«Einzelne Habitate schützen genügt nicht»
Am 29. Oktober ging die 10. Artenschutzkonferenz in Nagoya zu Ende. Das Abschlussprotokoll gilt als einer der grössten Erfolge für den Schutz der globalen Biodiversität. Peter Edwards, Leiter des Departements Umweltwissenschaften, zeigt sich im Interview skeptisch, ob die beschlossenen Vergrösserungen von Schutzhabitaten ausreichend sind.
Herr Edwards,
der Generalsekretär der 10. UN-Artenschutzkonferenz in Nagoya sprach am Sonntag
von einer neuen Ära des Zusammenlebens von Mensch und Natur, und der
Generaldirektor von WWF bezeichnete das Schlussprotokoll als historisch. Sind
Sie ähnlich begeistert?
Mit dem jetzt
unterzeichneten Protokoll hat Nagoya sicher die grösste Tragweite von allen
bisher abgehaltenen Artenschutzkonferenzen seit dem Bestehen der UNO-Konvention
zum Schutz der Biodiversität von 1993. Das Ziel, den
Verlust von natürlichen Habitaten bis 2020 mindestens zu halbieren, wie es die
Konvention vorsieht, halte ich für überaus ambitioniert. Selbst wenn man heute
mit der Umsetzung des Protokolls beginnen würde. Trotzdem brauchen wir wohl ein
solches Ziel, um das Artensterben signifikant zu senken. Es wird sich aber erst
noch zeigen, ob der politische Wille der internationalen Staatengemeinschaft
tatsächlich vorhanden ist, um das in Nagoya zugesprochene Geld aufzutreiben,
das für den Schutz von artenreichen Habitaten, insbesondere in
Entwicklungsländern, nötig ist.
Die 193
Mitglieder der Konventionen haben beschlossen, die weltweit geschützten
Landflächen von 12,5 auf 17 Prozent zu erhöhen; bei den Weltmeeren soll die
Schutzgebietsfläche von einem Prozent auf zehn Prozent erhöht werden. Ist das
nicht ein Erfolg?
Da muss man
vorsichtig sein. Viele Naturschutzorganisationen haben vor der Konferenz
grössere Schutzgebietsflächen gefordert. Je nach beigezogenen Zahlen sind heute
bereits zehn Prozent der Meere in irgendeiner Weise geschützt, zum Beispiel
durch ein Fischereiverbot. Ich bezweifle, dass die stark von der Fischerei
abhängigen Staaten sonst einem solchen Ziel zugestimmt hätten. Beim Landschutz
besteht die Gefahr, dass nicht in erster Linie Gebiete mit hoher Biodiversität
profitieren werden, sondern solche ohne Ressourcen, die wirtschaftlich
uninteressant sind. Alles in allem glaube ich, dass das Protokoll von Nagoya
schwächer ist, als es auf den ersten Blick den Anschein macht.
Trotzdem sind
die Beschlüsse ein Schritt in die richtige Richtung. Wieso dieser Pessimismus?
Global gesehen
nimmt der Druck auf die Artenvielfalt weiter zu. Ich sehe momentan keinen Grund
optimistisch zu sein: Die menschliche Population wächst weiter und ihr
ökologischer Fussabdruck wird grösser. Die landwirtschaftliche Bodennutzung
wird intensiver und der Düngemitteleinsatz steigt vielerorts weiter an. Da
reicht es nicht einzelne Habitate zu schützen, denn die Arten entfalten sich
überall und nicht nur in dafür vorgesehenen Schutzgebieten. Solange der
Ressourcenverbrauch und die exzessive Landbewirtschaftung weiter ansteigen,
wird das Artensterben weitergehen. Der Schutz von Habitaten kann nur ein Aspekt
einer Biodiversitätsstrategie sein. Es geht aber letztendlich um die Frage, wie
wir mit unserer Umwelt als Ganzes
umgehen.
Was wäre also
zu tun?
Zuerst müssen wir
den weiteren Verlust von Habitaten stoppen. Mittelfristig sollten wir aber auch
die ökonomischen Treiber des Artenverlustes angehen, denn unsere
Konsumgewohnheiten bewirken indirekt grosse Artenverluste; oft ohne dass wir es
wissen. Der Schutz der Biodiversität ist also nicht nur eine
naturwissenschaftliche, sondern vor allem auch eine soziale und ökonomische
Herausforderung.
Als zweiter
grosser Erfolg in Nagoya wurde die Unterzeichnung des ABS-Protokolls gefeiert.
Durch «Access and Benefit Sharing» sollen Entwicklungsländer für den Erhalt des
Artenreichtums und insbesondere für den Nutzen entgolten werden, den
Pharmaunternehmen aus den Gendatenbanken des Urwalds für die Wirkstoffsuche ziehen.
