Veröffentlicht: 08.09.10
Campus

Elektronik zum Anziehen

Blitz, Donner und Schmetterlinge, ein Fest von verschiedenen Lichtern: 18 Studierende der Schweizerischen Textilfachschule entwarfen in Zusammenarbeit mit 15 ETH-Studierenden eine ausgefallene Kollektion mit Spezialeffekten, die am vergangenen Freitag an der Diplom-Modeschau vorgeführt wurde.

Peter Rüegg
Leuchtender Kragen: Bewegt das Model die Hand, gehen am Kragen ferngesteuerte LEDs an. (Alle Bilder: Peter Rüegg / ETH Zürich)
Leuchtender Kragen: Bewegt das Model die Hand, gehen am Kragen ferngesteuerte LEDs an. (Alle Bilder: Peter Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Langsam hebt das Model seine Hände. Unter seinen Armen kommen Stoffbahnen zum Vorschein. Nach wenigen Sekunden zuckt darauf ein Blitz. Das Model senkt die Arme wieder und dreht über den Laufsteg eine Runde, ehe es von Applaus begleitet wieder von der Bühne abtritt. Ein anderes Model erscheint, es trägt ein hellblaues Badekleid aus Lack, einen Korb aus Kupferstangen, die in Tropfenform gebogen sind. Am Korb festgebunden sind Stoffbahnen, an deren Enden Kristalle hängen. Bei jedem Schritt erklingt ein Tropfgeräusch.

Nur wer genau hinschaut, erkennt, dass in den Bändern, die die Frau an den Fesseln trägt, ein kleines Kästchen sitzt: ein gut versteckter Bewegungssensor, der die Schritte registriert, über Funk an einen Computer meldet, der schliesslich die Tropfgeräusche auslöst. Auch die Blitze zucken nicht zufällig über den Umhang. Gesteuert wird dies durch die Arme, die ebenfalls mit Bewegungssensoren bestückt sind.

Ungewöhnliches Projekt

Beide Modelle gehören zu einer ungewöhnlichen Kollektion von neun aussergewöhnlichen Kreationen, die am Freitag, 3.9.2010, in der Härterei an der Diplom-Modeschau der Schweizerischen Textilfachschule Zürich (STF) aufgeführt wurde. Die Kollektion trägt die Handschrift zweier Studierendenschaften, die unterschiedlicher nicht sein könnten. 15 Elektroingenieur-Studierende der ETH und 18 STF-Designstudierende kreierten im Rahmen des Projekts «Ready-to-live» eine eigenwillige Modelinie. Die grundlegende Idee dahinter: Mode mit Technik zu verbinden; «lebendige Kleidung» herzustellen, die auf Umweltreize reagiert, so dass Kleid, Trägerin und Umwelt interagieren. Interaktive Kleidung ist indes nichts Neues, für die Ready-to-live-Kollektion wurde jedoch der modische Aspekt berücksichtigt.

Die Entwürfe für die verschiedenen Kleidermodelle stammen von den STF-Studierenden des 2. Semesters. Sie waren auch für die Themenfindung verantwortlich. Sie teilten ihre Modelle ein in die drei Linien, welche die Gefühle «zerstört», «dramatisch» und «romantisch» repräsentieren sollten. Dazu entstanden je drei Modelle, die diese Gefühle ausdrücken.

Für die technische Umsetzung verantwortlich waren angehende Elektroingenieure des 2. bis 4. Semesters. Betreut wurden sie von Burcu Cinaz und Mirco Rossi, die bei Professor Gerhard Tröster am Wearable Computing Lab ihre Doktorarbeit schreiben. Das Projekt angestossen hatte eine ehemalige Post-Doktorandin von Gerhard Tröster, Tünde Kirstein. Von der ETH zog es sie an die STF. Von dort aus stellte sie die Idee eines gemeinsamen Projekts mit funktionalen Kleidern Gerhard Tröster vor, der diese aufgriff und als Projektarbeit für Bachelor-Studierende ausarbeitete.

Aktivitätserkennung mit Mode kombiniert

«Unser Institut hat die Expertise im Bereich der Aktivitätserkennung», erklärt Rossi, «basierend auf Beschleunigungssensoren haben wir entsprechende technische Lösungen in den Kleidern verwirklicht.» Das heisst: Das Model führt beispielsweise eine bestimmte Bewegung durch. Der Sensor registriert sie und meldet via Funk das Signal an den Computer. Der Computer wertet das Signal aus und löst eine entsprechende Reaktion aus: LEDs, die in die Kleider eingenäht wurden, leuchten auf. Geräusche ertönen, Filme werden auf die Modelle oder Leinwände projiziert.

Knacknuss Stromversorgung

Die ETH-Studierenden programmierten die Algorithmen, die Datenverarbeitung und -analyse, sprich die Erkennung der Bewegungsmuster. «Dies war recht anspruchsvoll», weiss Burcu Cinaz. Die Studierenden hätten jedoch viel gelernt. Das Projekt habe auch dazu gedient, die Studierenden in das Thema der Aktivitätserkennung einzuarbeiten. «Sie sollen erste Erfahrung sammeln, wie das funktioniert», sagt Cinaz.

Die Sensoren seien jedoch nicht eigens dafür konzipiert worden, um sie in die Kleidung zu integrieren. Die Sensorknoten sind für lange Aufnahmen, gute Kommunikationsreichweite und flexible Sensorerweiterungen entwickelt worden. «Sie sind ein Tool für unsere Forschung», sagt Rossi, «für ein Projekt wie Ready-to-live wäre das Kriterium ‚so klein wie möglich‘ wichtiger.» Das wäre zwar realisierbar, geht aber auf Kosten anderer Kriterien. Einen solchen Sensor zu entwickeln, hätte den Rahmen des Projektes jedoch gesprengt.

Eine weitere Knacknuss war, die Stromversorgung für die Funk-Applikation in die Kleider zu integrieren. Die Datenübermittlung per Bluetooth braucht viel Energie und eine entsprechend grosse Batterie. Die Design-Studentinnen mussten deshalb spezielle Lösungen finden, um sie im Kleid unterzubringen. Geschickt versteckten sie die Batterie beispielsweise in einer an der Hüfte eingenähten Tasche. Die Sensoren waren diskret in Arm- oder Fussbändern oder in Haarreifen untergebracht.

Bereicherung für ETH-Studierende

Für die ETH-Studierenden war der Kontakt zu den STF-Studierenden eine grosse Bereicherung: Die beiden Betreuer der ETH-Studierenden sind sich einig: «Es war super, in die Welt der Modeschöpfer einzutreten.» Es sei aber auch anspruchsvoll gewesen, sich in die Denkstruktur der Designer einzufühlen. Die beiden Gruppen seien diesbezüglich ziemlich verschieden gewesen, meint Rossi. Zudem hätten die Ansprüche der Textilfachleute an die Technik die Grenzen des in einem Semesterprojekt Machbaren gelegentlich überstiegen. Allen Schwierigkeiten zum Trotz: «Es hat grossen Spass gemacht, Technik und Design zu verbinden», sagen die beiden Studentenbetreuer unisono. Teile der Kollektion werden übrigens noch einmal zu sehen sein. Sie werden heute und morgen anlässlich der Studieninformationstage am Stand des D-ITET in der Halle des ETH Hauptgebäudes ausgestellt.