Veröffentlicht: 28.09.11
Science

CH2011 – die Klimaentwicklung in der Schweiz

In der Schweiz wird es wärmer und im Sommer trockener werden und der Klimawandel wird sich auf die Häufigkeit und den Charakter von Extremereignissen auswirken. Christoph Schär gibt im Interview Auskunft über die neuen Klimaszenarien für die Schweiz. Sie beruhen auf neusten wissenschaftlichen Erkenntnissen Schweizer Klimaforscher.

Simone Ulmer
Klimaforscher Christoph Schär: «Wir können jetzt sichtbar machen, was die Auswirkungen einer globalen Klimapolitik auf das Klima der Schweiz sind.» (Bild: ETH Zürich)
Klimaforscher Christoph Schär: «Wir können jetzt sichtbar machen, was die Auswirkungen einer globalen Klimapolitik auf das Klima der Schweiz sind.» (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Schär, Sie sind als Vorsitzender des Kompetenzzentrums C2SM (Center for Climate Systems Modeling) an dem Bericht «Swiss Climate Change Scenarios» (CH2011) massgeblich beteiligt. Hat diese Kooperation den Bericht CH2011 ermöglicht?
C2SM hat sicher eine entscheidende Rolle gespielt und die Forschenden von der ETH und der MeteoSchweiz zusammengebracht. Zu erwähnen sind aber auch weitere Institutionen, darunter der Nationale Forschungsschwerpunkt Klima (NCCR Climate). Die Kernaufgabe von C2SM betrifft die Entwicklung und Nutzung von Klimamodellen. Klimamodelle werden immer komplexer. Sie weiter zu entwickeln, zu unterhalten und auf Hochleistungsrechnern optimal zu nutzen, sprengt die Möglichkeiten einer einzelnen Forschungsgruppe. Deshalb braucht es Kooperationen wie C2SM, in denen das gesamte vorhandene Know-how aus allen verfügbaren Bereichen einfliesst.

Was war das Ziel der Studie?
Unser Ziel war es, die neuesten Klimasimulationen aufzuarbeiten und die Resultate in geeigneter Form zur Verfügung zu stellen. Dabei hatten wir zwei Zielgruppen vor Augen. Einerseits die breitgefächerte wissenschaftliche Community, welche sich mit den Auswirkungen des Klimawandels befasst und grosses Interesse an Szenario-Daten hat. Dabei geht es zum Beispiel um Auswirkungen auf Landwirtschaft, Hydrologie, Wasserkraft, Permafrost oder Gletscher. Andererseits können Verwaltung, Politik und Wirtschaft den Bericht als Planungsgrundlage nutzen. Viele Stellen des Bundes und der Kantone, aber auch grosse Industrieunternehmungen, interessieren sich zunehmend für die Folgen des Klimawandels in ihrem Bereich.

Wissen Sie dank CH2011 heute mehr über die Klimazukunft der Schweiz als noch vor vier Jahren, als ein Vorläufer-Bericht publiziert wurde?
Wir konnten unter Verwendung neuer Klimasimulationen und neuer statistischer Verfahren insbesondere die Unsicherheiten genauer abschätzen und quantifizieren. Für den Bericht standen uns im Vergleich zum OcCC- Bericht von 2007 bessere Modelle mit verfeinerten Modellkomponenten und höherer räumlicher Auflösung zur Verfügung. Zudem verwendeten wir für die Szenarien über zwanzig neue Klimasimulationen. 2007 flossen Modelle mit einer Auflösung von 50 bis 100 Kilometern in den Bericht ein, in CH2011 berücksichtigen wir Daten aus Modellen mit einem Gitterabstand von nur 25 Kilometern. Ausserdem unterscheiden wir im aktuellen Bericht verschiedene Emissions-Szenarien, darunter ein Interventions-Szenario, welches eine Halbierung der globalen Treibhausgas-Emissionen vorgibt. Dieses Szenario ist neu und im IPCC-Bericht von 2007 noch nicht berücksichtigt. Mit ihm können wir sichtbar machen, was die Auswirkungen einer globalen Klimapolitik auf das Klima der Schweiz sind. Dazu konnten wir bisher keine konkreten Angaben machen.

