CH2011 – die Klimaentwicklung in der Schweiz
In der Schweiz wird es wärmer und im Sommer trockener werden und der Klimawandel wird sich auf die Häufigkeit und den Charakter von Extremereignissen auswirken. Christoph Schär gibt im Interview Auskunft über die neuen Klimaszenarien für die Schweiz. Sie beruhen auf neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen Schweizer Klimaforscher.
Herr Schär, Sie
sind als Vorsitzender des Kompetenzzentrums C2SM (Center for Climate Systems
Modeling) an dem Bericht «Swiss Climate Change Scenarios» (CH2011) massgeblich
beteiligt. Hat diese Kooperation den Bericht CH2011 ermöglicht?
C2SM hat sicher eine entscheidende Rolle gespielt und die
Forschenden von der ETH und der MeteoSchweiz zusammengebracht. Zu erwähnen sind
aber auch weitere Institutionen, darunter der Nationale Forschungsschwerpunkt
Klima (NCCR Climate). Die Kernaufgabe von C2SM betrifft die Entwicklung und
Nutzung von Klimamodellen. Klimamodelle werden immer komplexer. Sie weiter zu
entwickeln, zu unterhalten und auf Hochleistungsrechnern optimal zu nutzen, sprengt
die Möglichkeiten einer einzelnen Forschungsgruppe. Deshalb braucht es Kooperationen
wie C2SM, in denen das gesamte vorhandene Know-how aus allen verfügbaren
Bereichen einfliesst.
Was war das Ziel
der Studie?
Unser Ziel war es, die neuesten Klimasimulationen
aufzuarbeiten und die Resultate in geeigneter Form zur Verfügung zu stellen.
Dabei hatten wir zwei Zielgruppen vor Augen. Einerseits die breitgefächerte
wissenschaftliche Community, welche sich mit den Auswirkungen des Klimawandels
befasst und grosses Interesse an Szenario-Daten hat. Dabei geht es zum Beispiel
um Auswirkungen auf Landwirtschaft, Hydrologie, Wasserkraft, Permafrost oder
Gletscher. Andererseits können Verwaltung, Politik und Wirtschaft den Bericht
als Planungsgrundlage nutzen. Viele Stellen des Bundes und der Kantone, aber auch
grosse Industrieunternehmungen, interessieren sich zunehmend für die Folgen des
Klimawandels in ihrem Bereich.
Wissen Sie dank CH2011
heute mehr über die Klimazukunft der Schweiz als noch vor vier Jahren, als ein
Vorläufer-Bericht publiziert wurde?
Wir konnten unter Verwendung neuer Klimasimulationen und
neuer statistischer Verfahren insbesondere die Unsicherheiten genauer abschätzen
und quantifizieren. Für den Bericht standen uns im Vergleich zum OcCC- Bericht
von 2007 bessere Modelle mit verfeinerten Modellkomponenten und höherer räumlicher
Auflösung zur Verfügung. Zudem verwendeten wir für die Szenarien über zwanzig
neue Klimasimulationen. 2007 flossen Modelle mit einer Auflösung von 50 bis 100
Kilometern in den Bericht ein, in CH2011 berücksichtigen wir Daten aus Modellen
mit einem Gitterabstand von nur 25 Kilometern. Ausserdem unterscheiden wir im
aktuellen Bericht verschiedene Emissions-Szenarien, darunter ein
Interventions-Szenario, welches eine Halbierung der globalen
Treibhausgas-Emissionen vorgibt. Dieses Szenario ist neu und im IPCC-Bericht
von 2007 noch nicht berücksichtigt. Mit ihm können wir sichtbar machen, was die
Auswirkungen einer globalen Klimapolitik auf das Klima der Schweiz sind. Dazu
konnten wir bisher keine konkreten Angaben machen.
Fazit des Berichts
ist, es wird wärmer, trockener und wir müssen mit mehr Extremereignissen und
Hitzewellen rechnen. Welche Szenarien genau zeichnen die Modelle?
