Veröffentlicht: 07.07.11
Science

Viel wärmer als im schlimmsten Fall?

Es könnte noch viel wärmer werden gegen Ende des Jahrhunderts als angenommen. Dies ist das Fazit einer neuen Studie. Die errechneten Durchschnittstemperaturen liegen weit höher als die bisherigen «Worst Case»-Szenarien des IPCC.

Peter Rüegg
Vier neue Szenarien von Klimawissenschaftlern machen deutlich: Es könnte auf der Erde, insbesondere rund um den Nordpol, noch viel wärmer werden als von den bisherigen Worst Case-Szeniaren des IPCC errechnet. (Bild: Sanderson et al., 2011)
Vier neue Szenarien von Klimawissenschaftlern machen deutlich: Es könnte auf der Erde, insbesondere rund um den Nordpol, noch viel wärmer werden als von den bisherigen Worst Case-Szeniaren des IPCC errechnet. (Bild: Sanderson et al., 2011) (Grossbild)

Man braucht kein überdurchschnittlicher Pessimist zu sein, um Worst Case-Szenarien zu entwickeln. Im Fall des Atomkraftwerks in Fukushima übertraf die Realität gar die von den Betreibern erdachten Katastrophenszenarien. Das gilt auch für die Klimadiskussion: Man kann gar nicht genug verschiedene Szenarien entwerfen, selbst wenn sie eine noch so ungemütliche Zukunft andeuten.

Eine soeben veröffentlichte Studie von amerikanischen und Schweizer Klimaforschern, darunter ETH-Professor Reto Knutti, zeigt auf, dass ihre neu errechneten Klimaszenarien gar diejenigen übertreffen, die im IPCC-Report von 2007 als Worst Case-Szenarien bezeichnet wurden.

Steigende Erdbevölkerung miteinbezogen

Dabei haben die Forscher nicht einmal abstruse oder masslos übertriebene Annahmen getroffen. Für ihre Modelle berücksichtigten sie das von der UNO prognostizierte Wachstum der Weltbevölkerung, den Pro-Kopf-Energieverbrauch und den möglichen Mix der verwendeten Primärenergieträger, wie Kohle, Atomstrom oder erneuerbare Energiequellen.

Die Forscher gingen einerseits davon aus, dass der Pro-Kopf-Energieverbrauch wie bisher wächst und im Jahr 2100 auf das Vierfache des heutigen Verbrauchs angewachsen sein wird. Auch die Bevölkerung dürfte weiter wachsen, im Extremfall auf 15 Milliarden Menschen bis Ende dieses Jahrhunderts. Zudem nahmen sie in einem der durchgerechneten Szenarien an, dass Kohle zum bedeutendsten Energieträger wird und am Ende des Jahrhunderts über 90 Prozent Anteil als Primarenergieträger hat. In einem weiteren Szenario blieben die Anteile der heute schon genutzten Energieträger konstant. Die Forscher nahmen nicht an, dass die CO2-Emissionen zurückgehen, was derzeit auch nicht der Realität entspricht.

Kohle heizt Klima

Die Resultate lassen aufhorchen: Das Modell errechnete Szenarien, in denen die weltweiten Durchschnittstemperaturen stark ansteigen – stärker als in bisherigen IPCC Worst case. Im Kohle-Szenario, bei dem Kohle einen Grossteil der bisherigen Energieträger ersetzen und die Weltbevölkerung bis 2100 auf 15 Milliarden angewachsen würden, dürfte die Temperatur im Durchschnitt um 5,1 Grad gegenüber 1990 ansteigen. Rund um den Nordpol könnte der Temperaturanstieg mit 11 bis 12 Grad am stärksten ausfallen. Gehen die Forscher von einem gleich bleibenden Energiemix aus, sind es weltweit immer noch 3,7 Grad mehr.

In den neuen Szenarien verschärft sich auch die Wassersituation in Südeuropa. Der Jahresniederschlag könnte um 20 bis 60 Prozent fallen. Dafür dürfte sich die Niederschlagsmenge über Teilen der Sahara markant verändern: mehr Regen würde auf den heutigen Wüstensand fallen. Das Klima würde sich gemäss den neuen Szenarien nicht sprunghaft verändern sondern kontinuierlich. Stark leiden würde das arktische Meereis, das im schlimmsten Fall ab 2070 im Sommer komplett abschmelzen dürfte.

Keine Voraussagen, nur Möglichkeiten

Knutti warnt jedoch vor voreiligen Schlüssen. «Diese Szenarien sind sehr pessimistische Extreme, müssen aber keinesfalls eintreffen.» Es seien keine Voraussagen, und es würden auch keine Wahrscheinlichkeiten angegeben. Man müsse jedoch alle Möglichkeiten ausloten. «Es wäre ein Fehler, nur einen zu engen Bereich anzuschauen.» Sie hätten letztlich nur pessimistische Annahmen, die aber weder besonders abwegig noch abstrus seien, miteinander kombiniert.

So stammen die Annahmen über die Bevölkerungsentwicklung aus eher pessimistischen demografischen Studien. Und dass die zukünftige Energieversorgung mehr oder gar ausschliesslich auf Kohle setze, sei ebenfalls nicht unrealistisch, da die weltweiten Kohlevorräte gross sind, und für eine wachsende Bevölkerung vielleicht als Energiequelle interessant werden können.

Es komme stark darauf an, welche Vermutungen für die gesellschaftliche, wirtschaftliche und technologische Entwicklung den Szenarien zu Grunde liegen würden. «Was in den Szenarien die Annahmen sind, sind in der Realität unsere Entscheide und Handlungen», betont Reto Knutti. So entscheide schliesslich der Mensch, welches Szenario Realität werde.

Literaturhinweis

Sanderson BM, O'Neill BC, Kiehl JT, Meehl GA, Knutti R, Washingten WM. The response of the climate system to very high greenhouse gas emission scenarios. Environ. Res. Lett. 6 (2011), published 5th July 2011, doi: 10.1088/1748-9326/6/3/034005

 
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