Veröffentlicht: 16.08.10
Science

Raubtiere statt Schaden bezahlen

Im Wallis wurde vergangene Woche ein Wolf geschossen, der «untragbare» Schäden an Nutztieren verursachte. ETH-Forscherin Astrid Zabel erklärt, wie andere Länder den Konflikt zwischen Haus- und Wildtieren zu entschärfen versuchen.

Peter Rüegg
Umgekehrte Vorzeichen in Schweden: Statt Geld für Verluste an ihren Tieren erhalten Rentierhalter Geld für die Raubtiere, die in ihren Weidegebieten leben. (Bild: Astrid Zabel, ETH Zürich)
Umgekehrte Vorzeichen in Schweden: Statt Geld für Verluste an ihren Tieren erhalten Rentierhalter Geld für die Raubtiere, die in ihren Weidegebieten leben. (Bild: Astrid Zabel, ETH Zürich) (Grossbild)

Frau Zabel, vergangene Woche wurde im Wallis ein Wolf zum Abschuss freigegeben und sofort auch geschossen. Was halten Sie davon?
Ich möchte mich dazu nicht äussern, ich bin Wissenschaftlerin und versuche, mich neutral zu verhalten, möchte mich also auch nicht auf die eine oder andere Seite stellen, damit meine Forschung nicht gefärbt wirkt.

In der Schweiz flackert der Konflikt jedes Jahr mit der Sömmerung von Nutztieren auf den Alpen auf und endet in der Regel für Raubtiere tödlich. Muss das so sein oder können Sie aufgrund Ihrer Forschung ein anderes Vorgehen empfehlen?
Klar ist, dass Raubtiere nicht nur in der Schweiz auf dem Vormarsch sind und dass die Frage noch lange aktuell bleiben wird. Die Medien schenken dem immer viel Aufmerksamkeit, wenn ein solcher Entscheid gefällt wird. In meiner Forschung ging es darum herauszufinden, wie konkrete, politisch vorgegebene Ziele für den Raubtierschutz mit politischen Massnahmen möglichst gut erreicht werden können. Meine Arbeit bezieht sich auf die Situation der Raubtiere in Schweden und die des Tigers in Indien. Meine Aufgabe ist es aber nicht, diese Ziele zu diskutieren. Es geht vielmehr darum, zu erforschen, wie man das System möglichst nachhaltig und optimal für alle Akteure ausgestalten kann.

Dann muss man aber erst einen Konsens finden, wie viele Raubtiere für alle erträglich sind. Wird da gefeilscht wie auf einem Bazar?
In Schweden gab der Staat erst eine Studie in Auftrag, um festzustellen, wie viele Individuen es braucht, um eine gesunde, überlebensfähige, haltbare Raubtier-Population sicherzustellen. Auch Schweden hat sich mittels internationalen Übereinkommen verpflichtet, diese Tiere zu schützen. Nur ist dort die Situation so, dass es viel mehr Platz für Raubtiere gibt als in der Schweiz; es gibt riesige Wälder und menschenleere Gebiete.

Aber die Rentierzüchter lassen ihre Tiere ebenfalls frei weiden, die so zur leichten Beute werden wie die Schafe in den Schweizer Alpen.
Im Winter sind Rentiere für Raubtiere tatsächlich eine einfache Beute. Raubtiere sind und waren schon immer abhängig von Rentieren als Futterquelle. Deshalb ist auch klar, dass, je weniger Raubtiere es gibt, desto besser überleben die Rentiere.

Was könnte die Schweiz für den Schutz der Raubtiere von den Schweden lernen?
Das kann ich so nicht sagen. Schweden ist ganz anders organisiert. Ob dieses System für die Schweizer Raubtiere etwas bringt, entzieht sich meiner Kenntnis.

Wie funktioniert das schwedische System?
In Schweden sind die Rentierhalter in 51 Sami-Dörfern organisiert, die entsprechende Weidegebiete verwalten und damit zwei Drittel des gesamten Landes abdecken. In diesen Dörfern haben die Halter Weiderechte aber nicht Eigentumsrechte. Sie dürfen die Tiere unbeaufsichtigt weiden lassen. Alljährlich wird jedoch die Anzahl Raubtiere erfasst und, abhängig von der Raubtier-Verjüngung in ihrem Gebiet, erhalten die Dörfer gewisse Zahlungen. Für einen Wurf Wölfe gäbe es 500'000 schwedische Kronen, das entspricht 71'350 Franken. Diese Summe wurde jedoch noch nie ausbezahlt, weil es in den schwedischen Rentiergebieten derzeit keine Wölfe gibt. Wölfe gibt es nur im Süden, die keinen Kontakt zu anderen Populationen haben. Ab und zu wandern Wölfe in Nordschweden ein, werden aber meist abgeschossen, ausser es handelt sich um Tiere aus dem Osten, da wird versucht, sie bis Südschweden wandern zu lassen, um das Blut der dortigen Tiere aufzufrischen. Es passiert aber nicht häufig. Kommen Raubtiere wie Luchs, Vielfrass oder Wolf in Rentiergebieten vor, löst bereits ihre Präsenz Zahlungen an die Dörfer aus.

