Veröffentlicht: 18.11.10
Science

Pflanzenvielfalt bestimmt Biodiversität

Der Rückgang von Pflanzenarten mindert kaskadenartig die Anzahl und Vielfalt aller Mitglieder der Nahrungskette. Dies geht aus einer Studie über eines der weltgrössten Biodiversitätsexperimente hervor, an dem Zürcher Forschende mitwirken.

Peter Rüegg
Zuunterst in der Nahrungspyramide, zuoberst bei der Steuerung der Biodiversität: Die Pflanzenvielfalt bestimmt die Vielfalt aller anderen Organismen «bottom-up» (Bild: flickr.com)
Zuunterst in der Nahrungspyramide, zuoberst bei der Steuerung der Biodiversität: Die Pflanzenvielfalt bestimmt die Vielfalt aller anderen Organismen «bottom-up» (Bild: flickr.com) (Grossbild)

In der Natur geht es garstig zu: Fressen und gefressen werden, heisst die Devise; jedes Leben lebt von anderem Leben. Pflanzen werden von Pflanzenfressern verzehrt, diese wiederum fallen Fleisch- oder Allesfressern zum Opfer, die sich gegenseitig auffressen oder an Parasitenbefall zu Grunde gehen. Der Kadaver wird schliesslich von Aasfressern beseitigt. Ein ganzes Netz von gegenseitigen Abhängigkeiten spannt sich auf, das sich über mehrere so genannte trophische Ebenen erstreckt.

Auf der untersten trophischen Ebene stehen so genannte Primärproduzenten, die Pflanzen - und diese haben entgegen bisheriger Thesen einen wesentlichen Einfluss auf die gesamte Artenvielfalt. Dies zeigte eine soeben in «Nature» veröffentlichte Studie, die die Resultate eines Langzeit-Experiments zusammenfasst.

Grassroot-Bewegung

Bisher ging die Wissenschaft davon aus, dass die räuberisch lebenden Organismen an der Spitze der Nahrungspyramide die Biodiversität von oben beeinflussen. In ihrer Studie kommen die Forscherinnen und Forscher hingegen zum Schluss, dass die Pflanzen wesentlich mehr Einfluss auf die Artenvielfalt haben als angenommen. Nimmt die Zahl der Pflanzenarten in einem Ökosystem ab, so vermindert sich auch die Vielfalt aller anderen Organismen, und zwar sowohl unter als auch über dem Erdboden. In erster Linie leidet die Vielfalt an Pflanzenfressern. In zweiter Linie nimmt auch die Diversität von Alles- und Fleischfressern ab.

Am stärksten ist der Bottom-up-Effekt über dem Erdboden. Die Reaktion von Bodenlebewesen ist hingegen durchgehend schwächer. Die Forscherinnen und Forscher konnten auch aufzeigen, dass eine hohe Artenvielfalt Unkräuter, Krankheitserreger und so genannte Hyper-Parasiten, also Parasiten von Parasiten, eindämmt. In vielfältigen Pflanzenbeständen hatten diese weniger gute Chancen, sich einzunisten oder breit zu machen. Sämtliche Nischen waren bei ihrem Eintreffen bereits besetzt. Einzelne Pflanzen hingegen werden bei höherer Vielfalt im Gegensatz zu einer Monokultur viel weniger von Schädlingen befallen. Bereits vorhandene Arten reagierten indessen positiv auf eine lokal erhöhte Pflanzendiversität.

Die Diversität der Pflanzenarten steuert also neben der Artenvielfalt der anderen Organismen auch deren Populationsdichte und deren Beziehungen mit anderen Ebenen der Nahrungskette. Diese Effekte erfolgen direkt und nicht über die ebenfalls diversitätsabhängige Biomasse der Pflanzen. Selbst wenn man die Pflanzenbiomasse mittels Düngung erhöhte, würde die Vielfalt an Konsumenten und Räubern nicht einfach zunehmen. Diese stellt sich nur bei einer hohen Pflanzenvielfalt ein.

Nahrungskette als Ganzes untersucht

Der Nachweis für diesen Bottom-up-Ansatz erfolgte im Rahmen des «Jena-Experiments», das von einer internationalen Forschungsgruppe nahe der Stadt Jena auf einem ehemaligen Feld durchgeführt wird. Das Experiment ist Europas grösstes Biodiversitätsexperiment. Die Studie analysiert den Einfluss unterschiedlicher Pflanzenvielfalt auf alle anderen Ebenen der Nahrungskette. So können ganze Nahrungsnetze und nicht nur isolierte Bestandteile untersucht werden.

An der Studie beteiligt ist auch Nina Buchmann, Professorin für Graslandwissenschaften der ETH Zürich. Sie war von Anfang an mit dabei und untersuchte zusammen mit Bernhard Schmid (Uni Zürich) und Markus Fischer (Uni Bern) den botanischen Teil. Mit ihrer Gruppe analysierten sie die Biomasse, also die Pflanzenproduktion, die Emissionen von Treibhausgasen aus dem Boden und charakterisierten die Ökophysiologie der Pflanzendecke.

Für die Untersuchung, die 2002 begann, legten die Forschenden auf einem ehemaligen Feld bei Jena über 80 mit Wiesenmischungen angesäte Versuchsflächen an. Diese Versuchsflächen messen bis zu 400 Quadratmeter.

Pflanzenvielfalt wirkt gegen biologische Schädlinge

Nina Buchmann sieht die Relevanz der Studie insbesondere in Bezug auf die Landnutzung. Diese verändert die natürliche Vegetation und die Artenvielfalt oft massiv. So sind zum Beispiel intensiv genutzte Wiesen und Weiden meist sehr artenarm. «Mit unseren Daten können wir zeigen, dass die Konsequenzen des Verlusts von Pflanzendiversität für die meisten Organismengruppen und deren Wechselwirkungen oft negativ sind», sagt Buchmann. Es gebe weitreichende Rückkopplungseffekte auf allen trophischen Ebenen.

Die ETH-Professorin weist aber auch darauf hin, dass diese Erkenntnisse nur dank langjähriger Forschung in einem grossen Verbundprojekt erzielt werden konnten. «Ökologische Forschung braucht einen langen Atem», betont sie und hofft darauf, dass die Mittel für dieses Experiment auch langfristig gesprochen werden. Denn das «Jena-Experiment», das gerade für drei weitere Jahre gefördert wurde, soll weitergeführt werden, damit auch ökologische Prozesse untersucht werden können, die sich nur langsam ändern. «Was im Boden vor sich geht, sieht man oft erst nach einem Jahrzehnt», so Buchmann.

Die Forscherinnen und Forscher hoffen, dass diese Studie den Weg für weitere Untersuchungen im Bereich der Biodiversität weisen kann, zum Beispiel, um zu überprüfen, ob und wie weitreichend der nachgewiesene kaskadenartige Diversitätseffekt auch für weitere Systeme gilt, etwa im Wald oder im Wasser.

Literaturhinweis:

Scherber Ch et al.: Bottom-up effects of plant diversity on multitrophic interactions in a biodiversity experiment, Nature, Vol. 467, No. 7319 (2010), doi:10.1038/nature09492

 
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