«Ohne neue IP-Adressen wächst das Internet nicht»
Im Internet hat jeder Computer eine Adresse, die sogenannte IP-Nummer. Jetzt gehen die 4.3 Milliarden Adressen zur Neige. Bernhard Plattner, Professor für Technische Informatik an der ETH Zürich, erklärt, warum das Internet trotzdem nicht zusammenbricht und weshalb Anonymität im Netz ein Mythos ist.
Herr Plattner, die
IP-Adressen gehen aus. Bricht bald das Internet zusammen?
Keineswegs.
Die Reserven der IANA sind zwar aufgebraucht, aber noch lagern Millionen
ungenutzter IP-Adressen bei den regionalen IP-Verwaltungszentren und
Internet-Providern. Ausserdem steht seit langem der Nachfolger des bisherigen
Systems «IP Version 4» (IPv4) bereit, das IPv6.
Wie kann diese neue
Generation von IP-Adressen dem Mangel entgegenwirken?
Die
neuen IPv6-Adressen sind viermal so lang wie die bisherigen IPv4-Adressen.
Waren mit der alten Version insgesamt 4,3 Milliarden Varianten möglich, sind es
mit der neuen Version 340 Sextillionen. Das entspricht 340-mal einer Eins mit
36 Nullen – beziehungsweise 667 Billiarden IP-Adressen pro Quadratmillimeter
der gesamten Erdoberfläche. Das dürfte vorerst reichen. Doch natürlich weiss
niemand, wie das Internet in 50 Jahren aussehen wird.
Was geschieht, wenn das
IPv6-System nicht rechtzeitig implementiert wird?
Es
ist davon auszugehen, dass in Europa, Nordamerika und Asien zwischen Mai und
September 2011 die alten IPv4-Adressen aufgebraucht sind. Wenn künftig ein
lokaler Internet-Provider neue IP-Adressen beantragt, erhält er gerade noch
1024 Adressen. Das ist eine lächerlich kleine Zahl. Und sind die Adressen
einmal aufgebraucht, wird auch ein Start-Up-Unternehmen, das bei einem Provider
lediglich zehn neue Adressen beantragt, leer ausgehen. Kurz: Ohne IPv6 kann das
Internet nicht mehr weiter wachsen.
Das neue System steht
seit 13 Jahren bereit. Weshalb sind wir jetzt plötzlich unter Zeitdruck?
Die
Umstellung auf IPv6 bedeutet Arbeit und kostet Geld. Je grösser ein Netzwerk
ist, desto höher sind die Kosten – weshalb bisher viele Unternehmen die
Umstellung hinausgezögert haben. Die gute Nachricht: Die meisten
internetfähigen Endgeräte, also Computer, Mobiltelefone und dergleichen, sind
bereits IPv6-kompatibel. Der Endverbraucher dürfte also wenig von der
Umstellung mitbekommen – sofern sie bei den Providern reibungslos über die
Bühne geht.
Was, wenn ein
Unternehmen mit der Umstellung überfordert ist?
In
der Schweiz bildet das «Swiss IPv6
Council» eine Anlaufstelle. Global gesehen lohnt sich ein Blick nach Asien,
wo die IPv6-Implementierung bereits weit fortgeschritten ist. Da man in Asien
bei der IPv4-Verteilung eher restriktiv war, ist IPv6 bei den Unternehmen
relativ beliebt. Doch viele Schweizer Unternehmen, zum Beispiel auch die ETH,
scheinen gut gerüstet.
Wer privat im Internet
surft, bekommt bis anhin vom Provider eine dynamische, anonyme IP-Adresse
zugeteilt. Können die neuen IP-Adressen weiterhin Anonymität gewährleisten?
Mit
dem neuen System bekommt wahrscheinlich jedes Gerät eine eigene, feste
IP-Adresse, die damit theoretisch direkt zur Identität des Nutzers führt. Doch
auch diese Verbindung kann über dynamische IP-Adressen verschleiert werden. Aus
meiner Sicht gehört der Mythos der vollständigen Anonymität im Internet aber
sowieso der Vergangenheit an – IP-Adressen hin oder her.
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