Ist das eine Schadenspauschale, damit der Staat möglichst wenig Aufwand hat?
Bis 1996 entschädigte der Staat die Halter für gerissene Rentiere und zahlte deren Marktwert. Die Halter mussten dann die toten Rentiere suchen gehen. Das funktionierte jedoch nicht gut, weil trotz allem niemand einen Anreiz hatte, die Raubtiere am Leben zu lassen. Danach drehte der Staat den Spiess um und zahlt nun für vorhandene Raubtiere. Jetzt muss niemand mehr tote Rentiere suchen gehen. Das kommt den Haltern entgegen. Die Pauschale ist so abgestimmt, dass sie ungefähr dem Schaden entspricht, den ein Raubtier in seinem Leben verursacht.

Was passiert mit dem Geld?
Die Sami-Dörfer haben die Freiheit, mit dem Geld zu tun was sie wollen. Der Staat überlässt die Entscheidung den Dörfern. Es hat sich gezeigt, dass es am nützlichsten für den Raubtierschutz ist, wenn ein Dorf das Geld an einzelne Rentier-Halter vergibt. Kleinere Dörfer schützten ihre Raubtiere in der Regel besser als grosse. Wobei es auch einen zweiten Effekt bedingt durch die Gruppengrösse gibt. Grosse Dörfer tendierten eher dazu, Geld an einzelne Gruppenmitglieder zu verteilen, was ebenfalls einen positiven Effekt auf den Schutz der Raubtiere hat.

Wieso geben die grösseren Dörfer das Geld eher an Einzelne?
Weil es in Grossgruppen schwieriger ist, einen Konsens zu finden, wie das Geld gemeinsam ausgegeben werden soll. Man müsste sich mit mehr Leuten einigen.

Sie haben auch in Indien die Tiger-Problematik studiert. Wie sind die Probleme dort gelagert?
Wesentlich ist, dass viele bedrohte Raubtierarten in den Tropen leben. Die Frage war deshalb, ob man den Ansatz aus Schweden auch auf ein tropisches Land übertragen kann. In Indien zeigte es sich, dass dies sehr schwierig ist. Die Tiger leben in Parks, rundherum sind viele Dörfer. In Schweden können sich dagegen mehrere Raubtiere in einem Dorf befinden, so dass die Zuordnung zu einem Dorf einfacher fällt. In Indien gibt es hingegen diese Verbindung von einzelnen Dörfern und «ihren» Tigern nicht.

Welchen Ansatz gibt es dann?
Diverse Studien zeigen, dass Tiger-Populationen von der Beutemenge abhängen, und diese wiederum wird beeinflusst vom Angebot an Gräsern und Blättern. In den Parks ist noch alles grün, rundherum ist hingegen alles von Nutztieren kahl gefressen. Deshalb entstand die Idee, dass man die Bewohner für eine Reduzierung der Überweidung entschädigt. Das ist eine indirekte Kette. Generell ist der Ansatz auf Interesse gestossen, aber konkret durchführbar ist das noch nicht. Da müsste man mit einer Umweltorganisation wie dem WWF zusammenarbeiten.

Ist Geld der beste Schlüssel zum Schutz von Raubtieren?
Ein Problem ist, dass die Angelegenheit auch eine emotionale Seite hat. Rentier- oder Schafhalter werden meist belächelt, weil sie sich solche Sorgen um ihre Tiere machen. Wir wurden deshalb gebeten, die Studie auf den Stress, der den Haltern wegen der Raubtiere entsteht, auszudehnen. Wir erhoben Stresssymptome und berechneten Korrelationen zwischen den Symptomen und der Raubtierdichte, den Rentier-Verlusten und der Anzahl an Arbeitsstunden, die mit den Tieren verbracht werden.

Was kam dabei heraus?
Stresssymptome sind viel stärker mit tatsächlichen Verlusten korreliert als mit der Raubtierdichte. In Schweden gibt es interessanterweise eine geringe Korrelation zwischen Raubtierdichte und durchschnittlichen Rentierverlusten. Es ist wichtig, die emotionale Komponente einzubeziehen und ernst zu nehmen. Denn monetär sind zum Beispiel Schafe nicht so viel wert, und man kann sie gut ersetzen. Aber der emotionale Stress lässt sich nur schwer abgelten.

Macht es einen Unterschied, ob jemand Tiere als Hobby hat oder davon lebt?
Nicht alle Rentierhalter in Schweden sind Vollzeithalter. Unsere Studie zeigte, dass der Stress erheblich grösser ist bei den Leuten, die ökonomisch von ihren Tieren abgängig sind.

Welchen Anreiz hatten Sie, diese Studie zu machen?
Ich war Austauschschülerin in Schweden und das Leben der Sami hat mich fasziniert. An der Uni hat mich Ressourcen-Ökonomie begeistert. Auf der Suche nach einem Thema für meine Diplomarbeit bin ich auf das Schwedische System gestossen. An der ETH hatte ich dann die Möglichkeit, den Fragen zum Schwedischen System und dessen Übertragbarkeit auf Indien auf den Grund zu gehen. Gefördert wurde das Projekt von Nord-Süd Zentrum und FORMAS in Schweden.

Astrid Zabel ist Doktorandin am Lehrstuhl für Umweltpolitik und Umweltökonomie im Institut für Umweltentscheidungen. Die 30-jährige Deutsche studierte in Bonn und Gödöllö, Ungarn, und diplomierte 2006 in Agrar- und Ressourcenökonomie. Ihre Dissertation an der ETH Zürich, die sie im Frühjahr 2010  abschloss, schrieb sie über politische Instrumente, mit denen Konflikte zwischen Nutz- und Raubtieren gemildert werden können, insbesondere deren Anwendbarkeit in Entwicklungsländern.

 
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