«Ich empfand das als eine wahnsinnige Anerkennung unserer Arbeit»
Der ETH-Physiker Andreas Wallraff erhielt gestern den mit 200‘000 Franken dotierten Max-Rössler-Preis. Der Wissenschaftler möchte das Preisgeld vor allem zur Stärkung seines Teams nutzen, das zu seiner erfolgreichen Karriere beiträgt.
Herr Wallraff, Sie forschen auf dem Gebiet von so genannten
Quanten-Devices. Was sind diese?
Unser Labor heisst Quantum Device Lab, und
wie der Name schon sagt, beschäftigen wir uns mit Bauelementen und Geräten, die
die Quantenphysik ausnutzen, um bestimmte Aufgaben schneller oder besser als mit
klassischen Methoden zu lösen. Solche Systeme könnte man auch als
Quantenmaschinen bezeichnen.
Können Sie ein Beispiel geben?
Wir nutzen derartige Quantenmaschinen
zur Verarbeitung von Informationen und testen, ob sie in einem Quantencomputer
zum Einsatz kommen könnten. Mit ihnen könnte man beispielsweise in
Quantencomputern grosse Datenbanken effizienter durchsuchen oder Nachrichten
besser ver- oder entschlüsseln.
Sie sind 40 Jahre jung, seit 2006 Professor für
Festkörperphysik an der ETH Zürich, erhielten 2009 den prestigeträchtigen
European Research Council (ERC) Starting Independent Research Grant von 1,9
Millionen Euro und nun den Rössler Preis, der mit 200'000 Franken dotiert ist.
Warum ist Ihre Forschung so wichtig?
Unsere Forschung kombiniert zwei wichtige
Revolutionen des 20. Jahrhunderts: Die Informationstechnologie und die Quantenphysik.
Ich glaube, der Grund, warum mein Forschungsgebiet sehr aktuell ist, liegt
darin, dass sich die Quantenwissenschaften und die Informationstechnologie in
den letzten 15 Jahren stark weiterentwickelt haben. Die Frage, die wir uns
heute stellen, ist, ob wir die Quantenphysik, die wir im letzten Jahrhundert im
Wesentlichen dazu genutzt haben, um Phänomene in der Natur zu verstehen, in der
Informationstechnologie nutzen können. Theoretische Arbeiten dazu gibt es etwa
seit den 80er Jahren. In den 90er Jahren wurde die Frage aufgeworfen, ob solche
Systeme auch tatsächlich realisierbar sind. Heute versuche ich mit meiner
Gruppe, solche quantenmechanischen Systeme, die zur Informationsverarbeitung
genutzt werden können, zu bauen. Quantenphysik fand ich schon immer eine spannende
Richtung der Physik. Auch die Informationstechnologie hat mich privat
interessiert. Irgendwann kamen diese beiden Felder zusammen. Da habe ich mich
entschieden, in diesem Bereich zu forschen.
Ihr Forschungsschwerpunkt liegt vor allem im experimentellen
Bereich. Was für Experimente machen Sie und was untersuchen Sie damit?
Wir entwickeln Mikrochips,
elektronische Quantum Devices, mit denen nach den Regeln der Quantenmechanik
Informationen verarbeitet werden können. Derzeit stellen wir diese Chips im ETH-Reinraum
FIRST her, in Zukunft aber auch im kürzlich eingeweihten Binnig and Rohrer Nanotechnology
Center der ETH und IBM in Rüschlikon. Diese selbstentwickelten elektronischen
Schaltkreise betreiben wir unter besonderen Bedingungen, etwa in speziell dafür
hergestellten Kühlsystemen bei extrem niedrigen Temperaturen nahe dem absoluten
Nullpunkt. Wir können diese quantenmechanischen elektronischen Schaltungen mit
hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung kontrollieren, sodass sie die
gewünschten Eigenschaften zeigen. Unser Ziel ist es, verschiedene Komponenten
für diese Quantenmaschinen zu entwickeln, wie zum Beispiel Quantenspeicher, einzelne Informationsträger,
sogenannte Quantenbits, und einen sogenannten Quantenbus. Über den Quantenbus
tauschen verschiedene Elemente der integrierten Schaltung Quanteninformationen aus.
