Raubtiere statt Schaden bezahlen
Im Wallis wurde vergangene Woche ein Wolf geschossen, der «untragbare» Schäden an Nutztieren verursachte. ETH-Forscherin Astrid Zabel erklärt, wie andere Länder den Konflikt zwischen Haus- und Wildtieren zu entschärfen versuchen.
Frau Zabel, vergangene Woche wurde im
Wallis ein Wolf zum Abschuss freigegeben und sofort auch geschossen. Was halten
Sie davon?
Ich möchte
mich dazu nicht äussern, ich bin Wissenschaftlerin und versuche, mich neutral
zu verhalten, möchte mich also auch nicht auf die eine oder andere Seite
stellen, damit meine Forschung nicht gefärbt wirkt.
In der Schweiz flackert der Konflikt
jedes Jahr mit der Sömmerung von Nutztieren auf den Alpen auf und endet in der
Regel für Raubtiere tödlich. Muss das so sein oder können Sie aufgrund Ihrer
Forschung ein anderes Vorgehen empfehlen?
Klar ist,
dass Raubtiere nicht nur in der Schweiz auf dem Vormarsch sind und dass die
Frage noch lange aktuell bleiben wird. Die Medien schenken dem immer viel
Aufmerksamkeit, wenn ein solcher Entscheid gefällt wird. In meiner Forschung
ging es darum herauszufinden, wie konkrete, politisch vorgegebene Ziele für den
Raubtierschutz mit politischen Massnahmen möglichst gut erreicht werden können.
Meine Arbeit bezieht sich auf die Situation der Raubtiere in Schweden und die des
Tigers in Indien. Meine Aufgabe ist es aber nicht, diese Ziele zu diskutieren.
Es geht vielmehr darum, zu erforschen, wie man das System möglichst nachhaltig
und optimal für alle Akteure ausgestalten kann.
Dann muss man aber erst einen Konsens
finden, wie viele Raubtiere für alle erträglich sind. Wird da gefeilscht wie
auf einem Bazar?
In Schweden
gab der Staat erst eine Studie in Auftrag, um festzustellen, wie viele
Individuen es braucht, um eine gesunde, überlebensfähige, haltbare
Raubtier-Population sicherzustellen. Auch Schweden hat sich mittels
internationalen Übereinkommen verpflichtet, diese Tiere zu schützen. Nur ist dort
die Situation so, dass es viel mehr Platz für Raubtiere gibt als in der Schweiz;
es gibt riesige Wälder und menschenleere Gebiete.
Aber die Rentierzüchter lassen ihre
Tiere ebenfalls frei weiden, die so zur leichten Beute werden wie die Schafe in
den Schweizer Alpen.
Im Winter
sind Rentiere für Raubtiere tatsächlich eine einfache Beute. Raubtiere sind und
waren schon immer abhängig von Rentieren als Futterquelle. Deshalb ist auch
klar, dass, je weniger Raubtiere es gibt, desto besser überleben die Rentiere.
Was könnte die Schweiz für den Schutz
der Raubtiere von den Schweden lernen?
Das kann ich
so nicht sagen. Schweden ist ganz anders organisiert. Ob dieses System für die
Schweizer Raubtiere etwas bringt, entzieht sich meiner Kenntnis.
Wie funktioniert das schwedische
System?
In Schweden
sind die Rentierhalter in 51 Sami-Dörfern organisiert, die entsprechende Weidegebiete
verwalten und damit zwei Drittel des gesamten Landes abdecken. In diesen
Dörfern haben die Halter Weiderechte aber nicht Eigentumsrechte. Sie dürfen die
Tiere unbeaufsichtigt weiden lassen. Alljährlich wird jedoch die Anzahl Raubtiere
erfasst und, abhängig von der Raubtier-Verjüngung in ihrem Gebiet, erhalten die Dörfer
gewisse Zahlungen. Für einen Wurf Wölfe gäbe es 500'000 schwedische Kronen, das
entspricht 71'350 Franken. Diese Summe wurde jedoch noch nie ausbezahlt, weil
es in den schwedischen Rentiergebieten derzeit keine Wölfe gibt. Wölfe gibt es
nur im Süden, die keinen Kontakt zu anderen Populationen haben. Ab und zu
wandern Wölfe in Nordschweden ein, werden aber meist abgeschossen, ausser es
handelt sich um Tiere aus dem Osten, da wird versucht, sie bis Südschweden
wandern zu lassen, um das Blut der dortigen Tiere aufzufrischen. Es passiert
aber nicht häufig. Kommen Raubtiere wie Luchs, Vielfrass oder Wolf in
Rentiergebieten vor, löst bereits ihre Präsenz Zahlungen an die Dörfer aus.
Ist das eine Schadenspauschale, damit
der Staat möglichst wenig Aufwand hat?
Bis 1996
entschädigte der Staat die Halter für gerissene Rentiere und zahlte deren
Marktwert. Die Halter mussten dann die toten Rentiere suchen gehen. Das
funktionierte jedoch nicht gut, weil trotz allem niemand einen Anreiz hatte,
die Raubtiere am Leben zu lassen. Danach drehte der Staat den Spiess um und
zahlt nun für vorhandene Raubtiere. Jetzt muss niemand mehr tote Rentiere
suchen gehen. Das kommt den Haltern entgegen. Die Pauschale ist so abgestimmt,
dass sie ungefähr dem Schaden entspricht, den ein Raubtier in seinem Leben
verursacht.
