Veröffentlicht: 30.08.11
Science

Therapie in virtueller Welt

Der von ETH und Universität Zürich entwickelte Armtherapie-Roboter ARMin ist um eine virtuelle Einheit erweitert worden. Die virtuelle Umgebung erlaubt es, alltagsnahe Bewegungsabläufe gezielt zu trainieren. In einer Vergleichsstudie mit Gesunden und Schlaganfallpatienten haben die Forscher das System evaluiert.

Martina Märki
Nach einem Schlaganfall müssen alltägliche Bewegungen neu eintrainiert werden: Therapieroboter ARMin unterstützt den behinderten Arm des Patienten bei der Aufgabe, die der Bildschirm als virtuelle Realität vorgibt. (Bild: Roland Tännler / ETH Zürich)
Nach einem Schlaganfall müssen alltägliche Bewegungen neu eintrainiert werden: Therapieroboter ARMin unterstützt den behinderten Arm des Patienten bei der Aufgabe, die der Bildschirm als virtuelle Realität vorgibt. (Bild: Roland Tännler / ETH Zürich) (Grossbild)

Hannes S. sitzt auf einem Stuhl und schaut konzentriert auf einen Bildschirm vor sich. Sein linker Arm ist vom Oberarm bis zu den Fingerspitzen in ein Maschinenskelett namens «ARMin» geschnallt, das aussieht wie eine Kreuzung aus Fitnessgerät und Industrieroboter. «ARMin läuft», erklingt eine Stimme aus der Maschine und der Arm von Hannes S. beschreibt einen Bogen nach aussen und kehrt dann mit einer sanften Drehung wieder in die Ausgangsposition zurück. Auf dem Bildschirm führt eine virtuelle Gliederpuppe die gleiche Bewegung aus. «Gut aufpassen», ermuntert die Therapeutin und korrigiert die Haltung des Patienten.

Angepasste Roboterkraft

Hannes S. ist seit einem Schlaganfall vor fast einem Jahr linksseitig behindert. Bis vor kurzem war der linke Arm vollständig gelähmt. Seit einigen Wochen besucht er das Therapieprogramm in der Zürcher Uniklinik Balgrist, in dem der von der ETH Zürich und der Universität im Labor für Sensomotorische Systeme unter der Leitung von Robert Riener, Professor für Rehabilitation Engineering, entwickelte Therapieroboter ARMin eingesetzt wird.

ARMin ist ein Roboterarm, der als eine Art externes Skelett mit Arm und Hand eines Patienten verbunden wird. Sensoren messen die Muskelkräfte, mit Motoren unterstützt der Roboter die beabsichtigten Bewegungen, wo nötig und vom Therapeuten erwünscht. Je nach Fähigkeiten des Patienten kann diese Unterstützung durch Roboterkräfte angepasst werden, bis sie, hoffentlich, ganz wegfällt, weil der Patient die Bewegungen wieder aus eigener Kraft ausführen kann.

ARMin wurde in der neuesten Version um ein Handmodul und um eine virtuelle Einheit erweitert. In seinen Therapiestunden wird Hannes S. nicht nur therapeutische Arm-Bewegungen ausführen, sondern mit ARMins Hilfe auch alltägliche Bewegungen und Handgriffe üben, beispielsweise Türfallen greifen, Münzen in einen Fahrkartenautomaten einwerfen oder das Fleischstücke in einer Pfanne anbraten. Die Alltags-Szenarien werden ihm in einer virtuellen Welt vorgegeben.

Virtueller Pfad zum Alltag

Auf dem Bildschirm erscheint eine Tür mit einer Türfalle, dazu das virtuelle Modell eines Arms. Der Patient bewegt seinen Arm mit Hilfe von ARMin, am Bildschirm kann er das Resultat seiner Bewegung in der virtuellen Welt kontrollieren: Den Arm heben, an die Tür pochen, die Klinke greifen, niederdrücken, die Tür aufstossen. Eine scheinbar einfache Bewegungsabfolge. Hannes S. stösst seinen Arm vom Körper weg – gelungen, es pocht! Jetzt den Arm senken, der Griff zur Türklinke. Das virtuelle Double am Bildschirm zeigt: daneben. Nochmals; diesmal stimmt alles, die virtuelle Tür öffnet sich.

«Das Problem bei roboterunterstützter Therapie ist, dass Patienten recht lange bei einer Aufgabe dabei bleiben müssen. Sie sollen engagiert und motiviert sein und dürfen gleichzeitig nicht überfordert werden. Das schaffen wir durch den Einsatz der Technik der virtuellen Realität», erklärt Robert Riener. Die roboterunterstützte Therapie als solche ist weltweit schon verbreitet. Der Einbezug von Virtual Reality dagegen steht erst am Anfang. Vieles erinnert an Computer Games, aber es geht um mehr als um motivierende Spiele: «Unsere Versuchsanordnung misst und bewertet den Patienten während des Trainings in Echtzeit. Wir wissen genau, ob er motorisch und kognitiv dabei ist und können dann das System so reagieren lassen, dass der Patient immer im richtigen Mass gefordert ist.» Dahinter steckt viel ingenieurwissenschaftliches Finetuning. Wesentlich dafür verantwortlich ist Marco Guidali, Doktorand am Labor für Sensomotorische Systeme.

Optimieren im Realitätstest

Um alle Komponenten des Therapiesystems optimal aufeinander einzustellen, haben die Forscher ARMin ausführlichen Tests unterworfen. Probanden waren Gesunde und Schlaganfallpatienten. Ziel war unter anderem, die Methoden und Kräfte, wie der Roboter die Bewegungen des Patienten optimal angepasst unterstützt, zu prüfen und zu verfeinern. Andererseits dienten die Versuche auch dazu, die virtuellen Übungssituationen zu evaluieren. Allgemein fand die Arbeit mit dem Therapieroboter sowohl bei Therapeuten wie bei Patienten gutes Echo. Die Patienten empfinden die Übungen in der virtuellen Welt als sehr motivierend. Details im System konnten weiter verbessert werden. Die Tests ergaben beispielsweise, dass für die richtige Unterstützung von Handbewegungen durch den Roboter wesentlich komplexere Mess- und Berechnungsmethoden der eingesetzten Kräfte nötig sind, als für die Armbewegungen.

Insgesamt konnten die Forscher mit ihren Versuchen beweisen, dass ARMin technisch und therapeutisch für den Einsatz reif ist. Eine inzwischen gestartete kontrollierte klinische Studie mit insgesamt 80 Patienten soll nun zeigen, wie es um den therapeutischen Erfolg steht. Die Forscher sind zuversichtlich. Die Kombination aus Motivation, Kognition und Bewegungsübungen, wie ARMin sie bietet, sei für die erfolgreiche Therapie die beste Voraussetzung, betont Projektleiterin Verena Klamroth-Marganska. ARMin wird derzeit in vier Kliniken in der Schweiz erprobt und steht kurz vor dem Markteintritt. Ein fünftes Exemplar von ARMin wird im National Rehabilitation Hospital in Washington D.C., USA, eingesetzt.

Literaturhinweis:
Guidali M, Duschau-Wicke A, Broggi S, Klamroth-Marganska V, Nef T, Riener R: A robotic system to train activities of daily living in a virtual environment. Med Biol Eng Comput, 2011; Vol 49 (7); DOI: 10.1007/s11517-011-0809-0

 
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