Veröffentlicht: 15.03.11
Science

Wegweiser für personalisierte Krebsmedizin

Zellbiologen der ETH haben in Zusammenarbeit mit Kollegen der Uni Zürich ein neues Krebsgen entdeckt, das ausschliesslich in einer Untergruppe von Patientinnen mit aggressivem Eierstock-Krebs aktiviert ist. Dieses Gen verhindert, dass diese Krebszellen absterben und Chemotherapeutika effizient wirken. Die Entdeckung ebnet den Weg zur Entwicklung einer individualisierten Therapie, die auf diese Gruppe zugeschnitten ist.

Peter Rüegg
Zellen einer bestimmten Untergruppe des Ovarialkarzinoms haben ein amplifiziertes Gen, das URI-Gen, welches den Zelltod verhindert. (Bild: keystone / Scientific Photo Library)
Zellen einer bestimmten Untergruppe des Ovarialkarzinoms haben ein amplifiziertes Gen, das URI-Gen, welches den Zelltod verhindert. (Bild: keystone / Scientific Photo Library) (Grossbild)

Ovarialkarzinome sind oft bösartige Tumore in den Eierstöcken von Frauen. Der Krebs wächst schnell, bildet frühzeitig Ableger, so genannte Metastasen, in anderen Organen und bleibt dennoch lange unbemerkt. Das erschwert die Behandlung, da der Krebs in einem Spätstadium kaum mehr erfolgreich bekämpft werden kann.

ETH-Forscher um den Zellbiologie-Professor Wilhelm Krek haben nun bei einem Untertyp des Ovarialkarzinoms ein so genanntes Onkogen entdeckt, das bei der Entwicklung des Eierstock-Krebses eine zentrale Rolle spielt. Damit bietet es auch einen viel versprechenden Ansatz zur Behandlung dieser schweren Krankheit. Ihre Erkenntnisse haben sie soeben in der jüngsten Ausgabe von Cancer Cell publiziert.

Zellen sind süchtig nach URI

In normalen Zellen sind stets verschiedene Signalwege aktiv. Diese regeln verschiedene Zellfunktionen wie Wachstum, Stoffwechsel oder Teilung. Mutationen im Genom einer Zelle können aber das fein austarierte Gleichgewicht stören, und ein Signalweg kann hyperaktiv werden – eine wichtige Voraussetzung für die Entstehung von Tumoren. Obschon Forscher das Genom von bereits hunderten verschiedener Krebszellen entschlüsselten und dabei auf unzählige Mutationen gestossen sind, stellt sich immer mehr heraus, dass nur einige wenige dieser Veränderungen im Erbgut ursächlich mit der Tumorentwicklung verknüpft sind. Von solchen so genannten onkogenen Mutationen werden Krebszellen abhängig. Überdies sterben sie ab, wenn das Onkogen gehemmt wird. «Das Überleben jeder Krebszelle ist abhängig von ganz wenigen spezifischen Mutationen, die die Zelle süchtig machen nach dem jeweiligen Onkogen», sagt Wilhelm Krek.

Im Fall einer spezifischen Untergruppe von Ovarialkarzinomen heisst das süchtig-machende Onkogen «URI». Dieses manipuliert einen Signalweg, der in normalen Zellen das Überleben der Zelle sicherstellt. Interessanterweise liegt in rund zehn Prozent aller Eierstock-Krebse URI nicht einzeln vor, sondern es ist amplifiziert. Das heisst, im Zellgenom der Krebszellen sind mehrere Kopien davon enthalten. Die URI-Gene werden denn auch fleissig als Vorlage für die Herstellung des Uri-Proteins genutzt. «Nur solche Eierstockkrebszellen sind URI-süchtig, die eine Amplifikation des URI-Gens aufweisen», betont Krek.

