Veröffentlicht: 20.09.10
Science

Feldexperimente weiterhin nötig

Die letzte Ernte ist eingefahren, die Auswertungen laufen noch: ETH-Professor Wilhelm Gruissem zieht eine erste Bilanz über die Versuche mit dem gentechnisch veränderten Weizen, die im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms NFP59 vom Weizen-Konsortium durchgeführt wurden. Aber schon jetzt ist ihm klar, dass die Pflanzenforschung ein Feld wie dasjenige im Reckenholz für Experimente mit Gentech-Pflanzen braucht.

Peter Rüegg
Dritte und letzte Ernte auf dem Versuchsfeld auf dem Reckenholz (Bild: konsortium-weizen.ch).
Dritte und letzte Ernte auf dem Versuchsfeld auf dem Reckenholz (Bild: konsortium-weizen.ch). (Grossbild)

Die letzte Saison mit dem Gentech-Weizen ist abgeschlossen, die Ernten im Reckenholz und in Pully eingefahren. Welche Schlüsse können Sie zum jetzigen Zeitpunkt daraus ziehen?
Wilhelm Gruissem: Insgesamt sind wir im Weizen-Konsortium froh, dass die Feldexperimente relativ problemlos über die Bühne gingen – bis auf die Feldzerstörung, die wir im ersten Jahr im Reckenholz hatten. In Pully gab es ebenfalls versuchte Zerstörungen, aber schliesslich konnten wir auch diese Versuche auswerten. Dies muss man jedoch auch vor dem Hintergrund sehen, dass wir die Sicherheitsmassnahmen erheblich verstärken und dazu mehr Geld einsetzen mussten als geplant.

Erste Resultate wurden bereits kommuniziert. Zwei der vier Weizenlinien, die ein zusätzliches Resistenzgen tragen, erzielten weniger Ertrag, verglichen mit den Gewächshausversuchen.
Das muss man relativieren. Wissenschaftler aus verschiedenen Bereichen schauen sich die Ergebnisse unterschiedlich an. Ein Ziel von Professor Keller von der Universität Zürich war herauszufinden, wie sich die Pflanzen verhalten, wenn die Resistenzgene immer angeschaltet sind. Im Gewächshaus unter idealen Bedingungen hatte dies sehr gut funktioniert. Das Ergebnis im Feld ist aber nicht überraschend und zeigt, wie wichtig Feldexperimente sind. Resistenzgene werden von der Pflanze normalerweise nur angeschaltet, wenn das Pathogen die Pflanze befällt. Mich überrascht es deshalb nicht, dass einige Pflanzen unter normalen klimatischen Bedingungen eher negativ darauf reagieren. Andererseits haben zwei Linien ja auch gut funktioniert. Die Weizenzüchter beobachten oft ein ähnliches Verhalten bei neuen Kreuzungen. Wer aus einer ökologischen Richtung kommt, ist darüber vielleicht erstaunt.

Es wurde auch gesagt, dass das Resistenzgen überexprimiert wird, was einen anderen Pilz, das Mutterkorn, begünstigt hätte. Sehen Sie das auch so?
Die Infektion mit dem Mutterkornpilz wurde möglicherweise deshalb begünstigt, weil das Resistenzgen, das von Professor Keller an der Universität Zürich untersucht wird, ein Protein hervorbringt, das Ähnlichkeit hat mit anderen Proteinen, die die Entwicklung der Pflanze regulieren. Gerade weil das Resistenzgen konstitutiv exprimiert wurde, kam es in den zwei Weizenlinien wohl zu einer Veränderung der Blütenstruktur. Die Blüten des Weizens öffnen sich normalerweise nicht stark. In diesem Fall aber öffneten sie sich und begünstigten somit den Befall mit dem Mutterkorn.

Es gab auch Kritik an der Technik. Die Gene wurden mit Goldkügelchen in die Zelle geschossen. Die Stelle, wo das Gen in das Genom eingefügt wird, ist eher zufällig. Gibt es nicht bessere Techniken, genauere?
Weizen ist schwierig zu verändern. Von daher hatten Prof. Keller und mein Labor für die Herstellung der Weizenlinien die Bombardierung gewählt. Mit dieser Transformationstechnik kann man den Insertionsort ins Genom nicht bestimmen. Es gibt mittlerweile aber Methoden, mit denen Gene präziser einfügt werden können. Unsere Weizenlinien sind ja auch strikt experimentelle Linien, die in den Feldexperimenten zum Einsatz kamen. Wollte man diese kommerziell verwerten, würde man hunderte von Linien herstellen, um herauszufinden, welche die Eigenschaften des Transgens am besten ausdrücken und die besten Eigenschaften haben.

Weshalb wurde dies nicht für das Experiment gemacht?
Man muss die Umstände anschauen, unter denen wir das Experiment durchführten. Es kam das Moratorium in 2005, dann entschied sich der Bundesrat in 2006 für das Forschungsprogramm NFP 59 und in diesem Rahmen wollte man Feldexperimente durchführen. Es gibt jedoch nicht viele Labore in der Schweiz, die fertige gentechnisch veränderte Pflanzen für Feldexperimente auf Lager haben. Aus früheren und laufenden Forschungsprojekten hatten wir jedoch gebrauchsfertige Weizenpflanzen, mussten aber auch eine Linie zurückziehen, weil sie den Anforderungen des Bundesamts für Umwelt (BAFU) nicht entsprach. Der vorgegebene Zeitrahmen war für die Herstellung und Charakterisierung von neuen experimentellen Weizenlinien, das 3-4 Jahre in Anspruch nimmt, daher zu kurz.

