Veröffentlicht: 26.01.11
Campus

«Frauen nicht gleich, sondern gleichwertig behandeln!»

Vor wenigen Wochen hat die ETH Zürich ihr erstes «Gender-Monitoring» vorgestellt. Es zeigt unter anderem, dass der ETH viele Frauen auf dem Weg vom Studium zur Professur verloren gehen. ETH-Präsident Ralph Eichler und Renate Schubert, Delegierte für Chancengleichheit, nehmen im Interview Stellung zu den Ergebnissen.

Interview: Samuel Schläfli und Thomas Langholz
ETH-Präsident Ralph Eichler und Renate Schubert im Gespräch (Bilder: P. Rüegg / ETH Zürich)
ETH-Präsident Ralph Eichler und Renate Schubert im Gespräch (Bilder: P. Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Eichler, viele Hochschulen beschäftigen sich heute mit dem Thema Gleichstellung. Gehört das kürzlich vorgestellte «Gender-Monitoring» also einfach zum guten Ton einer modernen Hochschule?
Ralph Eichler: Nein, mit dem Monitoring und unserem Engagement dafür, den Frauenanteil im akademischen Bereich der ETH zu erhöhen, kommen wir einerseits dem politischen Auftrag vom Bund nach. Andererseits weiss man von anderen hochkarätigen Hochschulen, dass Diversität – und dazu gehört auch ein hoher Frauenanteil – ein Erfolgsfaktor ist. Das sehen auch der ETH-Rat und die Schweizerische Universitätskonferenz so.

Renate Schubert: Zudem ist das Engagement der ETH nicht neu. «Equal!», die Stelle für Chancengleichheit von Frau und Mann an der ETH Zürich, gibt es bereits seit 20 Jahren.

Frau Schubert, ein besonderer Fokus des Gender-Monitorings lag auf dem Phänomen der «Leaky Pipeline». Was versteht man genau darunter und weshalb ist es für die Hochschule ein Problem?
Schubert: Die «Pipeline» steht symbolisch für den akademischen Werdegang. Bei den Frauen hat diese Pipeline «Löcher»; sie leckt. Der Frauenanteil bei den Studierenden an der ETH liegt bei rund 30 Prozent, bei den Professuren jedoch nur noch bei zehn Prozent. Das heisst, dass wir auf dem akademischen Weg zu viele Frauen verlieren. In einigen Departementen schrumpft der Frauenanteil sogar noch viel drastischer als von 30 auf zehn Prozent. Dadurch geht uns viel Potential verloren. Wir wollen daher die Löcher stopfen und dafür sorgen, dass der Frauenanteil von den Studierenden bis zu den Professuren ungefähr konstant bleibt und möglichst höher ausfällt als bisher.

Vor 20 Jahren, als diejenigen Frauen studierten, die heute eine Professur besetzen könnten, gab es noch wesentlich weniger Studentinnen als heute. Wird sich das Problem also mit der Zeit von alleine lösen?
Eichler: Wir sehen tatsächlich, dass bei den Assistenzprofessuren und jüngeren Professuren der Frauenanteil höher ist. Das spricht für die von Ihnen genannte Entwicklung.

Schubert: Das stimmt. Doch ein Vergleich der Anzahl Studentinnen vor 20 Jahren mit der Anzahl Professorinnen heute zeigt auch, dass dem akademischen Betrieb tatsächlich viele Frauen verloren gingen. Dagegen müssen wir unabhängig von zunehmenden Studentinnenzahlen etwas unternehmen. Es gibt keinen Automatismus, der dafür sorgen würde, dass die Leaky Pipeline in zehn oder 20 Jahren kein Problem mehr ist.

Herr Eichler, wo könnten Ihrer Meinung nach Ursachen für die «Leaky Pipeline» an der ETH Zürich liegen?
Eichler: Frauen stehen oft vor der Herausforderung ihren Familienwunsch mit einer akademischen Karriere unter einen Hut zu bringen. Doch als Professor oder Professorin muss man heute raus aus dem Labor und seine Ergebnisse auf Konferenzen präsentieren und sich ein karriereförderndes Netzwerk aufbauen. Das beansprucht viel Zeit. Haben Frauen diese Zeit nicht, weil sie sich um ihre Kinder kümmern, so entstehen ihnen später berufliche Nachteile. Deshalb halte ich auch wenig von «Entlastungen» der Professorinnen anhand von weniger Unterrichtstunden, weniger Mitgliedschaften in Kommissionen oder weniger Konferenzbesuchen. Wichtiger ist, dass wir die Frauen zuhause in den Familien entlasten.

Inwiefern bietet die ETH Akademikerinnen in diesem Bereich Unterstützung?
Schubert: Die ETH tut viel in dieser Hinsicht: Mit einer Beteiligung an der Stiftung KiHZ sowie mit der Krippe KIKRI bietet sie Hilfe bei der Kleinkinderbetreuung. Und sie plant finanzielle Zuschüsse für Konferenzbesuche, damit sich Frauen eine Kinder-Betreuung zu Hause leisten können. Gleichzeitig unterstützt sie eine flexible Arbeitszeit, die für ein Nebeneinander von Beruf und Familie wichtig ist.