Das hat weitreichende Konsequenzen. Die Forscher konnten zeigen, dass Eierstockkrebszellen mit der URI-Amplifikation gegen Chemotherapeutika, die auf Platin basieren und im Krankheitsfall zuerst verabreicht werden, resistent sind. Die Krebszellen sterben allerdings sofort ab, wenn bei ihnen das Uri-Protein ausgeschaltet wird.

Das Uri-Protein, dessen Bauplan das URI-Gen ist, hebt eine negative Rückkopplungsschlaufe aus den Angeln, indem es an ein Enzym, die Phosphatase PP1-gamma, bindet und hemmt. Freies PP1-gamma ist jedoch nötig, um das Absterben der Zelle in die Wege zu leiten. Ist dieses Enzym gehemmt, dann erhält die Zelle über zwei Rezeptormoleküle auf der Oberfläche von Mitochondrien, den Zellkraftwerken, das Signal zum Weiterleben. Das kann schliesslich zur Tumorentwicklung führen.

Krebsmedizin wird individuell

Mit der Kenntnis des Genoms von Krebszellen wird die personalisierte Medizin Wirklichkeit. So kennt die Forschung bereits bei der Hälfte aller Lungenkrebs-Fälle das süchtig machende Onkogen. In sieben Prozent der Fälle sind die Lungenkrebszellen einer Tyrosin-Kinase verfallen. Das Gen, welches dieses Enzym verschlüsselt, liegt in diesem Typ von Krebszellen in mehreren Kopien vor. Wird diese Kinase aber mit einem spezifischen Wirkstoff, der wie ein Schlüssel ins Schloss passt, gehemmt, kann der Tumor zum Verschwinden gebracht werden.

Das funktioniert im Mausmodell auch mit dem URI-Gen: Mit einer URI-Inhibition konnte Kreks Forschungsteam bei Mäusen das Tumorwachstum von Eierstockkrebszellen mit Amplifikation des URI-Gens verhindern.

Das Ziel der personalisierten Medizin ist eine auf die individuellen molekularen Merkmale der Patienten und ihrer Erkrankung zugeschnittene Behandlung. Dazu braucht es präzise Diagnoseverfahren und auf spezifische Patientengruppen massgeschneiderte, innovative Therapien. Die Entdeckung eines neuen Onkogens, das selektiv für das Überleben von Eierstock-Krebszellen mit der Amplifikation des URI-Gens essentiell ist, nährt die Hoffnung, dereinst einen effizienten Weg sowohl zur Klassifizierung als auch zur Behandlung dieser Krebsuntergruppe mit massgeschneiderten Medikamenten gefunden zu haben.

Zusammenarbeit nach Mass

Den Erfolg für ihre Studie verdanken die ETH-Biologen auch der Zusammenarbeit mit Professor Holger Moch vom Institut für Klinische Pathologie der Universität Zürich. Er verfügt über eine Sammlung von tausenden von Gewebeproben, die er den ETH-Forschern für ihre Untersuchungen zur Verfügung stellte. «Seine Sammlung ist eine einzigartige Quelle, ohne die wir nicht derart rasch die Mechanismen herausgefunden hätten und ohne die auch keine Kohortenstudien möglich wären», weiss Wilhelm Krek die Zusammenarbeit mit dem Pathologen zu schätzen. Zudem tauschen die beiden Institute nicht nur Gewebeproben, sondern auch Leute: Forscher von Uni und ETH Zürich arbeiten seit Jahren im Rahmen des Kompetenzzentrums für Stoffwechselkrankheiten (CC-SPMD) fruchtbar über die Disziplinengrenzen hinaus zusammen.

Literaturhinweis

Theurillat JP, Metzler SC, Henzi N, Djouder N, Helbling M, Zimmermann A-K, Jacob F, Soltermann A, Caduff R, Heinzelmann-Schwarz V, Moch H and Krek W. URI is an Oncogene Amplified in Ovarian Cancer Cells and Required for Their Survival. Cancer Cell, Volume 19, Issue 3, 8 March 2011, 317-33.

 
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