Was passiert mit dem Geld?
Die Sami-Dörfer
haben die Freiheit, mit dem Geld zu tun was sie wollen. Der Staat überlässt die
Entscheidung den Dörfern. Es hat sich gezeigt, dass es am nützlichsten für den
Raubtierschutz ist, wenn ein Dorf das Geld an einzelne Rentier-Halter vergibt.
Kleinere Dörfer schützten ihre Raubtiere in der Regel besser als grosse. Wobei
es auch einen zweiten Effekt bedingt durch die Gruppengrösse gibt. Grosse
Dörfer tendierten eher dazu, Geld an einzelne Gruppenmitglieder zu verteilen,
was ebenfalls einen positiven Effekt auf den Schutz der Raubtiere hat.
Wieso geben die grösseren Dörfer das
Geld eher an Einzelne?
Weil es in
Grossgruppen schwieriger ist, einen Konsens zu finden, wie das Geld gemeinsam
ausgegeben werden soll. Man müsste sich mit mehr Leuten einigen.
Sie haben auch in Indien die
Tiger-Problematik studiert. Wie sind die Probleme dort gelagert?
Wesentlich
ist, dass viele bedrohte Raubtierarten in den Tropen leben. Die Frage war
deshalb, ob man den Ansatz aus Schweden auch auf ein tropisches Land übertragen
kann. In Indien zeigte es sich, dass dies sehr schwierig ist. Die Tiger leben
in Parks, rundherum sind viele Dörfer. In Schweden können sich dagegen mehrere
Raubtiere in einem Dorf befinden, so dass die Zuordnung zu einem Dorf einfacher
fällt. In Indien gibt es hingegen diese Verbindung von einzelnen Dörfern und «ihren»
Tigern nicht.
Welchen Ansatz gibt es dann?
Diverse
Studien zeigen, dass Tiger-Populationen von der Beutemenge abhängen, und diese
wiederum wird beeinflusst vom Angebot an Gräsern und Blättern. In den Parks ist
noch alles grün, rundherum ist hingegen alles von Nutztieren kahl gefressen.
Deshalb entstand die Idee, dass man die Bewohner für eine Reduzierung der
Überweidung entschädigt. Das ist eine indirekte Kette. Generell ist der Ansatz
auf Interesse gestossen, aber konkret durchführbar ist das noch nicht. Da
müsste man mit einer Umweltorganisation wie dem WWF zusammenarbeiten.
Ist Geld der beste Schlüssel zum
Schutz von Raubtieren?
Ein Problem ist,
dass die Angelegenheit auch eine emotionale Seite hat. Rentier- oder
Schafhalter werden meist belächelt, weil sie sich solche Sorgen um ihre Tiere machen.
Wir wurden deshalb gebeten, die Studie auf den Stress, der den Haltern wegen
der Raubtiere entsteht, auszudehnen. Wir erhoben Stresssymptome und berechneten
Korrelationen zwischen den Symptomen und der Raubtierdichte, den Rentier-Verlusten und der Anzahl an
Arbeitsstunden, die mit den Tieren verbracht werden.
Was kam dabei heraus?
Stresssymptome
sind viel stärker mit tatsächlichen Verlusten korreliert als mit der
Raubtierdichte. In Schweden gibt es interessanterweise eine geringe Korrelation
zwischen Raubtierdichte und durchschnittlichen Rentierverlusten. Es ist wichtig,
die emotionale Komponente einzubeziehen und ernst zu nehmen. Denn monetär sind
zum Beispiel Schafe nicht so viel wert, und man kann sie gut ersetzen. Aber der
emotionale Stress lässt sich nur schwer abgelten.
Macht es einen Unterschied, ob jemand
Tiere als Hobby hat oder davon lebt?
Nicht alle Rentierhalter
in Schweden sind Vollzeithalter. Unsere Studie zeigte, dass der Stress
erheblich grösser ist bei den Leuten, die ökonomisch von ihren Tieren abgängig
sind.
Welchen Anreiz hatten Sie, diese
Studie zu machen?
Ich war
Austauschschülerin in Schweden und das Leben der Sami hat mich fasziniert. An
der Uni hat mich Ressourcen-Ökonomie begeistert. Auf der Suche nach einem Thema
für meine Diplomarbeit bin ich auf das Schwedische System gestossen. An der ETH
hatte ich dann die Möglichkeit, den Fragen zum Schwedischen System und dessen
Übertragbarkeit auf Indien auf den Grund zu gehen. Gefördert wurde das Projekt
von Nord-Süd Zentrum und FORMAS in Schweden.
Astrid Zabel ist Doktorandin am Lehrstuhl für Umweltpolitik und Umweltökonomie im Institut für Umweltentscheidungen. Die 30-jährige Deutsche studierte in Bonn und Gödöllö, Ungarn, und diplomierte 2006 in Agrar- und Ressourcenökonomie. Ihre Dissertation an der ETH Zürich, die sie im Frühjahr 2010 abschloss, schrieb sie über politische Instrumente, mit denen Konflikte zwischen Nutz- und Raubtieren gemildert werden können, insbesondere deren Anwendbarkeit in Entwicklungsländern.
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