Veröffentlicht: 06.09.10
Science

Das Wald-Paradoxon bei Hitzewellen

Im Vergleich haben Wälder bei Hitzewellen anfangs einen geringeren kühlenden Effekt als offene Grasflächen. Dies zeigt eine Studie, die verhelfen könnte, Modelle für Wettervorhersagen und Klimaprojektionen zu präzisieren. Ausserdem liefert sie der Diskussion, ob angesichts des drohenden Klimawandels Wälder aufzuforsten sind, neue Argumente.

Simone Ulmer
Wälder haben bei Hitzewellen erst nach Wochen einen kühlenden Effekt (Bild: Adriaan Teuling)
Wälder haben bei Hitzewellen erst nach Wochen einen kühlenden Effekt (Bild: Adriaan Teuling) (Grossbild)

Ein Omega-Hoch, wie es dieses Jahr in Russland zu der Hitzewelle mit den katastrophalen Waldbränden führte, ist typisch für Hitzeextreme in Europa: Während über dem Atlantik ein ungewöhnliches Tief liegt, blockiert über Europa ein intensives Hoch in Form eines Omega-Zeichens die Atmosphärenzirkulation. Diese spezielle Situation war auch für die Hitzesommer 2003 und 2006 verantwortlich. Derartige Hitzewellen können durch Verdunstung von feuchten Böden der Acker- und Grasländer sowie der Wälder abgeschwächt werden. Bis anhin ging man allgemein davon aus, dass Wälder dabei eine grössere und wichtigere Rolle spielen, da sie durch tiefere Wurzeln an mehr Wasser gelangen. Eine Studie zeigt nun, dass am Anfang einer Hitzewelle das Gegenteil der Fall ist.

Feuchte Grasländer kühlen schneller

Wie stark und zu welchem Zeitpunkt die Böden der Ökosysteme von Wäldern und Graslandschaften bei der Temperaturregulierung eine Rolle spielen, hat Adriaan Teuling vom Institut für Atmosphärenphysik der ETH Zürich und der Wageningen Universität in den Niederlande zusammen mit anderen Forschern untersucht und quantifiziert. Die Studie wurde gestern in Nature Geoscience publiziert. Es zeigte sich, dass zu Beginn einer Hitzewelle, wenn die Bodenfeuchte noch hoch ist, Grasländer und Ackerflächen durch Verdunstung ihrer Bodenfeuchte mehr zur Kühlung beitragen als Wälder.

Für ihre Studie analysierten die Wissenschaftler Daten von Messstationen des sogenannten FLUXNET-Netzwerks, das seit rund zehn Jahren in Zentral- und Westeuropa turbulente Flüsse von Wärme und Wasser, sowie Strahlungsflüsse, misst. «Wichtig für uns war herauszufinden, wie die vorhandene Sonnenergie bei Hitzewellen in Lufterwärmung, respektiv Vedunstung, umgesetzt wird», sagt die ETH-Professorin Sonia Seneviratne, die die Studie mitkonzipiert hat.

Messungen im Wald und auf der Wiese

Die Messungen ermöglichten den Wissenschaftlern zu unterscheiden wie Gras- oder Ackerland im Vergleich zu Waldflächen auf die Hitze reagieren, da sowohl im Wald wie auf der offenen Landoberfläche Messstationen in wenigen Kilometern Entfernung voneinander vorhanden sind. Sie untersuchten, wie sich die Energiebilanz der Wälder und Graslandschaften über die Jahre ohne die extremen Hitzejahre 2003 und 2006 entwickelte. Dazu analysierten sie die Daten, die in diesen Jahren während der Hitzemonate Juni bis August täglich zwischen 9:00 Uhr und 13:00 Uhr aufgezeichnet wurden. Die Energiebilanz zeigte, dass die Wälder im Sommer nur wenig, während die Grasflächen doppelt so viel Wasser verdunsten. Der sogenannte fühlbare Wärmefluss, der direkt die Luft erwärmt, ist deshalb über den Wäldern deutlich höher als über dem Gras- oder Ackerland.

Energie zur Verdunstung genutzt

Das bedeutet, dass der Wald die Atmosphäre vorerst zusätzlich aufheizt, während das Grasland mehr Strahlungsenergie verwendet, um Wasser aus dem Boden zu verdunsten. Als die Wissenschaftler schliesslich die Daten der Hitzesommer 2003 und 2006 analysierten, zeigte sich, dass die Wälder während dieser Hitzewellen bis zu vier Mal stärker die Atmosphäre erhitzten als die offenen Wiesen- und Ackerflächen. «Das war für uns zuerst völlig erstaunlich, da eine andere Studie zeigte, dass der Wald im Sommer 2003 eine kühlende Wirkung hatte» sagt Teuling. «Wir brauchten einige Zeit, um zu verstehen, dass die Studien nicht im Konflikt zueinander stehen». Jene Studie beruhte nämlich einzig auf einer Analyse für August 2003 in Zentralfrankreich, als sich der Hitzesommer bereits seinem Ende näherte. Die Acker- und Wiesenflächen, die anfangs stark kühlten, waren zu diesem Zeitpunkt so weit ausgetrocknet, dass der Wald kühlender wirkte. Er verdunstet zwar weniger Wasser, dafür aber über einen viel längeren Zeitraum.

Den Grund für das unterschiedliche Verhalten von Wald und Grasland sehen die Wissenschaftler darin, dass der Wald trotz seiner tiefreichenden Wurzeln sehr viel konservativer mit dem Wasserhaushalt umgeht. Die schützenden Zellen um die Spaltöffnungen der Pflanzen haben unterschiedliche Strategien entwickelt, wie sie auf Hitzewellen und drohende Trockenheit reagieren; der Wald tut dies weniger verschwenderisch als die Graslandschaften. Für die Wissenschaftler ist klar, dass der Wald für die Hitzetage eine wichtige Rolle spielt, da er diese zwar kurzfristig verstärkt, aber langfristig stabilisierend wirkt.

Bereits würden in Wetterprognosen und Klimaszenarien die Eigenschaften der Pflanzen teilweise berücksichtigt, sagt Seneviratne. «Dass die Wälder aber zuerst kontraproduktiv und mittelfristig stabilisierend wirken wurde bisher jedoch nicht erkannt.» Dies gelte es nun zu präzisieren. Zudem sehen die Wissenschaftler in ihrer Studie eine gute Argumentationsgrundlage, wenn es um die Diskussion geht, ob bei einer zunehmenden Klimaerwärmung aufgeforstet werden soll.

Literaturhinweis

Teuling AJ et al.: Contrasting response of European forest and grassland energy exchange to heatwaves. Nature Geoscience, Advance online Publication 5. September 2010, DOI:10.1038/NGEO950

 
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