Veröffentlicht: 24.06.11
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«Ich empfand das als eine wahnsinnige Anerkennung unserer Arbeit»

Der ETH-Physiker Andreas Wallraff erhielt gestern den mit 200‘000 Franken dotierten Max-Rössler-Preis. Der Wissenschaftler möchte das Preisgeld vor allem zur Stärkung seines Teams nutzen, das zu seiner erfolgreichen Karriere beiträgt.

Interview: Simone Ulmer
Der diesjährige Max-Rössler-Preisträger Andreas Wallraff ist Professor am Laboratorium für Festkörperphysik der ETH Zürich (Bild: Philippe Neidhart / ETH Zürich)
Der diesjährige Max-Rössler-Preisträger Andreas Wallraff ist Professor am Laboratorium für Festkörperphysik der ETH Zürich (Bild: Philippe Neidhart / ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Wallraff, Sie forschen auf dem Gebiet von so genannten Quanten-Devices. Was sind diese?
Unser Labor heisst Quantum Device Lab, und wie der Name schon sagt, beschäftigen wir uns mit Bauelementen und Geräten, die die Quantenphysik ausnutzen, um bestimmte Aufgaben schneller oder besser als mit klassischen Methoden zu lösen. Solche Systeme könnte man auch als Quantenmaschinen bezeichnen.

Können Sie ein Beispiel geben?
Wir nutzen derartige Quantenmaschinen zur Verarbeitung von Informationen und testen, ob sie in einem Quantencomputer zum Einsatz kommen könnten. Mit ihnen könnte man beispielsweise in Quantencomputern grosse Datenbanken effizienter durchsuchen oder Nachrichten besser ver- oder entschlüsseln.

Sie sind 40 Jahre jung, seit 2006 Professor für Festkörperphysik an der ETH Zürich, erhielten 2009 den prestigeträchtigen European Research Council (ERC) Starting Independent Research Grant von 1,9 Millionen Euro und nun den Rössler Preis, der mit 200'000 Franken dotiert ist. Warum ist Ihre Forschung so wichtig?
Unsere Forschung kombiniert zwei wichtige Revolutionen des 20. Jahrhunderts: Die Informationstechnologie und die Quantenphysik. Ich glaube, der Grund, warum mein Forschungsgebiet sehr aktuell ist, liegt darin, dass sich die Quantenwissenschaften und die Informationstechnologie in den letzten 15 Jahren stark weiterentwickelt haben. Die Frage, die wir uns heute stellen, ist, ob wir die Quantenphysik, die wir im letzten Jahrhundert im Wesentlichen dazu genutzt haben, um Phänomene in der Natur zu verstehen, in der Informationstechnologie nutzen können. Theoretische Arbeiten dazu gibt es etwa seit den 80er Jahren. In den 90er Jahren wurde die Frage aufgeworfen, ob solche Systeme auch tatsächlich realisierbar sind. Heute versuche ich mit meiner Gruppe, solche quantenmechanischen Systeme, die zur Informationsverarbeitung genutzt werden können, zu bauen. Quantenphysik fand ich schon immer eine spannende Richtung der Physik. Auch die Informationstechnologie hat mich privat interessiert. Irgendwann kamen diese beiden Felder zusammen. Da habe ich mich entschieden, in diesem Bereich zu forschen.

Ihr Forschungsschwerpunkt liegt vor allem im experimentellen Bereich. Was für Experimente machen Sie und was untersuchen Sie damit?
Wir entwickeln Mikrochips, elektronische Quantum Devices, mit denen nach den Regeln der Quantenmechanik Informationen verarbeitet werden können. Derzeit stellen wir diese Chips im ETH-Reinraum FIRST her, in Zukunft aber auch im kürzlich eingeweihten Binnig and Rohrer Nanotechnology Center der ETH und IBM in Rüschlikon. Diese selbstentwickelten elektronischen Schaltkreise betreiben wir unter besonderen Bedingungen, etwa in speziell dafür hergestellten Kühlsystemen bei extrem niedrigen Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt. Wir können diese quantenmechanischen elektronischen Schaltungen mit hochfrequenter elektromagnetischer Strahlung kontrollieren, sodass sie die gewünschten Eigenschaften zeigen. Unser Ziel ist es, verschiedene Komponenten für diese Quantenmaschinen zu entwickeln, wie zum Beispiel Quantenspeicher, einzelne Informationsträger, sogenannte Quantenbits, und einen sogenannten Quantenbus. Über den Quantenbus tauschen verschiedene Elemente der integrierten Schaltung Quanteninformationen aus. Wir versuchen Wege zu finden, wie Informationen quantenmechanisch in solch einem Chip gespeichert und wieder ausgelesen werden können. Zudem überlegen wir uns Anwendungen im breiteren Kontext, ausserhalb der Quanteninformationsverarbeitung. Wir entwickeln beispielweise auch enorm leistungsfähige Verstärker, mit denen man äusserst schwache Signale präzise analysieren kann.

