Veröffentlicht: 05.08.11
Globetrotter

Nicht ganz alltäglicher Alltag in Sierra Leone

Ins Büro fahren, arbeiten und schlafen – in Sierra Leone wird für Pablo Padrutt selbst das Alltägliche zum Abenteuer. Das beginnt beim Organisieren eines Taxis am Morgen und endet beim ratternden Generator in der Nacht.

Pablo Padrutt
Jugendliche Arbeiter bringen in Sierra Leones Hauptstadt Freetown Fairtrade-Kakao in ein Lager. (Bild: Pablo Padrutt)
Jugendliche Arbeiter bringen in Sierra Leones Hauptstadt Freetown Fairtrade-Kakao in ein Lager. (Bild: Pablo Padrutt) (Grossbild)

Die Arbeit in einem Beschäftigungs-Förderungsprogramm würde angesichts der schwachen staatlichen Strukturen von Sierra Leone anspruchsvoll werden; so viel war mir klar. Auch auf das schwüle Sauna-Klima versuchte ich mich vorab einzustellen. Doch das tägliche Leben in Sierra Leone bietet andere Freuden und Leiden, als ich erwartet hatte: Während das Land erstaunlich sicher ist, so dass ich auch nachts ohne Bedenken alleine durch die verwinkelten, dunklen Gassen laufe, ist die schlechte Infrastruktur jeden Tag eine neue Herausforderung.

Das Land verfügt kaum über geteerte Strassen. Die Strom- und Wasserversorgung fällt selbst in der Hauptstadt Freetown ständig aus. Malaria und eine Lebensmittelvergiftung konnte ich dank importierter Pharmazeutika rasch überwinden, dennoch sorge ich mich manchmal ob des Mangels an medizinischer Grundversorgung. Für das Bewältigen der alltäglichen Herausforderungen wird man hier jedoch mit den Traumstränden ausserhalb der Stadt entschädigt. Auch die spontanen Unterhaltungen mit Sierra Leonern sind überaus anregend: Nach den obligaten Erkundigungen über das Wohlbefinden, den Schlaf, die Arbeit und die Familie, ergeben sich immer wieder erhellende und witzige Gespräche mit fremden Leuten.

Busse wie Sardinenbüchsen oder Klappertaxis

Wenn ich mich nicht arbeitshalber im abgelegenen Osten oder Südosten des Landes aufhalte, sieht mein Tagesablauf im Grunde genommen aus wie jeder andere: ins Büro fahren, arbeiten, nach Hause fahren, kochen und schlafen. Doch allein schon der erste Akt, ins Büro zu fahren, ist in Sierra Leone ein Abenteuer: Die Standardvariante besteht darin, in der erdrückenden Hitze über staubige Holperwege zur nächsten geteerten Strasse zu gehen, um dort auf einen der privat geführten Toyota-Minibusse zu warten. Obwohl in diesen Bussen die Sitze herausgerissen wurden, um fünf Reihen von eng zusammengepferchten Metallbänken Platz zu machen, übersteigt die Nachfrage das Angebot: So muss man teils bis zu einer Stunde auf einen der heiss begehrten Plätze warten und frisst in der Zwischenzeit Staub.

Wem die Sardinenbüchsen-Busse nicht zusagen, kann sich nach einem Klappertaxi umsehen. Diese verkehren in der Regel, mit fünf Passagieren auf vier Plätzen, entlang der Hauptstrassen. Wer die Handynummer eines Taxifahrers gespeichert hat, dem steht die Luxusvariante offen: Den Taxifahrer zu sich nach Hause zu bestellen und das Taxi für sich alleine bis zur Arbeit zu chartern. Da es im ganzen Land nicht nur kein einziges Lichtsignal gibt, sondern auch nur einige Dutzend Strassenschilder, kann man dies nur mit Taxifahrern machen, die einen schon nach Hause gefahren hatten. Eine Verabredung ist zudem Glücksache: Im Schnitt wurde ich jedes vierte Mal versetzt. Von meinen Taxifahrern hatte zuletzt einer Malaria, der zweite kein Auto mehr, der dritte verschlief jeden Morgen und der vierte insistierte auf einen Vorschuss.

