Veröffentlicht: 12.11.10
Science

Der bedingte «Homo cooperativus»

Ein ETH-Postdoc hat in den Bale-Wäldern Äthiopiens nach Lösungen für das Kooperations-Dilemma unter Menschen geforscht. Seine Feldstudie zeigt: Das Ausmass an freiwilliger Kooperation zusammen mit der Kontrolle von Trittbrettfahrern spielt eine entscheidende Rolle für die erfolgreiche Bewirtschaftung von Gemeingütern.

Samuel Schläfli
Sozial oder eigennützig? Ein Helfer von ETH-Postdoc Devesh Rustagi mit einem lokalen Bauern beim «Public Goods»-Spiel in den Bale-Wäldern Äthiopiens. (Bild: Devesh Rustagi)
Sozial oder eigennützig? Ein Helfer von ETH-Postdoc Devesh Rustagi mit einem lokalen Bauern beim «Public Goods»-Spiel in den Bale-Wäldern Äthiopiens. (Bild: Devesh Rustagi) (Grossbild)

Gemeingüter können von selbstverwalteten Gruppen erfolgreich bewirtschaftet werden; das zeigte die amerikanische Umweltökonomin Elinor Ostrom an vielen Fallbeispielen. Für die Forschung in diesem Bereich erhielt sie im vergangenen Jahr sogar den Wirtschaftsnobelpreis. Der Mensch ist anscheinend mehr als ein «homo economicus», der einzig dem grösstmöglichen persönlichen Gewinn hinterher rennt. Heute weiss man: Keine andere Spezies ist zu solch ausgeprägtem kooperativem Verhalten fähig. Wir müssen jedoch stets davon ausgehen, dass sich der Verzicht auf den grösstmöglichen Eigennutzen zugunsten des grösstmöglichen Kollektivnutzens nur dann lohnt, wenn die anderen ebenfalls kooperieren. Forscher sprechen von einem Kooperations-Dilemma. Verhaltensökonomische Laborexperimente mit Studierenden haben deshalb gezeigt: Der Grad an Kooperationswille ist stark vom Glauben daran abhängig, wie sich andere Gruppenmitglieder verhalten werden (siehe Kasten). Bislang fehlten jedoch Studien, die diesen Zusammenhang auch im Feld belegen.

Zum Spielen in den Wäldern Äthiopiens

Devesh Rustagi, Postdoc am Institut für Umweltentscheidungen der ETH Zürich, zusammen mit Stefanie Engel (ETH Zürich) und Michael Kosfeld (Uni Frankfurt), stellten die Theorie der bedingten Kooperation in einem Feldversuch auf die Probe. Rustagi hat dafür selbstverwaltete Bauerngruppen in der Region Bale in Äthiopien besucht. Tausende Bauern leben in den bis zu 3700 Meter hohen Bergen und sind für ihren Lebensunterhalt auf den Wald angewiesen. Darin finden sie Nahrung für sich und ihre Herde. Mit dem geschlagenen Holz können sie auf dem Markt zusätzlich ein wenig Geld verdienen. In den vergangenen Jahrzehnten haben die Stämme und Holzfäller aus dem Unterland besonders junge, mittelgrosse Bäume gefällt, die mit Handwerkzeugen einfacher zu schlagen sind. Dem Wald droht deshalb Überalterung; er stirbt langsam ab.

Die Deutsche Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) hat deshalb zusammen mit der äthiopischen Regierung vor zehn Jahren ein Waldverwaltungsprogramm gestartet, in dem den einzelnen Stämmen Rechte für die selbstorganisierte Nutzung einer bestimmten Parzelle Wald übertragen wurde. Verwaltung, Bestimmungen über den zulässigen Holzschlag und Massnahmen bei Nichteinhalten der aufgestellten Regeln wurden in die Hände der Stämme gelegt. Alle fünf Jahre kontrolliert die äthiopische Regierung seither die Anzahl mittelgrosser Bäume pro Hektar Wald – ein gutes Mass für den Erfolg der einzelnen Gruppen bei der selbstorganisierten nachhaltigen Bewirtschaftung ihres Gebiets.

Die Ausgangslage war somit ideal, um den Erfolg von einzelnen Waldnutzergruppen bei der nachhaltigen Selbstverwaltung ihrer Gebiete mit der Anlage der Stammesmitglieder zur bedingten Kooperation zu vergleichen. Rustagi war dafür zwei Monate lang mit dem Rucksack in den Bale-Wäldern unterwegs und besuchte 49 lokale Waldnutzergruppen. Gemeinsam mit einem lokalen Assistenten erklärte er den Bauern in deren Sprache die Grundprinzipien des verhaltensökonomischen «Public goods»-Spiels, mit dem ein klassisches Kooperationsdilemma simuliert wird: Die Teilnehmer erhielten von Rustagi jeweils sechs äthiopische Birr, was etwa einem lokalen Tagesverdienst entspricht. Sie mussten nun entscheiden, ob sie einen Birr für sich behalten oder für die Gemeinschaft einsetzen. Jeder für die Gemeinschaft eingesetzte Birr wurde mit 1.5 multipliziert und dann unter zwei Spielern aufgeteilt.

Zusammen hätten die Spieler somit den grössten Gewinn erzielt, wenn beide ihren Birr für die Gemeinschaft hingegeben hätten. Wenn der eigene Beitrag für die Gemeinschaft jedoch nicht erwidert wurde, erhielt der Einzelne aber nur 0.75 Birr anstelle von einem.