Wir versuchen Wege zu finden, wie Informationen quantenmechanisch in solch
einem Chip gespeichert und wieder ausgelesen werden können. Zudem überlegen wir
uns Anwendungen im breiteren Kontext, ausserhalb der Quanteninformationsverarbeitung.
Wir entwickeln beispielweise auch enorm leistungsfähige Verstärker, mit denen
man äusserst schwache Signale präzise analysieren kann.
Aber man muss sich das alles im mikroskopischen Bereich
vorstellen …
… Die typischen Chips sind ähnlich gross
wie konventionelle Computerchips, ein paar Millimeter. Aber einige Komponenten
auf unseren Chips sind einige Zehn bis einige Hundert Nanometer gross, sodass wir
komplexe Schaltungen mit vielen Komponenten auf relativ kleinem Raum integrieren
können. Das ist auch einer der vielen Gründe, warum unser Ansatz zur
Erforschung quantenelektronischer Schaltungen speziell erfolgsversprechend ist:
Wir haben die Möglichkeit, viele Komponenten auf einem Chip zu integrieren.
Wie weit entfernt sind wir von einer Anwendung Ihrer
Forschung?
Wir sind noch in der explorativen
Phase, in der wir uns immer wieder fragen, welche Technologie wohl die
geeignete ist, um interessante Quantenmaschinen zu bauen. Bei der Entwicklung
quantenmechanischer elektronischer Schaltungen stehen wir noch ganz am Anfang. Man
muss jedoch sehen, dass auch die Entwicklung anderer Technologien ihre Zeit
gebraucht hat, zum Beispiel vergingen von der Entwicklung des Transistors bis
zum heutigen iPhone 65 Jahre.
Was bedeutet für Sie der Max-Rössler-Preis?
Ich habe mich sehr gefreut, als ich
davon erfahren habe. Als ich ein Einladungsschreiben vom ETH Vizepräsidenten
Forschung bekam und noch nicht klar war, worum es gehen würde, habe ich
natürlich als erstes bei ihm im Sekretariat nachgefragt. Man beruhigte mich, es
handle sich um etwas Gutes, aber man könne noch nichts Genaueres sagen. Bei dem
Treffen wurde mir eröffnet, dass die gesamte Schulleitung beschlossen hat, dass
ich diesen Preis erhalten solle. Ich empfand das als eine wahnsinnige
Anerkennung unserer Arbeit. Wir haben uns in den letzten fünf, sechs Jahren extrem
dafür eingesetzt, dass unser Labor hier an der ETH gut auf die Füsse kommt und
dass wir kompetitive Forschung machen können.
Sind Sie erfolgsverwöhnt?
Ich glaube schon, dass bisher alles so gut
lief wie ich mir das nur wünschen konnte. Akademische Karrieren sind nicht immer
einfach. Es ist ein Privileg, sein eigenes Labor in einer so renommierten Institution
aufzubauen. Wir sind schon ein bisschen erfolgsverwöhnt. Das liegt auch daran, dass
sich das gesamte Thema gut entwickelt hat. Wir waren von Anfang an mit dabei
und haben bis jetzt offensichtlich den richtigen Riecher gehabt, uns mit den richtigen
Fragen zu beschäftigen und diese auf neue Art anzugehen. Das hat dazu geführt, dass
wir erfolgreich sind.
Was werden Sie mit dem Preisgeld machen?
Wir möchten dieses Geld auf eine Art
und Weise nutzen, die mit anderen Forschungsfinanzierungen häufig nicht möglich
ist. Wir werden also vermutlich keine weiteren grossen Gerätschaften kaufen
oder in ein spezifisches Projekt investieren. Unser derzeitiger Plan ist, das
Preisgeld zumindest zum Teil für Team Building zu nutzen. Ich möchte die
Kommunikation in der Gruppe, die in den letzten Jahren gewachsen ist, stärken
und zum Beispiel ein-, zweimal pro Jahr eine Art Retreat organisieren, an dem wir
uns alle in einer guten Umgebung zusammensetzen und versuchen, neue Ideen zu entwickeln
und die Zukunft des Labors planen. Ausserdem bekommen wir öfter Anfragen von
guten Masterstudenten, auch international, die gerne an die ETH kommen möchten,
aber für die das finanziell schwierig ist, Unsere Überlegung ist, einen oder
zwei Masterstudenten zu finanzieren.
Was ist für Sie die grösste Herausforderung in Ihrem Beruf?