Fazit des Berichts ist, es wird wärmer, trockener und wir müssen mit mehr Extremereignissen und Hitzewellen rechnen. Welche Szenarien genau zeichnen die Modelle?
Die Erwärmung ist bereits in den Beobachtungen deutlich sichtbar und wird sich immer klarer abzeichnen. Die dadurch resultierenden Veränderungen bei Extremereignissen haben wir im Report primär anhand der vorhandenen Literatur beurteilt. Das klarste Signal ergibt sich in Bezug auf Hitzewellen. Die Auswirkungen der Hitzewellen und Dürren sind im Tessin am stärksten, aber nicht so stark wie sie für Teile des Mittelmeerraums und die Po-Ebene erwartet werden. Dort wird sich das Bild verändern: Das sommerliche “dolce vita“ wird sich wohl von den Strassencafés in klimatisierte Räume verlagern müssen.

Die Szenarien zeigen auch, dass es auch signifikante Veränderungen bei den Niederschlägen, insbesondere eine Zunahme von Regen auf Kosten des Schneefalls, geben wird. Das wird die Wasserführung vieler Gewässer beeinflussen. Die Veränderung der Niederschläge erfolgt jedoch nicht kontinuierlich. Bis zirka Mitte des Jahrhunderts ist die natürliche Variabilität ein entscheidender Faktor. Das heisst, natürliche Schwankungen können das menschgemachte Signal überdecken oder verstärken. Aber in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts wird sich der Klimawandel in immer mehr Klimavariablen klar abzeichnen. Selbst wenn wir es schaffen, den globalen Treibhausgas-Ausstoss bis 2050 gegenüber 2000 zu halbieren, wird sich das Schweizer Klima bis dahin gegenüber der Periode zwischen 1980 und 2009 um 1,2 bis 1,8 Grad Celsius erwärmen.

Gibt es gravierende Unterschiede zwischen dem OcCC-Bericht von 2007 und dem neuen Bericht CH2011?
Für beide Szenarien werden jeweils Unsicherheiten quantifiziert, und im Rahmen dieser Unsicherheiten sind alte und neue Szenarien konsistent. Das zeigt, dass bereits die früheren Forschungen auf dem richtigen Weg waren. Mit den aktuellen Forschungsergebnissen gibt es drei grosse Fortschritte. Erstens konnten die Unsicherheiten objektiver geschätzt werden. Zweitens können wir jetzt detaillierte Szenario-Daten abgeben, zum Beispiel künstliche Klimazeitreihen der Gegenwart und Zukunft, welche für das Studium von Klimafolgen zur Verfügung stehen. Drittens haben wir erstmals unterschiedliche Treibhausgas-Szenarien berücksichtigt. Neben einem Szenario, das von einer regional orientierten Wirtschaftsentwicklung ausgeht, und einem Szenario, das auf einer ausgewogenen Nutzung fossiler und nicht-fossiler Brennstoffe basiert, haben wir ein sogenanntes Interventionsszenario berücksichtigt.

Sie haben in dem neuen Bericht Modelle mit einer verdoppelten Auflösung einbezogen. Warum sind immer besser auflösende Modelle so wichtig?
Im Sommer ist beispielsweise ein grosser Teil des Niederschlags gewittriger Natur. Eine Gewitterwolke hat eine horizontale Ausdehnung von wenigen Kilometern und fällt deshalb durch den Gitterabstand der derzeitigen Modelle, die einen Gitterabstand von 25 km verwenden. Als nächsten Schritt werden wir in einem weltweit koordinierten Projekt Rechnungen mit 10 km durchführen, die entsprechenden Simulationen werden in Kürze anlaufen. Wir arbeiten auch schon am übernächsten Schritt, dann möchten wir das Klima mit einer Auflösung von zwei Kilometern modellieren. Erst dann können wir die physikalischen Prozesse in Gewitterwolken explizit berücksichtigen und somit zentrale Unsicherheiten in unseren Modellen eliminieren.

Liegt es an den begrenzten Rechenkapazitäten, dass die Klimamodelle nicht generell mit einer viel höheren Auflösung berechnet werden?

Zum Teil, aber nicht nur. Die Erhöhung der Auflösung allein ist nicht ausreichend. Eine Verfeinerung der Auflösung von 20 auf 2 Kilometer braucht teilweise auch grundlegend neue Modelle.