Das Spiel wurde in zwei Varianten gespielt: Zuerst entschieden die Spieler ohne Wissen über das Verhalten der anderen, dann im Wissen darüber, ob ein anderes Mitglied der Gruppe seinen Birr für sich behalten hatte. Ein Spieler ist ein «bedingt Kooperierender», wenn sein Beitrag für die Gemeinschaft von demjenigen seiner Mitspieler abhängig ist. Ein Trittbrettfahrer hingegen leistet keinen Beitrag an die Gruppe, egal wie seine Mitspieler entscheiden.

Von insgesamt 679 Studienteilnehmern waren 231 bedingt Kooperierende. 78 gehörten zur Kategorie der Trittbrettfahrer, die den grössten Teil des Geldes selbst einsteckten. Neben 79 schwachen bedingt Kooperierenden und 15 Altruisten, war bei 256 Probanden kein klares Muster auszumachen. In den einzelnen Waldnutzergruppen variierte der Anteil an bedingt Kooperierenden zwischen Null und 88 Prozent.

Mehr als ein Hirngespinst

In statistischen Analysen verglich Rustagi die Ergebnisse aus den einzelnen Gruppen mit den Daten zum Waldbestand der Fünfjahresevaluation der äthiopischen Regierung. In den Gebieten, die von Gruppen mit dem höchsten Anteil an bedingt Kooperierenden verwaltet werden, war auch die Anzahl an unrechtmässig gefällten Bäumen am niedrigsten. Für Rustagi ein klarer Hinweis, dass die Theorie der bedingten Kooperation mehr als nur ein Hirngespinst von Umweltökonomen ist: «Die Ergebnisse im Spiel wiederspiegelten sich im realen Verhalten der Bauern in ihrer jeweiligen Gruppe. Wir konnten klar aufzeigen: Menschen machen ihren Kooperationswillen von demjenigen ihrer Mitmenschen abhängig.»

Auch zeigen die Ergebnisse eine negative Korrelation zwischen der Anzahl bedingt Kooperierender und Trittbrettfahrer: Je mehr Kooperation in einer Gruppe, desto weniger verhalten sich Einzelne darin rein egoistisch. Dies erklärt sich Rustagi damit, dass kooperative Gruppenmitglieder mehr Zeit in die Überwachung ihres Waldes investieren. Seine Studie zeigt: Bedingt Kooperierende wenden bis zu 32 Stunden pro Monat für das Überwachen ihres Gebietes auf; bei Trittbrettfahrern sind es nur 22 Stunden. Somit werden Trittbrettfahrer in kooperativen Gruppen mit höherer Wahrscheinlichkeit aufgespürt und potentielle Nachahmer dadurch abgeschreckt. «Freiwillige, durch Nutzergruppen selbst durchgeführte Kontrollen unterstützen das kooperative Verhalten zugunsten des Waldes», schliesst Rustagi daraus.

Intrinsische Faktoren bei Gemeinschaftsgütern berücksichtigen

Die Ergebnisse der Studie belegen erstmals im Feldversuch zahlreiche in Laborexperimenten gefundene Hinweise, dass bedingte Kooperation bei der Bewirtschaftung von Gemeinschaftsgütern eine Schlüsselrolle spielt. Dies neben externen Faktoren, wie zum Beispiel der Entfernung von Waldnutzergruppen zum nächsten Markt. Zudem stimmt die in «Science» erschienene Publikation mit der Theorie der «Gen-Kultur-Evolution» überein. Diese besagt ein höheres Mass an Kooperation in Gruppen, in denen nicht-kooperatives Verhalten sanktioniert wird.

Rustagi glaubt, dass seine Erkenntnisse in die Zusammenarbeit von Entwicklungsorganisationen mit selbstverwalteten Gruppen fliessen könnten: «Wir haben gezeigt, dass es nicht reicht, externe Faktoren in die Gestaltung von Umweltschutzprogrammen mit einzubeziehen. Auch intrinsische Faktoren, wie das Kooperationsverhalten der einzelnen Gruppenmitglieder, müssen dabei berücksichtigt werden.» Ziel wäre es, laut Rustagi, die Bereitschaft für bedingte Kooperation gezielt zu stärken und Anreize für Trittbrettfahrten zu eliminieren – zum Beispiel durch selbstorganisierte Überwachung und Ächtung von unsozialem Verhalten.

Das Dilemma mit den öffentlichen Gütern

Das Klima, der tropische Regenwald, Wasser oder Luft sind öffentliche Güter, die von vielen Menschen gleichzeitig verwaltet werden und deren Schutz die Kooperation einer Gemeinschaft bedingt. Nehmen wir das Beispiel öffentlicher Verkehr: Wenn alle ihr Trambillet ordnungsgemäss bezahlen, so funktioniert das System bestens. Nicht jedoch, wenn sich einzelne Vorteile verschaffen, indem sie schwarz fahren. Dieses Trittbrettfahren (Freeriding) ist in vielen unterschiedlichen Bereichen ein Problem, so auch im Kampf gegen den Klimawandel. Evolutionsbiologen, Psychologen und Ökonomen erforschen deshalb, welche Faktoren Menschen dazu bringen, auf einen eigenen kurzfristigen Vorteil zugunsten einer Gemeinschaft zu verzichten. Dafür haben sie Spiele entwickelt, mit welchen sich der Grad an bedingter Kooperation (conditional cooperation) messen lässt.

Literaturhinweis

D. Rustagi, S. Engel & M. Kosfeld: Conditional Cooperation and Costly Monitoring Explain Sucess in Forest Commons Management. Science 12 November 2010:
Vol. 330. no. 6006, pp. 961 - 965, DOI: 10.1126/science.1193649

 
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