Nach vier Monaten schweisstreibendem Minibus- und Taxistress hat sich meine Lebensqualität nun schlagartig verbessert: Vor einigen Tagen konnte ich nach einem bürokratischen Marathon durch alle Regierungsämter einen aus der Schweiz importierten Gebrauchtwagen in Empfang nehmen. Der alte Toyota mit Klimaanlage und Vierradantrieb ist wie gemacht für Freetowns Holperstrassen, die sich in der erbarmungslosen Regenzeit in Schlammpisten und Sturzbäche verwandeln.

Arbeiten mit fehlenden Teilnehmern und mittelloser Regierung

Wenn man staubig und verschwitzt im Büro ankommt, wähnt man sich in einer anderen Welt: Angenehm klimatisiert und dank Generator meist mit Strom versorgt, ist das Büro eine kleine Oase. Da das Internet jedoch über Satellit läuft, bietet es nur eine kleine Bandbreite. Manchmal muss ich mich deshalb einen halben Tag lang damit herumschlagen, eine E-Mail mit Anhang zu verschicken. Wenn eine Aktivität mit Externen ansteht, geht selten etwas nach Plan. Dass angemeldete Teilnehmer einfach nicht auftauchen («too much traffic»), wegen starkem Regen ihr Büro nicht verlassen oder wegen Malaria ausser Gefecht sind, macht die Arbeit nicht einfacher. Die Regierung in die lokale Wirtschaftsentwicklung einzuspannen, ist schwierig: So hat beispielsweise die gesamte Abteilung des Landwirtschaftsministeriums, die für Nutztiere zuständig ist, ein Jahresbudget, das knapp geringer ist als mein letztjähriges Salär als Projektleiter in der Schweizer Bundesverwaltung.

Maniok, Reis oder teurer Import

Im Supermarkt kann ich meine aus der Schweiz eingeführten 100-Dollarscheine in dicke Bündel lokaler Währung wechseln. Ein guter Teil davon geht beim Einkaufen gleich wieder drauf: Eine Packung Kellogg's Cornflakes kostet gut und gerne zehn Dollar. Nahezu alle Lebensmittel sind importiert. Das Land hat auch neun Jahre nach Ende des Kriegs ausser für Maniok und Reis kaum eine ausreichende landwirtschaftliche Produktion, welche die Märkte in der Stadt beliefern könnte. Zudem steckt die verarbeitende Industrie noch in den Kinderschuhen. Zuhause angekommen kann ich mich selten dazu motivieren, in der etwas chaotischen Küche meiner wohlhabenden sierraleonischen Vermieterfamilie etwas zu kochen. Stattdessen fahre ich in ein nahe gelegenes Restaurant, das von Libanesen geführt wird. Dort gibt es kulinarische Alternativen zum allgegenwärtigen Reis mit Maniokblättern.

Partytunes und Generator-Geratter

Glücklicherweise hat das Haus meiner Vermieterfamilie einen Generator. So komme ich nun jeden Abend in den Genuss eines klimatisierten Zimmers und muss nicht mehr schweissgebadet und schlaflos im Bett liegen. Allerdings rattert der Generator bis nach Mitternacht vor sich hin. Da Lärmschutz hier kein Thema ist, kommt man in der Nacht immer wieder in den Genuss von Partytunes, die aus übersteuerten Boxen dröhnen, kläffenden Strassenhunden, kreischenden Muezzins und zeternden Freikirche-Predigern. Seit Beginn der Regenzeit quaken vor meinem Fenster nun auch noch Frösche, was schon fast ein wenig ländliche Idylle verströmt.

Zur Person

Pablo Padrutt ist Programmassistent bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH. Er ist 26 Jahre alt und absolviert im Rahmen des Nachdiplomstudiums für Entwicklungsländer (NADEL) der ETH Zürich einen zehnmonatigen Projekteinsatz in Sierra Leone. Dort arbeitet er für ein Beschäftigungsförderungs-Programm zugunsten marginalisierter Jugendlicher. Vor dem Nachdiplomstudium hat Pablo Padrutt in Genf und Buenos Aires Internationale Beziehungen studiert und im Bereich der Friedenspolitik für das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) gearbeitet.

 
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