Veröffentlicht: 15.11.10
Science

Geheimnis der Vielfalt von Bodenbakterien

Der Boden ist der biologisch aktivste Bereich der Biosphäre und beherbergt das grösste Reservoir an genetischer Vielfalt. Wie diese Vielfalt entsteht und aufrechterhalten wird, versuchen Wissenschaftler verschiedener Disziplinen, darunter die Gruppe von Dani Or, mit Modellen über dynamische, wasserhaltige Boden-Mikrolebensräume und neuartigen Experimenten zu klären.

Peter Rüegg
Im Experiment auf standardisierten Oberflächen verbreiten sich Bakterien bei genügender Bodenfeuchte flächendeckend. Unter trockenen Bedingungen bilden die Mikroben nur noch Flecken. (Bild: G. Wang / ETH Zürich)
Im Experiment auf standardisierten Oberflächen verbreiten sich Bakterien bei genügender Bodenfeuchte flächendeckend. Unter trockenen Bedingungen bilden die Mikroben nur noch Flecken. (Bild: G. Wang / ETH Zürich) (Grossbild)

Jedes Alpental hat seine Eigenheiten: Sprache und Dialekt, Baustil, Gepflogenheiten, Essen – und nicht zuletzt einen eigenen Menschenschlag. Solche regionalen Unterschiede finden sich oft innerhalb erstaunlich kurzen Distanzen. Spricht man in einem Tal Romanisch, so redet man im nächsten Deutsch mit Walliser Akzent.

Mit ein Grund für die Enstehung solch kultureller Vielfalt ist die räumliche Isolation. Die Talschaften waren und sind insbesondere im Winter oft monatelang voneinander isoliert, was Mobilität und Austausch begrenzt, sagt Dani Or, Professor am Institut für terrestrische Ökosysteme. Diese geographische und witterungsbedingte Isolation fördert die Bildung von verschiedenen «Arten».

Parallele auf Bodenpartikeln

Vergleichbare Vorgänge beobachteten der ETH-Professor und sein Assistent Gang Wang auch in viel kleinerem Massstab im Boden, wenn sich Nässe und Austrocknung zyklisch abwechseln. Zoomt man auf den Mikrometer-Massstab heran, so bietet die Oberfläche von Bodenaggregaten ein verblüffend ähnliches Bild wie die Alpen im Grossen: Sie ist durchzogen von Tälern und Berggipfeln.

In den Tälern siedeln unzählige Mikroorganismen, die unter einem hauchdünnen Wasserfilm leben, der es ihnen erlaubt, sich von einem Tal ins nächste zu bewegen. Dort interagieren sie mit Artgenossen oder artfremden Bakterien, erschliessen sich Nährstoffquellen, die teilweise nur fleckig verteilt sind. Die «Einwanderer» konkurrenzieren mit den «Angestammten» um die verfügbaren Nährstoffe. Um sich effizient fortzubewegen, besitzen viele Bodenbakterien eine Geissel, die ihnen eine hohe Beweglichkeit in diesem Wasserfilm verschafft.

Isolation ohne Wasser

Mit physikalischen Modellen fanden die Forscher heraus, dass die Dicke des Wasserfilms eine wesentliche Rolle für die Beweglichkeit der Mikroorganismen spielt, insbesondere im Fall von ungleichmässig oder fleckig verteilten Nährstoffe. Ein dünner Wasserfilm begrenzt auch die Ausbreitung der Nährstoffe und macht sämtlichen Bakterien das Leben schwer. Zudem gilt: Je dünner der Wasserfilm, desto grösser wird seine Viskosität und seine Kapillarkraft, welche die Mikroorganismen buchstäblich an den Untergrund festnageln. Trocknet die Oberfläche der Bodenaggregate aus, können die Bakterien die Beweglichkeit, die ihnen die Flagelle verleiht, nicht mehr ausnützen.

Unter diesen Bedingungen wachsen und vermehren sich Bodenbakterien nur mehr langsam und können sich höchstens noch lokal ausbreiten. Wenn der Wasserfilm durch zunehmende Trockenheit des Substrats reisst, dann werden Mikrobenpopulationen gar voneinander isoliert und in ihren «Tälern» festgehalten mit limitierten Möglichkeiten, sich mit anderen Mikroorganismen zu mischen. «Das Feuchtigkeitsregime schützt schwache Arten und trägt dazu bei, die Vielfalt im Boden aufrechtzuerhalten», folgert Or.

Dünner Wasserfilm behindert Beweglichkeit

Dennoch lohnt es sich für die Bakterien, eine Geissel auszubilden. In Zeiten erhöhter Bodenfeuchte, wie zum Beispiel in Übergangsituationen zwischen nassen Bedingungen und der Austrocknung des Bodens, können sie rascher neue Gebiete besiedeln. Dieser «Gewinn» macht die Nachteile des energieaufwändigen Flagellenaufbaus und -erhalts mehr als wett. «Nur so können wir erklären, weshalb auch in teilweise mit Wasser gesättigten Lebensräumen wie auf Boden-Oberflächen viele Bakterien Flagellen ausbilden», sagt Or.

Als Ergänzung zu ihren Modellen führten die Forscher Experimente durch mit vereinfachten und standardisierten Oberflächen. Die Bakterien wurden auf einer porösen Keramikoberfläche unter einem dünnen Wasserfilm gezüchtet, und der Wasserfilm mittels einer festgelegten Saugspannung kontrolliert. Die Resultate aus den Simulationen und diesen Experimenten decken sich weitgehend mit den Modellen.

Die Vielfalt an Arten und genetischen Varianten ist im Boden um ein Vielfaches grösser als in Ozeanen. In allen Weltmeeren leben geschätzte zwei Millionen Bakterienarten. In einem Kubikmeter Gartenboden kommen jedoch geschätzte vier Millionen verschiedene Bakterien vor.

Literaturhinweis

Wang G, Or D: Aqueous films limit bacterial cell motility and colony expansion on partially saturated rough surfaces. Env. Microbiol. 2010. 12 (5), 1363-1373.

Dechesne A, Wang G, Gülez G, Or D, Smets BF: Hydration controlled bacterial motility and dispersal on surfaces, Proc. Nat. Acad. Sci. USA, 2010 107:14369-14372.

 
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