Veröffentlicht: 27.04.11
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Geballte Ladung Energiekompetenz

Seit dem Atomreaktor-Unfall in Fukushima stehen nationale und globale Energieszenarien im Interesse der Öffentlichkeit. Der ETH-Rat präsentierte deshalb an seiner Jahrespressekonferenz Forschungsbeiträge aus dem ETH-Bereich, die als Grundlage für eine Diskussion über eine nachhaltige Schweizer Energiezukunft dienen.

Samuel Schläfli
ETH-Professor Marco Mazzotti und Empa-Direktor Gian-Luca Bona informierten die Öffentlichkeit über Forschungsprojekte im Energiebereich. (Bild S. Schlaefli / ETH Zürich)
ETH-Professor Marco Mazzotti und Empa-Direktor Gian-Luca Bona informierten die Öffentlichkeit über Forschungsprojekte im Energiebereich. (Bild S. Schlaefli / ETH Zürich) (Grossbild)

Die Journalisten wollten an der diesjährigen Pressekonferenz des ETH-Rats im Bundeshaus in Bern vor allem eines wissen: Ist eine Schweizerische Energieversorgung ohne AKWs heute möglich? Und welche Haltung nehmen die Forschungsinstitutionen des ETH-Bereichs nach dem Unglück in Fukushima der Atomenergie gegenüber ein?

Fritz Schiesser, Präsident des ETH-Rats, stellte jedoch gleich zu Beginn klar, dass es nicht am ETH-Rat ist, über die zukünftige Schweizer Energieversorgung zu urteilen. Vielmehr hätten die sechs Institutionen des ETH-Bereichs (ETH, EPFL, PSI, EMPA, WSL, EAWAG) die Aufgabe, mit ihrer Forschung wissenschaftliche Grundlagen zu erarbeiten, die der Politik als Basis zur Entscheidungsfindung dienen. Entsprechend gaben vier Energieexperten des ETH-Bereichs Einblick in ihre Forschung und zeigten Möglichkeiten und Herausforderungen unterschiedlicher Formen nachhaltiger Energieproduktion.

Boden als Energiequelle und CO2-Speicher

Marco Mazzotti, Professor für Verfahrenstechnik an der ETH Zürich, stellte eine neue Generation von Gaskombikraftwerken vor, mit deren Leistung von rund 400 Megawatt ein Kernkraftwerk des Typs Mühleberg ersetzt werden könnte. Da dadurch aber rund eine Million Tonnen zusätzliche CO2-Emissionen pro Jahr anfallen, mache die Technologie nur in Kombination mit einer CO2-Abtrennung von Abgasen Sinn.

Das CO2 soll künftig dauerhaft im Boden eingelagert werden, wie es in entsprechenden Kraftwerke in Norwegen und Deutschland bereits gemacht wird. Dafür wird das Gas in poröse Schichten in rund 900 Meter Tiefe gepresst. Mazzottis Forschungsgruppe untersucht im Rahmen des Projekts CARMA die technische, politische und wirtschaftliche Machbarkeit und das Potential einer solchen CO2-Speicherung in der Schweiz. Bis man die Risiken und das Potential eines grossen Schweizer Gaskombikraftwerks mit CO2-Abscheidung richtig einschätzen kann, sind laut Mazzotti noch rund zehn Jahre Forschung und Entwicklung auf dem Gebiet nötig. Teil dieser Abklärungen soll ein erster Schweizer Feldversuch mit der Einlagerung von 20'000 Tonnen CO2 während zwei Jahren sein.

Darüber hinaus strebt Mazzotti einen zusätzlichen Feldversuch zur Energiegewinnung über tiefe Geothermie an. Die Wärme im Erdinnern stelle eine kaum erschöpfbare Energiequelle dar, sagte der Forscher. Mit neuen Systemen soll zukünftig noch wesentlich mehr Energie aus dem Boden geholt werden als in bereits realisierten Projekten. Dafür ist jedoch weitere Forschung zur Reservoirerschliessung in 4000 bis 5000 Meter Tiefe nötig. Die Departemente Erdwissenschaften und Maschinenbau der ETH Zürich haben deshalb für das Vorantreiben der Geo-Energie zwei neue Professuren beantragt, deren Finanzierung zurzeit geprüft wird.

Gülle-Kraftwerke und gedruckte Solarzellen

Alexander Wokaun, Leiter des Bereichs Allgemeine Energie am PSI, gab in seinem Referat Einblick in neuste Technologien zur Energiegewinnung aus Abfällen. Biomasse sei in der Schweiz die zweitwichtigste erneuerbare Energiequelle nach Wasserkraft, sagte Wokaun. Mit Holzabfällen, die vergast und katalytisch in Methan umgewandelt werden, könnte eine dezentrale Stromversorgung über Gasmotoren betrieben werden.