Wer GVO-Pflanzen gegenüber kritisch eingestellt ist, wird sich durch diese Versuche nicht vom Nutzen des Weizens überzeugen lassen. Man könnte argumentieren, dass man nun ja gesehen hätte, dass es das nicht bringt, also lassen wir es jetzt sein.
Diese Schlussfolgerung ist nicht zulässig. Wir haben Experimente mit Weizen-Prototypen durchgeführt. Eine solche Entwicklung ist in der Wissenschaft normal. Sie fahren auch nicht mit einem Auto, das ein Prototyp ist. Da jetzt Kritik anzusetzen, wäre verfehlt.

Aber NFP59 war politisch motiviert als Reaktion auf das Moratorium.
Unsere Forschung ist aber nicht politisch motiviert und die Resistenzuntersuchung im Weizen-Konsortium war nur ein Thema unter vielen. Neben der Resistenz gab es ja – das war der grössere Teil des Versuchs – die Untersuchungen, ob und welchen Einfluss diese Pflanzen auf ihre Umwelt haben. Man untersuchte, wie Bodenorganismen oder Insekten auf die GMO-Weizenpflanzen reagieren. Der Biosicherheitsaspekt des Weizenexperiments betrug rund 80 Prozent, 20 Prozent betrafen die agronomische Evaluation des Weizens. Bei der Biosicherheit werden viele Daten noch kommen, die Schlüsse darauf zulassen, ob und wie sicher es ist, mit solchen Pflanzen zu arbeiten. Bisher publizierte Daten lassen keine Rückschlüsse auf negative Konsequenzen zu.

Nun ist das NFP 59 bald abgeschlossen. Gibt es die Möglichkeit in der Schweiz, weitere Feldexperimente mit GMO zu machen.
Wir diskutieren dies im Moment auch und fragen uns, ob man an der Agroscope Forschungsstation am Reckenholz dieses Feld beibehalten sollte. Es wäre vorteilhaft, wenn man in der Schweiz für Forschungsprojekte ein gut ausgerüstetes Experimentierfeld und erfahrene Agronomen hätte, mit denen wir Pflanzenforscher zusammenarbeiten könnten. Wir haben bereits jetzt Weizenlinien in der Pipeline, mit denen wir aufs Feld gehen könnten. Aber klar ist: Keine Forschungsgruppe kann es sich leisten, nochmals alle diese aufwändigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen.

Welche Linien?
Es sind die Linien von Christoph Sautter, die gegen den Stinkbrand beim Weizen resistent sind. Unsere eigenen Versuche mit der Mehltauresistenz sind für mich jedoch weitgehend abgeschlossen. Das funktionierte im Gewächshaus gut, im Feld gab es nur marginale Verbesserungen, weil wir Weizenpflanzen benutzten, die schon anfänglich eine hohe Resistenz hatten. Im Feld bringt das nicht mehr viel. Da sollte man nicht mehr weitermachen.

Warum verlieren Zuchtpflanzen ihre Resistenz gegen Pathogene wie den Mehltau?
Das kommt in der Züchtung häufig vor. Man züchtet auf bestimmte Merkmale wie Ertrag oder Statur, dadurch verliert man möglicherweise andere Eigenschaften. Plötzlich haben wir Kulturpflanzen, die einen fantastischen Ertrag bringen, aber Resistenzen verlieren, weil sich das Pathogen auch verändert. Dann bricht das System zusammen. Diese «Boom-and-Bust»-Zyklen gibt es immer wieder. Ein Beispiel ist der neue Rostpilz, der sich derzeit im mittleren Osten rasch ausbreitet. Er entwickelte sich in Uganda. Die meisten Weizensorten der Welt sind dagegen nicht resistent. Wenn dieser Pilz in der Weizenkammer von Indien ankommt, gibt es ein Problem. Derzeit laufen viele Studien und Züchtungsanstrengungen, um resistente Weizen dagegen zu züchten.

Verursacht der Pilz die nächste Hungerkrise?
Wenn wir nicht schnell etwas gegen diesen Pilz entwickeln, dann kann dieser ein grosses Problem sein. Es gibt zwar Pestizide, die relativ gut funktionieren, aber die müsste man grossflächig einsetzen.

Könnte die Gentechnologie helfen, gegen diesen Pilz schneller eine Lösung zu finden?
Ich sehe eine grosse Chance darin, wenn wir die Resistenzen von Wildsorten verstehen und die dazu gehörenden Gene isolieren können. Dann kann man diese relativ schnell auf Kultursorten übertragen. Dadurch verhindert man, dass man erst zu Wildsorten zurückkreuzen muss. Denn die Sortenentwicklung dauert viele Jahre. Den Prozess kann man durch die Gentechnologie abkürzen. Idealerweise hätte man eine ganze Bibliothek von Resistenzgenen, die charakterisiert sind und von denen man wüsste, gegen welche Pathogene sie Resistenzen vermitteln und wie sie sich in unseren Kulturpflanzen verhalten. Das ist jedoch eine Vision für die Zukunft. So weit sind wir nicht.

Apropos Zukunft, wie sehen Sie die Zukunft nach dem NFP59?
Ich hoffe, dass die Politik aus den Ergebnissen des NFP59 gute Schlussfolgerungen zieht, dass unser Schlussbericht nicht einfach in der Schublade verschwindet und dass das Moratorium nicht noch bis auf Ewigkeiten verlängert wird. Das kann nicht die Zukunft der Forschung und Landwirtschaft in der Schweiz sein. Die Technik macht Fortschritte, und weltweit werden immer mehr GMO-Pflanzen angebaut. Daher ist es wichtig, das Knowhow hier in der Schweiz zu halten. Wenn rund um die Schweiz GMO-Pflanzen angebaut werden, dann sind wir bald eine Insel, der es an der Expertise fehlt. Darum ist es wichtig, dass wir hier in der Schweiz bei dieser Forschung an der Spitze mithalten.