Das Monitoring hat auch gezeigt, dass die meisten Professorinnen an der ETH aus dem Ausland stammen. Woran liegt das?
Schubert: Das hat sicher viel mit gesellschaftlichen Rollenbildern zu tun. Die ganztätige Kinderbetreuung zum Beispiel ist in der Schweiz noch ein relativ junges Phänomen. Vor zwei Jahrzehnten galt diese in der Schweiz noch als indiskutabel. Länder, wie Frankreich oder die USA, haben damit schon viel mehr Erfahrung.

Aber auch auf Masterstufe zeigt sich, dass im Verhältnis sehr viele Studentinnen aus dem Ausland an die ETH kommen. Dort spielt die Kinderbetreuung noch keine grosse Rolle. Gibt es andere Erklärungen?
Eichler: Auch das hat mit dem Rollenbild zu tun. Wenn schon die Mütter der jungen Leute studiert und gearbeitet haben, ist die Wahrscheinlichkeit höher, später einmal dasselbe zu tun.

Sie sprechen gesellschaftliche Normen an. Wenn diese dermassen bestimmend sind stellt sich die Frage, ob die ETH überhaupt etwas bewirken kann?
Schubert: Wir alleine können das Gender-Problem sicherlich nicht lösen. Wir können aber beispielsweise unsere Studieninhalte so anpassen, dass sie für Frauen attraktiver werden. In der Robotik etwa hat sich gezeigt, dass Frauen viel stärker an Anwendungen zur Unterstützung des Menschen interessiert sind als Männer. Diese lassen sich eher durch die Idee eines Fussball spielenden Roboters oder ähnlicher «Spielzeuge» begeistern.

Gleichstellungsbeauftragte in den Departementen berichten jedoch, dass speziell an Frauen adressierte Kurse meist nicht gut ankommen. Eine Zwickmühle?
Schubert: Um auf das Roboterbeispiel zurückzukommen: Frauen und Männer könnten sowohl den Hilfs- als auch den Fussballroboter realisieren. Bislang wurden jedoch Aspekte, die speziell für Frauen interessant sind, zu wenig berücksichtigt; schliesslich wurden die Studieninhalte ja auch fast ausschliesslich von Männern definiert. Man muss akzeptieren, dass es punkto Motivation und Interessen Unterschiede zwischen Männern und Frauen gibt und diesen auch in der Lehre Rechnung tragen.

Eichler: Wir müssen akzeptieren, dass Frauen und Männer nicht gleich, sondern gleichwertig sind. Die grosse Herausforderung besteht darin, dies auch in der Lehre umzusetzen.

Welche konkreten Massnahmen sollen nun anhand des Gender-Monitorings getroffen werden?
Eichler: Wir wollen die Motivation für das Ausscheiden von Frauen aus dem akademischen Bereich der ETH besser verstehen und herausfinden, wohin die Frauen nach einem Absprung von der ETH gehen. Wir haben dazu eine sogenannte Kohortenanalyse angedacht, bei der wir einen Studiengang über eine bestimmte Zeit begleiten werden. Asserdem ist eine Austrittsbefragung geplant. Wer weiss, vielleicht gehen die Akademikerinnen der Wissenschaft ja gar nicht verloren, sondern wechseln einfach an eine andere Hochschule.

Schubert: Wir haben auch gesehen, dass das Potential bei den Studienanfängerinnen noch nicht ausgeschöpft ist. Der Anteil an Maturandinnen mit naturwissenschaftlichem Abschluss ist deutlich höher als 30 Prozent. Deshalb planen wir im Rahmen von «ETH unterwegs» eine Maturandinnenbefragung durchzuführen. Wir wollen herausfinden, weshalb junge Frauen sich nicht für ein Studium an der ETH entscheiden. Im Übrigen wollen wir auch die Wirksamkeit von unterschiedlichen Massnahmen zur Frauenförderung im akademischen Bereich überprüfen, damit wir Gelder in Zukunft noch zielgerichteter einsetzen können. Best-Practise Beispiele aus dem Ausland werden dabei sicher hilfreich sein.

Der Monitoringbericht erschien letztes Jahr zum ersten Mal. Ist dieses Monitoring nun ein fester Bestandteil der ETH und wird regelmässig wiederholt?
Schubert: Ja, wir werden das Monitoring alle drei Jahre wiederholen. Zudem sollen die Zahlen zukünftig permanent beim Controlling der ETH erhoben werden. Damit können wir den Frauenanteil quasi in Echtzeit beobachten und bei negativen Entwicklungen frühzeitig eingreifen.

Bei Männern könnte leicht der Eindruck entstehen, dass die Frauen an der ETH hofiert werden. Wie stellen Sie sicher, dass trotz der Anstrengungen für eine höhere Frauenquote den Männern keine Nachteile entstehen; die Gleichstellung also auch anders herum gegeben ist?
Schubert: Solche Befürchtungen gibt es tatsächlich. Kürzlich hat sich jemand bei mir beklagt, dass Männer von bestimmten Kursen ausgeschlossen seien. Das stimmt tatsächlich: Männer können an vielen Kursen im Rahmen der Mentoring-Programme für Frauen nicht teilnehmen. Es macht aber durchaus Sinn, manche Kurse gezielt für Frauen anzubieten. Besonders für Themen, bei denen Frauen traditionell schwächer sind als Männer, wie zum Beispiel Lohnverhandlungen oder Job-Interviews. In der Regel gibt es an der ETH aber auch entsprechende Kursangebote, die für jedermann zugänglich sind. Ich glaube daher nicht, dass sich die Männer diesbezüglich Sorgen machen müssen.