Die Erwärmung ist bereits in den Beobachtungen deutlich
sichtbar und wird sich immer klarer abzeichnen. Die dadurch resultierenden Veränderungen
bei Extremereignissen haben wir im Report primär anhand der vorhandenen
Literatur beurteilt. Das klarste Signal ergibt sich in Bezug auf Hitzewellen. Die
Auswirkungen der Hitzewellen und Dürren sind im Tessin am stärksten, aber nicht
so stark wie sie für Teile des Mittelmeerraums und die Po-Ebene erwartet werden.
Dort wird sich das Bild verändern: Das sommerliche “dolce vita“ wird sich wohl
von den Strassencafés in klimatisierte Räume verlagern müssen.
Die Szenarien zeigen auch, dass es auch signifikante Veränderungen bei den Niederschlägen, insbesondere eine Zunahme von Regen auf Kosten des Schneefalls, geben wird. Das wird die Wasserführung vieler Gewässer beeinflussen. Die Veränderung der Niederschläge erfolgt jedoch nicht kontinuierlich. Bis zirka Mitte des Jahrhunderts ist die natürliche Variabilität ein entscheidender Faktor. Das heisst, natürliche Schwankungen können das menschgemachte Signal überdecken oder verstärken. Aber in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird sich der Klimawandel in immer mehr Klimavariablen klar abzeichnen. Selbst wenn wir es schaffen, den globalen Treibhausgas-Ausstoss bis 2050 gegenüber 2000 zu halbieren, wird sich das Schweizer Klima bis dahin gegenüber der Periode zwischen 1980 und 2009 um 1,2 bis 1,8 Grad Celsius erwärmen.
Gibt es
gravierende Unterschiede zwischen dem OcCC-Bericht von 2007 und dem neuen
Bericht CH2011?
Für beide Szenarien werden jeweils Unsicherheiten
quantifiziert, und im Rahmen dieser Unsicherheiten sind alte und neue Szenarien
konsistent. Das zeigt, dass bereits die früheren Forschungen auf dem richtigen
Weg waren. Mit den aktuellen Forschungsergebnissen gibt es drei grosse
Fortschritte. Erstens konnten die Unsicherheiten objektiver geschätzt werden.
Zweitens können wir jetzt detaillierte Szenario-Daten abgeben, zum Beispiel
künstliche Klimazeitreihen der Gegenwart und Zukunft, welche für das Studium
von Klimafolgen zur Verfügung stehen. Drittens haben wir erstmals unterschiedliche
Treibhausgas-Szenarien berücksichtigt. Neben einem Szenario, das von einer
regional orientierten Wirtschaftsentwicklung ausgeht, und einem Szenario, das
auf einer ausgewogenen Nutzung fossiler und nicht-fossiler Brennstoffe basiert,
haben wir ein sogenanntes Interventionsszenario berücksichtigt.
Sie haben in dem
neuen Bericht Modelle mit einer verdoppelten Auflösung einbezogen. Warum sind immer
besser auflösende Modelle so wichtig?
Im Sommer ist beispielsweise ein grosser Teil des
Niederschlags gewittriger Natur. Eine Gewitterwolke hat eine horizontale Ausdehnung
von wenigen Kilometern und fällt deshalb durch den Gitterabstand der derzeitigen
Modelle, die einen Gitterabstand von 25 km verwenden. Als nächsten Schritt
werden wir in einem weltweit koordinierten Projekt Rechnungen mit 10 km
durchführen, die entsprechenden Simulationen werden in Kürze anlaufen. Wir
arbeiten auch schon am übernächsten Schritt, dann möchten wir das Klima mit
einer Auflösung von zwei Kilometern modellieren. Erst dann können wir die
physikalischen Prozesse in Gewitterwolken explizit berücksichtigen und somit
zentrale Unsicherheiten in unseren Modellen eliminieren.
Liegt es an den begrenzten Rechenkapazitäten, dass die Klimamodelle nicht generell mit einer viel höheren Auflösung berechnet werden?
Zum Teil, aber nicht nur. Die Erhöhung der Auflösung allein ist nicht ausreichend. Eine Verfeinerung der Auflösung von 20 auf 2 Kilometer braucht teilweise auch grundlegend neue Modelle.
Höhere Auflösungen
bedeuten mehr Rechenzeit. Wie hat sich in den vergangen vier Jahren der Bedarf
an Rechenzeit entwickelt?