Inwiefern wird die Natur von diesem Abkommen profitieren?
«Access and
Benefit Sharing» ist seit Jahren ein extrem heikler Punkt bei den
internationalen Verhandlungen. Es scheint, dass nun in Nagoya ein Weg gefunden
wurde, wie die Entwicklungsländer auch ökonomisch von ihrer Artenvielfalt
profitieren können. Damit werden finanzielle Anreize für den Erhalt der
Biodiversität geschaffen. Dieser Punkt war in erster Linie ein ethisches und
damit auch politisches Problem, dass die Verhandlungen blockierte. Ich
bezweifle aber, dass das ABS-Protokoll die Biodiversität in Entwicklungsländern
retten wird. Meist findet die dortige Zerstörung ohne Abwägung von ökonomischen
und ökologischen Vor- und Nachteilen statt.
Beim
Klimawandel hat der IPCC-Bericht erstmals einer breiteren Öffentlichkeit
gezeigt, dass wissenschaftliche Studien praktisch ausnahmslos das von
menschlichen Aktivitäten verursachte CO2 für die Erderwärmung
verantwortlich machen. Inwiefern sind sich die Umweltwissenschaftler auch über
Ursachen und Ausmass des globalen Artensterbens einig?
Zum Jahr der
Biodiversität wurden 2010 erstmals unterschiedliche Studien zu denselben Fragen
in grossen Projekten vereint. Die Ergebnisse gehen fast alle in die gleiche Richtung:
Rund 90 Prozent zeigen, dass die Anzahl der beobachteten Spezies heute
rückläufig ist. Der weitaus grösste Rückgang an Arten geschah in den letzten 40
Jahren; es ist offensichtlich das dieser Schwund auf das Bevölkerungswachstum
und den wachsenden Ressourcenverbrauch des Menschen zurückgeht.
Nun hat aber
das Biodiversitätsmonitoring des Bundes gezeigt, dass das Artensterben in der
Schweiz gesamthaft in den vergangenen Jahren weder gross zu- noch abgenommen
hat.
Die Schweiz ist in
dieser Hinsicht speziell und ein wunderbares Beispiel dafür, dass
Schutzmassnahmen fruchten können. In den 70er- und 80er-Jahren war die Umwelt
der Schweiz durch intensive und düngerreiche Landwirtschaft stark in Gefahr.
Ökologische Ausgleichszahlungen und weitere kostspielige Umweltmassnahmen haben
schliesslich die Wende gebracht. Die Schweiz konnte sich solche Massnahmen
glücklicherweise leisten. Hinzu kommt ein topografischer Vorteil: Viele
Reservate sind durch die Gebirge automatisch vor Eingriffen geschützt.
Das heisst,
Wissen wäre heute genügend vorhanden, um das Artensterben zu stoppen?
Ja, wir kennen
heute die Techniken, um Landschaften so zu bewirtschaften, dass genügend
Lebensmittel für die Menschheit produziert werden und gleichzeitig die
Artenvielfalt unterstützt wird; zum Beispiel durch Vernetzung und sinnvolle
Landschaftsplanung. Massnahmen gegen das Artensterben sind - ähnlich wie der
Klimawandel - keine Frage der Forschung mehr. Die Wissenschaftler können noch
lange fundierte Publikationen über den Zustand der Erde veröffentlichen. Wenn
es uns nicht gelingt, die Öffentlichkeit für das Thema Biodiversität zu
sensibilisieren, wird das Artensterben trotz wachsendem Wissen darüber
weitergehen.
Symposium «Biodiversität - Eine Herausforderung des 21. Jahrhunderts»
Am Mittwoch 10. November 2010 findet von 13.30 bis 19.00 Uhr im Auditorium Maximum der ETH Zürich ein
öffentliches Symposium zum Thema Biodiversität statt. Das Podium richtet sich
an die interessierte Öffentlichkeit und will die Relevanz der Biodiversität für
unsere Gesellschaft verdeutlichen. Nach einer Einführung zur Biodiversitätskrise
von Christian Körner (Universität Basel) wird Stefanie Engel (ETH Zürich) die
wirtschaftlichen Aspekte der Biodiversität erläutern. Bernd Herrmann
(Johann-Friedrich-Blumenbach-Institut für Zoologie und Anthropologie,
Göttingen) befasst sich mit der Geschichte der Biodiversität. Über ökologische
und landschaftsarchitektonische Fragen werden Harald Bugmann (ETH Zürich) und
Armin Werner (Leibniz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung, Müncheberg)
sprechen.
LESERKOMMENTARE