Aber man muss sich das alles im mikroskopischen Bereich vorstellen …
… Die typischen Chips sind ähnlich gross wie konventionelle Computerchips, ein paar Millimeter. Aber einige Komponenten auf unseren Chips sind einige Zehn bis einige Hundert Nanometer gross, sodass wir komplexe Schaltungen mit vielen Komponenten auf relativ kleinem Raum integrieren können. Das ist auch einer der vielen Gründe, warum unser Ansatz zur Erforschung quantenelektronischer Schaltungen speziell erfolgsversprechend ist: Wir haben die Möglichkeit, viele Komponenten auf einem Chip zu integrieren.

Wie weit entfernt sind wir von einer Anwendung Ihrer Forschung?
Wir sind noch in der explorativen Phase, in der wir uns immer wieder fragen, welche Technologie wohl die geeignete ist, um interessante Quantenmaschinen zu bauen. Bei der Entwicklung quantenmechanischer elektronischer Schaltungen stehen wir noch ganz am Anfang. Man muss jedoch sehen, dass auch die Entwicklung anderer Technologien ihre Zeit gebraucht hat, zum Beispiel vergingen von der Entwicklung des Transistors bis zum heutigen iPhone 65 Jahre.

Was bedeutet für Sie der Max-Rössler-Preis?
Ich habe mich sehr gefreut, als ich davon erfahren habe. Als ich ein Einladungsschreiben vom ETH Vizepräsidenten Forschung bekam und noch nicht klar war, worum es gehen würde, habe ich natürlich als erstes bei ihm im Sekretariat nachgefragt. Man beruhigte mich, es handle sich um etwas Gutes, aber man könne noch nichts Genaueres sagen. Bei dem Treffen wurde mir eröffnet, dass die gesamte Schulleitung beschlossen hat, dass ich diesen Preis erhalten solle. Ich empfand das als eine wahnsinnige Anerkennung unserer Arbeit. Wir haben uns in den letzten fünf, sechs Jahren extrem dafür eingesetzt, dass unser Labor hier an der ETH gut auf die Füsse kommt und dass wir kompetitive Forschung machen können.

Sind Sie erfolgsverwöhnt?
Ich glaube schon, dass bisher alles so gut lief wie ich mir das nur wünschen konnte. Akademische Karrieren sind nicht immer einfach. Es ist ein Privileg, sein eigenes Labor in einer so renommierten Institution aufzubauen. Wir sind schon ein bisschen erfolgsverwöhnt. Das liegt auch daran, dass sich das gesamte Thema gut entwickelt hat. Wir waren von Anfang an mit dabei und haben bis jetzt offensichtlich den richtigen Riecher gehabt, uns mit den richtigen Fragen zu beschäftigen und diese auf neue Art anzugehen. Das hat dazu geführt, dass wir erfolgreich sind.

Was werden Sie mit dem Preisgeld machen?
Wir möchten dieses Geld auf eine Art und Weise nutzen, die mit anderen Forschungsfinanzierungen häufig nicht möglich ist. Wir werden also vermutlich keine weiteren grossen Gerätschaften kaufen oder in ein spezifisches Projekt investieren. Unser derzeitiger Plan ist, das Preisgeld zumindest zum Teil für Team Building zu nutzen. Ich möchte die Kommunikation in der Gruppe, die in den letzten Jahren gewachsen ist, stärken und zum Beispiel ein-, zweimal pro Jahr eine Art Retreat organisieren, an dem wir uns alle in einer guten Umgebung zusammensetzen und versuchen, neue Ideen zu entwickeln und die Zukunft des Labors planen. Ausserdem bekommen wir öfter Anfragen von guten Masterstudenten, auch international, die gerne an die ETH kommen möchten, aber für die das finanziell schwierig ist, Unsere Überlegung ist, einen oder zwei Masterstudenten zu finanzieren.

