Veröffentlicht: 23.08.10
Science

Hörspiel zum Mitwandern

Schweizer Gletscher schmelzen, Berghänge werden unsicher und das Matterhorn bröckelt vor sich hin. Der Klimahörpfad von myclimate geizt nicht mit harten Fakten. Das Hörspiel soll Wanderern auf dem Weg zur Neuen Monte-Rosa-Hütte unangenehme Wahrheiten über den Klimawandel bewusst machen und zeigen, wie der Energieverbrauch gedrosselt werden kann.

Rebecca Wyss
Trügerische Idylle: Berggänger erfahren auf dem neuen Klimahörpfad vom Gornergrat zur Neuen Monte-Rosa-Hütte Wissenswertes und Unangenehmes über den Klimawandel. (Bild: P. Rüegg / ETH Zürich)
Trügerische Idylle: Berggänger erfahren auf dem neuen Klimahörpfad vom Gornergrat zur Neuen Monte-Rosa-Hütte Wissenswertes und Unangenehmes über den Klimawandel. (Bild: P. Rüegg / ETH Zürich) (Grossbild)

Gletscher schmelzen, der Meeresspiegel steigt an und Dürren nehmen zu. Die Zeitbombe Klimawandel tickt. Dennoch konnten in den letzten Jahren die Pro-Kopf-Emissionen von Privathaushalten in Europa kaum gesenkt werden. Zu abstrakt, zu weit weg ist die Gefahr, und die Fakten und Folgen des Klimawandels werden nur allzu gerne verdrängt. Das möchte der Klimahörpfad des ETH-Spin-offs «myclimate» ändern.

Leute aufrütteln

Die Klimaschutzorganisation hat ein Hörspiel produziert, das die Auswirkungen des Klimawandels am Beispiel der Region Zermatt über das eigene Handy oder ein Leihgerät bewusst machen soll. Ungefähr drei Stunden dauert die Wanderung von der Gornergratbahn zur Neuen Monte-Rosa-Hütte, bei deren Planung und Bau sich die ETH engagiert hat. Während dieser Zeit bieten neun fünfminütige Hörsequenzen Wissenswertes zum Thema Klimawandel. Und immer im Blick: das Matterhorn in seiner ganzen Pracht.

«Wir möchten die Leute aufrütteln. Nur schon die Schönheit der Berge soll ihnen bewusst machen, wie wertvoll unsere Umwelt ist», sagt Julia Hofstetter von myclimate. Es sind harte Fakten, die die fiktiven Figuren Lina Bader und Pius Anthamatten in einem Rollenspiel den Wanderern ans Herz respektive ins Ohr legen. In der Gornergratbahn trifft Lina eine Forscherin, die ihr erzählt, dass das Eis schmilzt, dass die Trinkwasserspeicher verloren gehen, dass Berghänge unsicher werden und sich Bergstürze häufen. Das ist aber nur der Anfang.

Wahrzeichen der Schweiz angekratzt

Bei der Bahnstation Rotenboden steigt man aus und hört von einem fiktiven Einheimischen, dass der Weg über den Gletscher zur Neuen Monte-Rosa-Hütte immer wieder neu gelegt werden muss. «Der Gletscher schmilzt uns weg», sagt der Walliser. Im Jahr 2008 sei er um 29 Meter kürzer geworden. Plötzlich steht man mitten drin in der Realität des Klimawandels. Der Gornergletscher, den man gerade betritt, wird irgendwann nicht mehr da sein. Riesige Eismassen werden einfach wegschmelzen wie ein Eis, das man in der Sonne liegen lässt.

Und als wäre das nicht genug, kratzt Lina in der Hörsequenz fünf auch noch am Wahrzeichen der Schweiz: dem Matterhorn. Von Wolkenschleiern umgeben und mit Schnee bedeckt, der sich wie Puderzucker über das karge Grau legt, thront es in der Zermatter Region. Ein Bild für Götter, das langsam zerbröckelt, als Lina mit ihren Erzählungen beginnt: Im Hitzesommer 2003 brachen 1500 Kubikmeter Fels ab. Zahlreiche Bergsteiger mussten gerettet werden. Ein Horrorszenario, das vor wenigen Jahren noch undenkbar war.

Wohl ist einem bei all den Fakten nicht. Vielleicht sollte man mehr Velo fahren. Die Heizung ein Grad tiefer stellen. Den Fernseher nicht mehr auf Standby schalten. Ängste werden geweckt: Wie geht es in der Zukunft weiter, sehen die Kinder den Gletscher noch - und die Grosskinder?

Zeigen, wie's geht

«Der Klimawandel ist etwas, vor dem man Angst haben kann», bestätigt Hofstetter. Ängste können aber kontraproduktiv sein. Die Versuchung, diese sowie die gehörten und gefühlten Folgen des Klimawandels nach der Wandertour zu verdrängen, ist gross. Der Nutzen damit gleich null. Myclimate lässt die Wanderer mit ihren Befürchtungen aber nicht alleine, sondern nimmt sie an der Hand Richtung Neue Monte-Rosa-Hütte. Durch Lina und Pius erfährt man, dass sich das Gebäude durch eine grosse Photovoltaikanlage zu einem grossen Teil selbst mit Energie versorgt.

Die Informationen zur Neuen Monte-Rosa-Hütte und zu den vorbereiteten Rätseln über das Klima steuerte Meinrad Eberle, ehemaliger ETH-Professor am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik, bei. Über Umweltkatastrophen und andere Geschichten aus der Region wussten Einheimische einiges zu erzählen. Für alles andere mussten die Verantwortlichen bei myclimate Bücher wälzen. Ein Jahr dauerte es von der Idee bis zum fertigen Klimahörpfad. Über all dem Aufwand steht ein grosses Ziel, wie Hofstetter sagt: «Wir wollen nicht mit erhobenem Zeigefinger anprangern. Die Leute sollen einiges davon in ihren Alltag mitnehmen können und selbst tätig werden.»

CO2-Emissionen kompensieren

Myclimate ist eine Klimaschutzorganisation, die 2002 als Spin-off der ETH Zürich gegründet wurde. Wer seine Emissionen verringern und klimaneutral werden möchte, kann einen Geldbetrag, der seinem CO2-Emissionsverbrauch entspricht, der Non-Profit-Organisation spenden. Diese stellt das Geld wiederum einem Klimaschutzprojekt in Entwicklungsländern, Europa und Neuseeland zur Verfügung. Bekannt geworden ist die Initiative durch die Kompensationsmöglichkeit im Flugverkehr, wo der Fluggast für den Treibhausgas-Ausstoss einen bestimmten Betrag bezahlen kann.

 
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