ist, oder ob uns die Studie wegen der grossen Übereinstimmung mit dem Verlauf in der Antarktis beunruhigen muss.

Zum Ozonloch:

Nachdem in der Antarktis seit den 1980er Jahren jeweils von Winter bis Frühjahr ein Ozonloch auftritt, ist im vergangenen Winter erstmals über der Arktis ein Ozonloch beobachtet worden. Dies ergab eine Studie, deren Ergebnisse soeben im Fachmagazin «Nature» publiziert wurden.Die Ozonschicht in 15 bis 40 Kilometern Höhe, in der Stratosphäre, schützt das Leben auf der Erde vor schädlicher UV-Strahlung. Fluorchlorkohlenwasserstoffe schädigen die Ozonschicht, so dass mehr UV-Strahlung auf die Erde trifft. Dies kann beim Menschen Hautkrebs verursachen. 1985 wurde erstmals das Ozonloch über der Südpolarregion beschrieben. 1987 wurde das Montrealer Protokoll ratifiziert und trat 1989 in Kraft. Es verpflichtet die Staaten, den Einsatz von FCKW, etwa in Sprays, zu senken und schliesslich vollständig darauf zu verzichten. Es wurde in den vergangenen Jahren auf der Basis neuer Erkenntnisse mehrfach nachgebessert und beinhaltet mittlerweile auch FCKW-Ersatzstoffe und bromhaltige Halone, wie sie in Feuerlöschern verwendet werden.

Literaturhinweis:

Manney GL et al.: Unprecedented Arctic ozone loss in 2011, Nature (2011), published online 2. Oktober 2011, DOI:10.1038/nature10556