Was ist für Sie die grösste Herausforderung in Ihrem Beruf?
Die ersten vier Jahre haben wir genutzt, um unsere Forschungsrichtung an der ETH erfolgreich zum Laufen zu bringen. Jetzt, speziell mit dem ERC Projekt und verschiedenen weiteren Projekten, haben wir damit begonnen, für uns neue experimentelle Fragestellungen zu bearbeiten. Auch in Kollaboration mit anderen ETH-Forschungsgruppen, wie zum Beispiel denen von Frederic Merkt in der physikalischen Chemie, Klaus Ensslin in der Nanophysik und Vanessa Wood in der Elektrotechnik. Gemeinsam versuchen wir, die Quanten-Technologien, die wir entwickelt haben, und die nicht nur auf die Quanteninformationsverarbeitung beschränkt sind, zur Anwendung zu bringen. Wir haben drei Projekte in der Anfangsphase und versuchen diese zum Erfolg zu führen. Das ist im Moment eine grosse Herausforderung. Jetzt gerade bringen diese Projekte nach knapp zwei Jahren Arbeit die ersten Resultate. Dabei müssen wir unsere Arbeit auf ausgewählte grundlegende Fragen fokussieren, um die Grenzen unseres Wissens zu erweitern, auch indem wir Kollaborationen mit Partnern an der ETH vorantreiben.

Wovon träumen sie?
Ein Teil meines Traums ist quasi schon jetzt wahr. Ich forsche in meinem eigenen Labor gemeinsam mit jungen motivierten Menschen an interessanten Fragen. Fragen, die ich selber festlegen kann, die mich interessieren. Dieses Ziel habe ich gemeinsam mit meiner Gruppe erreicht. Jetzt schauen wir, wie es in die Zukunft geht. Wir würden den Technologieaspekt der Quantenphysik gerne in ein Stadium überführen, in dem wir wirklich nützliche Elemente oder nützliche Entwicklungen hervorbringen können.

Nach Ihrer Promotion waren sie vier Jahre an der Yale University. Deutsche Kollegen verliehen Ihnen dort den «Multitalent Award», weil sie überall aktiv mitmachten: etwa beim Fussball, Squash, im Fitnesscenter, oder auf der Skipiste. Können Sie sich das heute noch leisten?
Sport ist immer noch meine grosse Leidenschaft. Ich bin in Zürich beim Akademischen Eishockey-Club (AECZ) und spiele jetzt schon seit fünf Jahren jede Saison mit einem Seniorenteam in der Schweizer Regioliga Eishockey. Ich versuche mir die Zeit dafür zu nehmen, auch wegen des sportlichen Ausgleichs. Ich fahre immer noch Ski, trainiere mit Mitgliedern unseres Labors für den Fussball Cup des Physikdepartements und bin bei der SOLA-Stafette für unser Labor-Team gelaufen. Mein Motto ist zu versuchen, die Arbeit gut zu organisieren und die Zeit für andere Aktivitäten gut einzuteilen und sie zu nutzen für das, was einem sonst noch so Spass macht.

Zur Person

Andreas Wallraff ist seit 2006 Professor an der ETH Zürich. Seine Studien- und Doktoratszeit verbrachte er an der Rheinisch Westfälischen Technischen Hochschule (RWTH) in Aachen (Deutschland), an der Universität Erlangen-Nürnberg und am Imperial College of Science and Technology in London (U.K.), wo auch sein Interesse an der Quantenphysik geweckt wurde. Nach seinem Doktorat forschte er für vier Jahre an der Yale University in New Haven, USA. Bereits 2006 erhielt er für seine herausragenden Leistungen im Bereich der Erforschung von Quantum Devices den Nicholas Kurti European Science Prize.

Max-Rössler-Preis

Der promovierte Mathematiker und ETH-Absolvent Max Rössler schenkte 2007 der ETH Zürich 10 Millionen Franken mit einer Donation an die ETH Zürich Foundation. Mit dem Preis wird jeweils ein besonders vielversprechender junger ETH-Professor in der Expansionsphase seiner Forscherkarriere gefördert. Die Auszeichnung wird zur Förderung des Potenzial eines Wissenschaftlers im Bereich Naturwissenschaften und Technik vergeben. Bis anhin erhielten der Strukturbiologe Nenad Ban und der Erdwissenschaftler Gerald Haug den mit 200‘000 Franken dotierten Preis.

 
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