Veröffentlicht: 26.05.11
Science

Stören Kirchenglocken den Schlaf?

Glockenschläge gehören zur Schweizer Geräuschkulisse wie Vogelgezwitscher und Strassenlärm. Was am Tag kaum jemanden stört, kann in der Nacht jedoch nervendaufreibend sein. Ein Forscherteam der ETH hat nun die Wirkung von Glockengeläut auf das Schlafverhalten des Menschen untersucht.

Philippe Neidhart
Kirchenglocken können das Schlafverhalten der Menschen negativ beeinflussen. (Bild: Evervescing Elephant / flickr)
Kirchenglocken können das Schlafverhalten der Menschen negativ beeinflussen. (Bild: Evervescing Elephant / flickr) (Grossbild)

«Das Geläut des Münsters, ein metallisches Dröhnen, ein Lärm, dass man seine eigenen Gedanken nicht mehr hört», schrieb einst Max Frisch in seinem Roman Stiller. Es mache «taub, schwindlig, idiotisch», führt der Schriftsteller weiter aus – doch stört es uns auch im Schlaf? Ein Forscherteam der ETH rund um Mark Brink ist in einer Feldstudie dieser Frage nachgegangen. Sie haben die Auswirkungen von Glockenschlägen auf das Schlafverhalten des Menschen untersucht.

Bei 27 Versuchspersonen im Umfeld von neun Kirchen im Kanton Zürich wurden Schallaufzeichnungen und gleichzeitig physiologische Messungen durchgeführt. Für die Untersuchung wurde die Lautstärke vor dem Fenster wie auch im Schlafzimmer der Betroffenen gemessen. Zudem wurde mittels Polysomnographie – einer kontinuierlichen Überwachung unterschiedlichster Körperfunktionen – der Schlaf der Testpersonen analysiert. Zur Beurteilung der Wirkung vom Glockengeläut auf das Schlafverhalten wurde die Wahrscheinlichkeit des Aufwachens durch ein Glockengeräusch bei einem bestimmten Pegel gemessen.

Geläut beeinflusst Schlafverhalten

Bis anhin herrschte die Annahme, dass man erst ab einem Glockengeräusch bei einem Pegel von 60dB und höher aufwacht. Die Studie zeigt hingegen, dass schon bei geringerer Lautstärke mit einer Störung des Schlafes gerechnet werden kann. Die meisten Aufwachreaktionen wurden von den betroffenen Personen jedoch nicht wahrgenommen. Dies liegt daran, dass der Mensch in einer durchschnittlichen Nacht auf natürliche Art und Weise 20 bis 30 mal spontan aufwacht. Deshalb stellen die auf Glockengeräusche zurückzuführenden Reaktionen grundsätzlich keine Verschlechterung der Schlafqualität dar.

Im Rahmen der Studie wurde zudem eine Schätzung durchgeführt, wie stark die nächtlichen Zeitschläge das Schlafverhalten der Zürcher Bevölkerung beeinflusst. Die Forscher kamen zum Ergebnis, dass bis zu einem Abstand von 150 Meter von reformierten Kirchen pro Nacht mit mindestens einer Aufwachreaktion gerechnet werden kann. Im ganzen Kanton sind davon rund 25‘000 Einwohner betroffen.

Wiederstand gegen nächtliche Glockenschläge

Einigen ist das Geläut ein Dorn im Auge. Seit Jahren setzt sich die IG Stiller für einen «rücksichtsvollen Glockengebrauch» ein, wie sie auf ihrer Webseite verlauten lässt. Bis anhin hatte die Interessengemeinschaft mit ihrem Anliegen jedoch keinen Erfolg. Ihre Forderung, die Glocken in der Nacht verstummen zu lassen, wurde von allen Instanzen bis hin zum Bundesgericht abgeschmettert. Als Begründung wurde angegeben, dass der Tradition des nächtlichen Glockenschlags mehr Gewicht beigemessen würde als dem subjektiven Lärmempfinden der betroffenen Personen.

Grundsätzlich wäre diese Problematik einfach zu lösen. Simulationsrechnungen der ETH-Forscher haben gezeigt, dass die negative Wirkung der Glockenschläge durch eine Reduktion von 5 oder mehr dB massgeblich vermindert werden kann. Möglich wäre zudem eine Aussetzung der Zeitschläge zwischen Mitternacht und sieben Uhr morgens. In einzelnen Zürcher Gemeinden wie Greifensee ist dies heute schon der Fall. Radikaler gehandelt haben die Katholiken in Feuerthalen. Ihre Kirchenglocken läuten nur noch bei Hochzeiten, Beerdigungen und kirchlichen Festen. Ähnlich verhält es sich im nahen Ausland. Italien und Frankreich beispielsweise kennen keinen nächtlichen Zeitschlag zu jeder Viertelstunde.