Das Gas könnte aber auch für den Antrieb von Fahrzeugen genutzt und die Abwärme von Kraftwerken für die Warmwasseraufbereitung verwertet werden. Wokauns Team forscht auch an Alternativen zu Holz. Wasserhaltige Biomasse, wie zum Beispiel Gülle, Klärschlamm oder Algen, soll künftig bei hoher Temperatur und grossem Druck in Methan umgewandelt werden. Das PSI plant zurzeit eine Pilotanlage dafür.

Empa-Direktor Gian-Luca Bona widmete sein Referat den Fortschritten in der Solartechnologie. Während Solarzellen der ersten Generation noch aus Siliziumkristallen gefertigt wurden, wird die dritte Generation auf lichtaktiven Dünnfilmfolien oder auch aus Farbstoffen auf Plastik oder textilem Gewebe basieren. Um die von der EMPA entwickelten anorganischen Dünnfilmsolarzellen mit einem Wirkungsgrad von über 18 Prozent grossflächig einzusetzen, sei nun die Zusammenarbeit mit der Industrie nötig, sagte Bona. Ihm schwebt mittelfristig eine Art Drucktechnik für entsprechende Dünnfilmsolarzellen vor. Diese wären dann nicht nur dünn und biegsam, sondern sie liessen sich auch viel kostengünstiger produzieren.

Wasserkraft besser ausschöpfen

Wasserkraft ist mit 16 Prozent Anteil an der weltweiten Stromerzeugung nach wie vor die am meist genutzte erneuerbare Energiequelle. Massimiliano Capezzali, stellvertretender Leiter des Energy Centers der EPFL Lausanne, machte deshalb auf die wichtige Rolle der Wasserkraft und Pumpspeicherwerke zur Produktion und vor allem Speicherung von Elektrizität aufmerksam. Durch die Renovation und Vergrösserung von Schweizer Kraftwerken könnte die heutige Energieproduktion noch wesentlich gesteigert werden, ist Capezzali überzeugt. In zwei Forschungsprojekten modelliert und simuliert die EPFL deshalb gemeinsam mit Partnern aus der Industrie Optimierungspotenziale von Schweizer Pumpspeicherwerken.

So unterschiedlich die präsentierten Forschungsansätze sind, in einem Punkt waren sich alle Experten einig: Ein nachhaltiges Energieszenario wird sich immer aus einem Mix verschiedener Technologien zusammensetzen. Diesen weitsichtig zu planen, ist am Ende Aufgabe der Politik.

ETH-Bereich an internationaler Spitze

Neben den Beiträgen des ETH-Bereichs zur nationalen und globalen Energiediskussion ging ETH-Ratspräsident Fritz Schiesser in seinem Einführungsreferat auf die Leistungen der ETH-Institutionen im vergangenen Jahr ein. Sehr erfreut zeigte er sich über die guten Plätze, die sowohl die ETH Zürich als auch die EPF Lausanne 2010 in internationalen Hochschulrankings erreicht hatten. Gleichzeitig hat eine Wirkungsanalyse der Publikationstätigkeit im Auftrag des ETH-Rats gezeigt, dass die Wirkung der Forschung sämtlicher Institutionen im internationalen Vergleich überdurchschnittlich hoch ist.

Nicht zuletzt freute sich Schiesser darüber, dass bei der Flagship-Initiative der EU gleich drei von insgesamt sechs zur weiteren Prüfung vorgeschlagenen Projekten von der ETH und der EPFL koordiniert werden. Die EU-Forschungskommission will ab 2013 ein bis zwei europäische Grossprojekte, so genannte Flagship-Projekte, mit bis zu einer Milliarde Euro fördern.

Auch die Studierendenzahlen haben sich im letzten Jahr positiv entwickelt. 2010 studierten im Vergleich zum Vorjahr 6,9 Prozent mehr Studierende an den ETHs, insgesamt sind es aktuell 24'104. Gleichzeitig hat sich jedoch das Betreuungsverhältnis in den letzten drei Jahren verschlechtert, weil die zusätzlichen Professuren mit dem Studierendenwachstum nicht Schritt halten konnten. Um die Qualität der Lehre zu erhalten, müsse der ETH-Bereich deshalb stark in die Betreuung und in die Infrastruktur investieren, sagte Schiesser.

Jahresbericht der ETH Zürich

Rechtzeitig zur Jahresmedienkonferenz des ETH-Rats publizierte die ETH Zürich am Mittwoch ihren Jahresbericht. Der Bericht kann ab sofort in Deutsch oder Englisch bei der Versandzentrale der ETH Zürich bezogen oder von der ETH-Website als PDF heruntergeladen werden.