Veröffentlicht: 09.03.11
Science

Neue Armeen für Europa

Neue Bedrohungen, veränderte Machtgefüge und Spardruck sind die Ursachen dafür, dass sich Armeen und Bündnisse in Europa tiefgreifend wandeln müssen – mit einer Ausnahme. Dies war der Tenor an der Frühjahrstagung der Militärakademie an der ETH Zürich.

MM / Redaktion
Der Schweizer Divisionär Jean-Pierre Badet in Diskussion mit Dennis Gyllensporre von der schwedischen Armee. (Bild: zVg MILAK)
Der Schweizer Divisionär Jean-Pierre Badet in Diskussion mit Dennis Gyllensporre von der schwedischen Armee. (Bild: zVg MILAK) (Grossbild)

Rund 300 Teilnehmer folgten der Einladung zur diesjährigen Frühjahrstagung der Militärakademie an der ETH Zürich. «Sicherheit durch Kooperation – Streitkräfteentwicklung in Europa» lautete der Titel der Veranstaltung. Für MILAK-Direktor Brigadier Daniel Lätsch war das Ziel der Tagung, «zu sehen, in welche Richtung sich andere Streitkräfte in Europa entwickeln und zu verstehen, weshalb sie das tun.»

Professionalisierung der Armeen

 «Die aktuelle europäische Sicherheitsarchitektur hat sich in den vergangenen zehn Jahren fundamental gewandelt», sagte Tagungsleiter Mauro Mantovani, Dozent für Strategische Studien an der MILAK. Heute seien Armeen mit einer Ausrichtung auf robuste Auslandseinsätze gefragt. Zudem bedient man sich bei militärischen Operationen verstärkt der modernen Informationsnetzwerke. Auch hat die militärisch-zivile Zusammenarbeit immens an Bedeutung gewonnen. Die Armee müsse zunehmend das Vertrauen der Bevölkerung gewinnen sowie die zivile Aufbauarbeit unterstützen. Konsequenz dieser Entwicklung sei, dass die Armeen immer professioneller werden. Als Nebeneffekt sterbe die allgemeine Wehrpflicht aus. Gleichzeitig hätten die EU ihr sicherheitspolitisches Profil erheblich schärfen können.

Einen Transformationsprozess hat auch die NATO durchlaufen. Dies verdeutlichte Generalmajor Horst-Heinrich Brauss, der die Abteilung für zivil-militärische Zusammenarbeit im EU-Militärstab leitet. Angesichts neuer Bedrohungen wie Terrorismus, Piraterie und Angriffe auf staatliche Infrastruktur aus dem Internet hat sich die Allianz im November 2010 ein neues Strategisches Konzept gegeben. Dies sei auch notwendig geworden, da die NATO seit 1999 zwölf neue Mitglieder habe. Die neuen Kernfunktionen der NATO sind nun kollektive Verteidigung, Krisenmanagement und kooperative Sicherheit. «Alle drei stehen gleich nebeneinander, und das ist neu», sagte Brauss. Gleichzeitig verfolgt man nun einen ganzheitlichen zivil-militärischen Ansatz bei der internationalen Krisenbewältigung – eine Lehre aus den Einsätzen der vergangenen Jahre. Ausserdem wird Russland, so Brauss, als strategischer Partner von grosser Bedeutung anerkannt. So ist eine Kooperation beim Aufbau einer gemeinsamen Raketenabwehr geplant. Die Aufgabenteilung zwischen NATO und EU, so stellte Brauss fest, sei jedoch noch nicht geklärt.

Neue Ausrichtung für mehr Bündnisfähigkeit

Über den tiefgreifenden Wandel in der deutschen Bundeswehr berichtete Ulrich Schlie, Leiter Planungsstab im Bundesministerium der Verteidigung. Das Ziel der Neuausrichtung sei die Bündnisfähigkeit und damit verbunden die Gestaltungsfähigkeit sowie die Unterstützung der Aussenpolitik mit dem Ziel, das Ansehen Deutschlands in der Welt mitzubestimmen. Man denkt nun nicht mehr ausschliesslich in nationalen Verteidigungsszenarien, sondern vielmehr vom Einsatz her. Ausserdem wurde vor kurzem die Wehrpflicht abgeschafft. Dadurch entwickelt sich auch die Bundeswehr zu einer Freiwilligenarmee. Die gemeinsame europäische Sicherheitspolitik sieht er als eine Chance für Europa, international mehr gestalten zu können.

Brigadier General Dennis Gyllensporre, Head Development Department der schwedischen Streitkräfte, skizzierte in seinem Beitrag über den Veränderungsprozess der Schwedischen Armee – «from Isolation to Participation». Schweden verfolgte als neutraler Staat viele Jahrzehnte lang Autarkiebestrebungen, unterhielt eine ausgesprochen grosse Territorialarmee mit der zeitweise sogar viertstärksten Luftwaffe der Welt. Erst mit dem EU-Beitritt in den 1990er-Jahren hat sich Schweden von diesem Konzept abgewandt und begonnen, sich an NATO-Operationen im Balkan zu beteiligen. Gleichzeitig habe die Armee viel Personal abgebaut. Heute verstehe sich Schweden als Teil eines Sicherheitsbündnisses innerhalb der EU und der nordischen Nachbarn. Schweden mit einem Kontingent von zirka 500 Mann auch an der internationalen ISAF-Operation in Afghanistan teil. Nach Abschaffung der Wehrpflicht bemüht sich die schwedische Armee verstärkt, als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen zu werden. Der Transformationsprozess dauere an.

Mut zur Kooperation auch für die Schweiz

In der anschliessenden Podiumsdiskussion unter Leitung von Mauro Mantovani waren sich die Diskutanten einig, dass die grösste Gefahr für Europa aktuell in zerfallenden Staaten wie Afghanistan liegt. Daher sei die militärische Transformation von eher statischen nationalen Strukturen zu modernen, multifunktionalen und international kooperierenden Streitkräften der richtige Weg. Weiterhin hoben die Diskutanten hervor, dass die Neuausrichtung der Armeen auch ein verändertes Verständnis von der Rolle des Militärs verlange. Dies gelte nicht nur für die Soldaten und Offiziere, sondern auch für Bevölkerung und Politik. Die neuen Möglichkeiten der Kooperation zwischen den Armeen könnten aber nur dann umgesetzt werden, wenn auch der politische Wille dazu gegeben sei. Divisionär Jean-Pierre Badet, Militärischer Vertreter der Schweiz bei der NATO, forderte hier auch für die Schweiz mehr Offenheit: Sie könne von einer verstärkten Kooperation mit anderen Armeen, auch bei Auslandseinsätzen, nur profitieren.

 
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