Veröffentlicht: 24.11.10
Science

UNEP warnt vor unzureichendem Klimaschutz

Pünktlich zum Auftakt des Klimagipfels in Cancún nächste Woche erschien ein neuer Bericht des UNEP (United Nations Environment Programme). In ihm ging ein interdisziplinäres Autorenteam von 30 Wissenschaftlern aus aller Welt der Frage nach, ob die Zielsetzungen von Kopenhagen ausreichen, um bei der globalen Erwärmung das «2°C-Ziel» oder gar ein «1,5°C-Ziel» zu erreichen. Unter den Wissenschaftlern war auch Joeri Rogelj, Doktorand in der Gruppe von Reto Knutti vom Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. Die beiden geben ETH Life Auskunft zur aktuellen Situation.

Simone Ulmer
Die Klimaforscher Reto Knutti und Joeri Rogelj (v.l.n.r.)vom Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. (Bild: ETH Zürich)
Die Klimaforscher Reto Knutti und Joeri Rogelj (v.l.n.r.)vom Institut für Atmosphäre und Klima der ETH Zürich. (Bild: ETH Zürich) (Grossbild)

Herr Rogelj, Sie haben am Bericht des UNEP mitgearbeitet. Was sind die zentralen Botschaften?
Joeri Rogelj: Dieser Bericht zeigt ein klares Ergebnis: Die im Kopenhagen Accord vorgeschlagenen Emissionsreduktionen für 2020 stehen nicht im Einklang mit dem Ziel, den Temperaturanstieg auf unter 2°C oder langfristig unter 1,5°C zu begrenzen. Für diese Klimaziele müssten die globalen Emissionen bis 2020 unter 44 Gigatonnen CO2 äquivalent (Gt CO2e) liegen. Derzeit liegen jedoch die Emissionsprognosen der Umweltpolitik für die Treibhausgasreduktionen um 10 bis 20 Prozent höher.

Auch wenn Kopenhagen erfüllt wird, stösst die Weltbevölkerung immer noch 5 bis 9 Gt CO2e zu viel aus. Wie können wir nun diesen von der UNEP als «Lücke» bezeichneten Überschuss verhindern?
Rogelj: Der Kopenhagen Accord ist rechtlich nicht bindend, und einige Länder haben ihre Reduktionsziele an Bedingungen geknüpft. Um die Lücke so klein wie möglich zu halten, müssen alle Ziele tatsächlich erfüllt werden und in Cancún oder nächstes Jahr strikte Regeln bezüglich der Emissionsbuchhaltung ausgearbeitet werden. Zur Zeit gibt es zu viele Schlupflöcher bei der Interpretation der Reduktionsziele. Striktere Regeln bräuchte es vor allem im Bereich der Landnutzung, der sogenannten «land use, land-use change and forestry» (LULUCF) und der überschüssigen Emissionskredite von Kyoto. Um die Lücke ganz zu schliessen, braucht es letztlich höher gesteckte nationale Emissionsziele der einzelnen Länder. Viele Staaten betonen, dass dies nur im Rahmen eines globalen, fairen und rechtsverbindlichen Übereinkommens möglich wäre.

Wie gross wäre die Lücke ohne Massnahmen?
Rogelj: Dann hätten wir eine Lücke von 12 Gt CO2e.

Dass es nach dem erfolglosen Klimagipfel in Kopenhagen eher eng für das «2°C-Ziel» wird, ist nicht überraschend, oder?
Rogeli: In der Tat ist die Kernaussage von diesem Bericht keine Überraschung, sondern eine wissenschaftliche Bestätigung dessen, was einzelne Studien bereits angedeutet hatten. Wir haben publizierte Studien gesammelt und analysiert, ob klare und robuste Ergebnisse den Entscheidungsträgern kommuniziert werden können. Was vorher aus der verwirrenden Vielfalt von Studien zum «2°C-Ziel» oder «1,5°C-Ziel» schwer abzuleiten war, ist jetzt zum ersten Mal zusammengefasst und klar kommuniziert worden.

Herr Knutti, vor ein paar Tagen gab das Bundesamt für Umwelt bekannt, dass es für die Schweiz zwischen 2010 und 2012 mit einem höheren CO2-Ausstoss rechnet, als bisher angenommen. Die Schweiz wird deshalb Mühe haben, das Kyoto-Ziel zu erreichen. Wie kommt das?
Reto Knutti: Es zeigt aus meiner Sicht, dass die Politik in der Schweiz versagt hat und die Massnahmen ungenügend sind. Man begründet die höheren Emissionen mit einer unerwartet schnellen Erholung der Wirtschaft nach der Finanzkrise, verschweigt aber, dass man ohne Finanzkrise noch viel schlechter dastehen würde.

Können wir das wieder gut machen?
Knutti: Es gibt zwei Möglichkeiten: Man kann weitere Massnahmen ergreifen oder Emissionszertifikate einkaufen, um die nationale Lücke zu schliessen. Im Moment deutet vieles darauf hin, dass wir uns über Emissionszertifikate freikaufen. Für ein Land wie die Schweiz mit seinem Know-how finde ich das bedenklich. Ich frage mich, wie man in den Klimaverhandlungen glaubwürdig auftreten und andere zum Handeln überzeugen kann, wenn man selber nicht einmal die minimalen Vorgaben von Kyoto erfüllt.

Herr Rogelj, sind solche «Fehleinschätzungen», wie sie für die Schweiz getroffen wurden, im UNEP-Bericht schon berücksichtigt?
Rogelj: Der UNEP-Bericht geht von verschiedenen Prognosen für das Jahr 2020 aus, die im Bereich von «Business-as-usual» bis sehr optimistisch liegen. Falls die Staaten ihre Ziele nicht erfüllen, dann liegt die Prognose für 2020 näher bei «Business-as-usual» und die Lücke wäre zwei bis dreimal so gross wie in der meist optimistischen Interpretation des Kopenhagen Accords.

Das unerwartete Wirtschaftswachstum nach der Krise scheint laut einer neuen Studie, die kürzlich in der Fachzeitschrift «Nature» publiziert wurde, weltweit auf einmal ein entscheidender Faktor für die steigenden Emissionen zu sein. Wie lässt sich das erklären?
Knutti: Die weltweiten CO2-Emissionen über die letzten 10 Jahre bewegen sich am oberen Rand der Szenarien, vor allem, weil Schwellenländer wie China viel schneller wachsen als erwartet. Man ist davon ausgegangen, dass die Wirtschaftskrise deshalb die unerwartet höheren Emissionen etwas reduzieren könnte. Offenbar ist dieser Effekt nun kleiner als angenommen. Das Wachstum der Emissionen dominiert - trotz Kyoto Protokoll – und bereits das Jahr 2010 könnte ein neues Emissions-Rekordjahr werden.

Was wird Ihrer Meinung nach für Cancun besonders wichtig sein?
Knutti: Die Situation ist verfahren, und meine Hoffnungen für Cancún sind bescheiden. Ich wünsche mir, dass einige Länder endlich Farbe bekennen und einen ersten Schritt machen. Alle geben sich klimafreundlich und befürworten das «2°C-Ziel», aber niemand ist bereit, genügend dafür zu tun.

Rogelj: Ein Schritt in Richtung einer langfristigen Lösung zum Klimaproblem im offiziellen Rahmen der Klimakonvention UNFCCC wäre wichtig. Dabei müssten die Bedenken der schwächeren und am stärksten betroffenen Länder ernst genommen werden, so dass das Vertrauen zwischen den Staaten neu aufgebaut wird.