Das ist ein wichtiger und zugleich einer der begrenzenden
Faktoren. Eine Verdoppelung der Auflösung bedeutet eine Verachtfachung der
Rechenzeit. Hochaufgelöste Simulationen sind deshalb sehr teuer und aufwendig.
Aber ein fast noch grösseres Problem als die steigende Rechenzeit sind die
dabei generierten Datenmengen. Unsere eigene Klimasimulation dauerte auf dem
damals schnellsten CSCS-Rechner 20 Wochen und produzierte 9,5 Terabyte Daten.
Diese Daten müssen wir mindestens fünf Jahre verfügbar halten, da sie von
verschiedenen Gruppen genutzt und gebraucht werden. Die Datenspeicherung ist
ein enormer Kostentreiber geworden und belastet das Budget dieser Projekte sehr.
C2SM hat ein
Projekt bei der Schweizer Plattform für High Performance und High Productivity
Computing (HP2C). Ziel ist, die vorhandenen Computercodes auf künftige
Rechnerarchitekturen zu optimieren. Das heisst unter anderem, Codes und
Algorithmen anzupassen. Flossen in die Modelle von CH2011 bereits erste
Ergebnisse ein?
Nein, denn wir haben bereits vor vier Jahren mit den
Modellläufen für die nun vorliegenden Szenarien begonnen. Doch mit den neuen
Supercomputern – zum Beispiel mit graphischen Prozessoren (GPU) – stehen wir
vor fundamentalen Änderungen. Auf diesen neuen Architekturen müssen wir unsere
Modelle zum Laufen bringen. Deshalb sind wir extrem froh über die
Zusammenarbeit mit dem CSCS im HP2C-Projekt. Dank dieser Zusammenarbeit gehören
wir international zu den ersten Klimagruppen, die ihre Codes und Algorithmen an
diese neuen Architekturen anpasst. Konkret möchten wir den Kern des regionalen Wetter-
und Klimacodes entsprechend umschreiben und auf die neuen GPUs anpassen.
Können
Klimawissenschaftler das alles leisten?
Von C2SM arbeiten zwei Mitarbeiter aus dem
Supercomputing-Bereich in der Kooperation. Ein einzelner Wissenschaftler kann
nicht den ganzen Bereich vom Computing, Programmieren bis zur Wissenschaft voll
abdecken. Wir müssen deshalb in Teams arbeiten, in denen alle Kompetenzen
abgedeckt sind. Das ist im gegenwärtigen Ausmass eine neue Entwicklung.
Das heisst, eine
enge Zusammenarbeit zwischen Spezialisten im High Performance Computing, Hard-
und Softwareentwicklern und Klimawissenschaftlern wird zunehmend wichtig?
Zweifellos. Für uns ist die Zusammenarbeit mit dem CSCS
ein Glücksfall, das hat sich alles sehr gut entwickelt. Es wird jedoch seine
Zeit brauchen, bis die neuen Modelle sich in besseren Klimaszenarien
niederschlagen werden.
CH2011
Das Center for Climate Systems Modeling (C2SM), MeteoSchweiz, ETH Zürich, NCCR Climate (Nationaler Forschungsschwerpunkt Klima) und OcCC (Beratendes Organ für Fragen zur Klimaänderung) haben in einem mehrjährigen Projekt Szenarien für die zukünftige Entwicklung von Temperatur und Niederschlag in der Schweiz erarbeitet. Die daraus resultierenden neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden gestern an einer Grossveranstaltung im Auditorium Maximum der ETH unter dem Titel CH2011 vorgestellt. Die Klimaszenarien stützen sich auf verfeinerte Klimasimulationen und neue statistische Verfahren. Erstmals stehen auch detaillierte Szenariodaten in digitaler Form zur Verfügung. Diese sollen die Erforschung von Folgen des Klimawandels vorantreiben und ermöglichen Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft Zugriff auf umfassende Informationen über die Klimaentwicklung im 21. Jahrhundert in der Schweiz.
- 05.10.11: CH2011: Klimaforschung ernst nehmen
- 03.10.11: CH2011: Passive Staaten
- 01.10.11: CH2011: Klimawandel ist normal
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