Höhere Auflösungen bedeuten mehr Rechenzeit. Wie hat sich in den vergangen vier Jahren der Bedarf an Rechenzeit entwickelt?
Das ist ein wichtiger und zugleich einer der begrenzenden Faktoren. Eine Verdoppelung der Auflösung bedeutet eine Verachtfachung der Rechenzeit. Hochaufgelöste Simulationen sind deshalb sehr teuer und aufwendig. Aber ein fast noch grösseres Problem als die steigende Rechenzeit sind die dabei generierten Datenmengen. Unsere eigene Klimasimulation dauerte auf dem damals schnellsten CSCS-Rechner 20 Wochen und produzierte 9,5 Terabyte Daten. Diese Daten müssen wir mindestens fünf Jahre verfügbar halten, da sie von verschiedenen Gruppen genutzt und gebraucht werden. Die Datenspeicherung ist ein enormer Kostentreiber geworden und belastet das Budget dieser Projekte sehr.

C2SM hat ein Projekt bei der Schweizer Plattform für High Performance und High Productivity Computing (HP2C). Ziel ist, die vorhandenen Computercodes auf künftige Rechnerarchitekturen zu optimieren. Das heisst unter anderem, Codes und Algorithmen anzupassen. Flossen in die Modelle von CH2011 bereits erste Ergebnisse ein?
Nein, denn wir haben bereits vor vier Jahren mit den Modellläufen für die nun vorliegenden Szenarien begonnen. Doch mit den neuen Supercomputern – zum Beispiel mit graphischen Prozessoren (GPU) – stehen wir vor fundamentalen Änderungen. Auf diesen neuen Architekturen müssen wir unsere Modelle zum Laufen bringen. Deshalb sind wir extrem froh über die Zusammenarbeit mit dem CSCS im HP2C-Projekt. Dank dieser Zusammenarbeit gehören wir international zu den ersten Klimagruppen, die ihre Codes und Algorithmen an diese neuen Architekturen anpasst. Konkret möchten wir den Kern des regionalen Wetter- und Klimacodes entsprechend umschreiben und auf die neuen GPUs anpassen.

Können Klimawissenschaftler das alles leisten?
Von C2SM arbeiten zwei Mitarbeiter aus dem Supercomputing-Bereich in der Kooperation. Ein einzelner Wissenschaftler kann nicht den ganzen Bereich vom Computing, Programmieren bis zur Wissenschaft voll abdecken. Wir müssen deshalb in Teams arbeiten, in denen alle Kompetenzen abgedeckt sind. Das ist im gegenwärtigen Ausmass eine neue Entwicklung.

Das heisst, eine enge Zusammenarbeit zwischen Spezialisten im High Performance Computing, Hard- und Softwareentwicklern und Klimawissenschaftlern wird zunehmend wichtig?
Zweifellos. Für uns ist die Zusammenarbeit mit dem CSCS ein Glücksfall, das hat sich alles sehr gut entwickelt. Es wird jedoch seine Zeit brauchen, bis die neuen Modelle sich in besseren Klimaszenarien niederschlagen werden.

CH2011

Das Center for Climate Systems Modeling (C2SM), MeteoSchweiz, ETH Zürich, NCCR Climate (Nationaler Forschungsschwerpunkt Klima) und OcCC (Beratendes Organ für Fragen zur Klimaänderung) haben in einem mehrjährigen Projekt Szenarien für die zukünftige Entwicklung von Temperatur und Niederschlag in der Schweiz erarbeitet. Die daraus resultierenden neusten wissenschaftlichen Erkenntnisse wurden gestern an einer Grossveranstaltung im Auditorium Maximum der ETH unter dem Titel CH2011 vorgestellt. Die Klimaszenarien stützen sich auf verfeinerte Klimasimulationen und neue statistische Verfahren. Erstmals stehen auch detaillierte Szenariodaten in digitaler Form zur Verfügung. Diese sollen die Erforschung von Folgen des Klimawandels vorantreiben und ermöglichen Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft Zugriff auf umfassende Informationen über die Klimaentwicklung im 21. Jahrhundert in der Schweiz.