Die ersten vier Jahre haben wir
genutzt, um unsere Forschungsrichtung an der ETH erfolgreich zum Laufen zu
bringen. Jetzt, speziell mit dem ERC Projekt und verschiedenen weiteren
Projekten, haben wir damit begonnen, für uns neue experimentelle
Fragestellungen zu bearbeiten. Auch in Kollaboration mit anderen ETH-Forschungsgruppen,
wie zum Beispiel denen von Frederic Merkt in der physikalischen Chemie, Klaus
Ensslin in der Nanophysik und Vanessa Wood in der Elektrotechnik. Gemeinsam
versuchen wir, die Quanten-Technologien, die wir entwickelt haben, und die
nicht nur auf die Quanteninformationsverarbeitung beschränkt sind, zur
Anwendung zu bringen. Wir haben drei Projekte in der Anfangsphase und versuchen
diese zum Erfolg zu führen. Das ist im Moment eine grosse Herausforderung.
Jetzt gerade bringen diese Projekte nach knapp zwei Jahren Arbeit die ersten
Resultate. Dabei müssen wir unsere Arbeit auf ausgewählte grundlegende Fragen fokussieren,
um die Grenzen unseres Wissens zu erweitern, auch indem wir Kollaborationen mit
Partnern an der ETH vorantreiben.
Wovon träumen sie?
Ein Teil meines Traums ist quasi schon jetzt
wahr. Ich forsche in meinem eigenen Labor
gemeinsam mit jungen motivierten Menschen an interessanten Fragen. Fragen, die
ich selber festlegen kann, die mich interessieren. Dieses Ziel habe ich gemeinsam
mit meiner Gruppe erreicht. Jetzt schauen wir, wie es in die Zukunft geht. Wir
würden den Technologieaspekt der Quantenphysik gerne in ein Stadium überführen,
in dem wir wirklich nützliche Elemente oder nützliche Entwicklungen
hervorbringen können.
Nach Ihrer Promotion waren sie vier Jahre an der Yale
University. Deutsche Kollegen verliehen Ihnen dort den «Multitalent Award»,
weil sie überall aktiv mitmachten: etwa beim Fussball, Squash, im
Fitnesscenter, oder auf der Skipiste. Können Sie sich das heute noch leisten?
Sport ist immer noch meine grosse
Leidenschaft. Ich bin in Zürich beim Akademischen Eishockey-Club (AECZ) und
spiele jetzt schon seit fünf Jahren jede Saison mit einem Seniorenteam in der
Schweizer Regioliga Eishockey. Ich versuche mir die Zeit dafür zu nehmen, auch wegen
des sportlichen Ausgleichs. Ich fahre immer noch Ski, trainiere mit Mitgliedern
unseres Labors für den Fussball Cup des Physikdepartements und bin bei der SOLA-Stafette
für unser Labor-Team gelaufen. Mein Motto ist zu versuchen, die Arbeit gut zu
organisieren und die Zeit für andere Aktivitäten gut einzuteilen und sie zu
nutzen für das, was einem sonst noch so Spass macht.
Zur Person
Andreas Wallraff ist seit 2006 Professor an der ETH Zürich. Seine Studien- und Doktoratszeit verbrachte er an der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen (Deutschland), an der Universität Erlangen-Nürnberg und am Imperial College of Science and Technology in London (U.K.), wo auch sein Interesse an der Quantenphysik geweckt wurde. Nach seinem Doktorat forschte er für vier Jahre an der Yale University in New Haven, USA. Bereits 2006 erhielt er für seine herausragenden Leistungen im Bereich der Erforschung von Quantum Devices den Nicholas Kurti European Science Prize.
Max-Rössler-Preis
Der promovierte Mathematiker und ETH-Absolvent Max Rössler schenkte 2007 der ETH Zürich 10 Millionen Franken mit einer Donation an die ETH Zürich Foundation. Mit dem Preis wird jeweils ein besonders vielversprechender junger ETH-Professor in der Expansionsphase seiner Forscherkarriere gefördert. Die Auszeichnung wird zur Förderung des Potenzial eines Wissenschaftlers im Bereich Naturwissenschaften und Technik vergeben. Bis anhin erhielten der Strukturbiologe Nenad Ban und der Erdwissenschaftler Gerald Haug den mit 200‘000 Franken dotierten Preis.
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