Veröffentlicht: 10.08.12
Science

Dürre in den USA: Vorbote einer erneuten Nahrungsmittelkrise?

Der ETH-Agrarökonom Martijn Sonnevelt beschäftigt sich in seiner Forschung mit der zukünftigen Entwicklung von Getreide-Wertschöpfungsketten. Trotz Dürre in den USA und steigenden Mais- und Sojapreisen glaubt er nicht, dass die derzeitige Situation mit der globalen Nahrungsmittelkrise von 2008 vergleichbar ist.

Interview: Samuel Schlaefli
Im US-Bundesstaat Illinois verdorrt wegen der Trockenheit der Mais. (Bild: Flickr / Velo_city)
Im US-Bundesstaat Illinois verdorrt wegen der Trockenheit der Mais. (Bild: Flickr / Velo_city) (Grossbild)

Herr Sonnevelt, die USA kämpfen derzeit mit der grössten Dürre seit über 50 Jahren; die Hälfte der Bundesstaaten hat den Notstand ausgerufen. In der Folge ist der Weltmarktpreis für Mais und Soja stark angestiegen. Weshalb hat die regionale Krise globale Auswirkungen?
Die USA sind der weltweit wichtigste Maisproduzent und -exporteur, rund die Hälfte des globalen Handelsvolumens kommt von dort. Schon im Frühling gab es Warnungen, dass die globalen Mais-Lagermengen relativ niedrig sind. Mit der Dürre und den prognostizierten Ernteausfällen ist die Angst grösser geworden, dass es zu Engpässen kommen könnte. Das widerspiegelt sich in höheren Weltmarktpreisen.

Mit welchen Ernteausfällen rechnet man?
Das US-Landwirtschaftsministerium prognostizierte im Juni für Mais noch 390 Millionen Tonnen Ernte in den USA für 2012/13, einen Monat später waren es 344 Millionen Tonnen. Sie sehen: Das ist relativ zum global erwarten Output von 1184 Millionen Tonnen kein massiver Rückgang. Doch weil die Lagermengen bereits niedrig sind, reagiert Preis empfindlich. Hinzu kommt, dass die Nachfrage stetig ansteigt: Die Bevölkerung wächst, es wird weltweit mehr Fleisch gegessen und Mais findet immer breitere Verwendung, auch als Ausgangsprodukt für Zucker in Lebensmitteln oder Biotreibstoff.

In den Medien kursierten in den vergangenen Wochen immer wieder Warnungen, die derzeitige Entwicklung könnte auf eine Situation wie 2008 zusteuern. Damals konnten sich Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten, in 30 Staaten kam es zu Hungerprotesten. Sind diese Ängste berechtigt?
Nur bedingt. Natürlich sind die Haushalte in Entwicklungsländern viel stärker von Getreide-Preisschwankungen betroffen als wir. Dort machen Lebensmittel oft über die Hälfte der Lebenskosten aus. Hauptimporteure von Mais aus den USA sind allerdings vor allem China, Japan, Südkorea, Kanada, Mexiko und Ägypten. Ausser in Mexiko, wo Mais das wichtigste Grundnahrungsmittel ist, wird der grösste Maisanteil für die Fleischproduktion eingesetzt.

Das ist bei Weizen und Reis anders, nehme ich an.
Ja, ein Fünftel der weltweiten Kalorienaufnahme wird über Reis gedeckt. Reis ist im Gegensatz zu Mais und Soja nur schwer substituierbar. Der Reispreis war jedoch in den vergangenen Monaten einigermassen stabil. Wichtig ist allerdings auch das globale Handelsvolumen: Nur sieben Prozent der globalen Reismenge werden global gehandelt. Beim Mais sind es 15 Prozent und beim Soja und Weizen um die 30. Je kleiner die gehandelten Volumen, desto stärker wirkt sich ein Ernteverlust auf den Preis aus.

Inwiefern kann die agrarökonomische Forschung, die Sie unter dem Dach des «World Food System Center» der ETH Zürich betreiben, zur Sicherung der globalen Nahrungsmittelversorgung beitragen?
In unserem Projekt untersuchen wir derzeit, wie sich die globalen Wertschöpfungsketten für Getreide bis 2050 verändern werden. Wir wollen die bestimmenden Treiber und Faktoren dieser Veränderung besser verstehen lernen. Durch das bessere Verständnis des gesamten Nahrungsmittelsystems sind wir in Zukunft hoffentlich eher in der Lage, gegen Nahrungsmittelkrisen wirkungsvolle Massnahmen zu treffen.

Das hört sich nach einem Allerweltsprojekt an. Wie Grenzen Sie ihre Forschungsfragen ein?
Wir fokussieren uns auf Weizen, Mais, Reis, Soja und Sorghum und arbeiten mit Fallbeispielen. Ich verfolge derzeit die Entwicklung von Soja in China und Brasilien. Obwohl China selbst extrem viel Soja produziert, kann es die steigende Nachfrage aufgrund des erhöhten Fleischkonsums nur noch über Importe decken. Es importiert Soja aus Brasilien, das in den vergangenen Jahren zum zweitgrössten Soja-Exporteur weltweit herangewachsen ist.

In letzter Zeit werden Stimmen lauter, die eine grössere «Nahrungsmittel-Souveränität» von Staaten fordern. Taugt das Modell der Selbstversorgung gegen zukünftige Nahrungsmittelkrisen?
Der internationale Handel hat in der Vergangenheit oft versagt. Selbstversorgung ist trotzdem keine Lösung. Vielmehr müssen wir die Rahmenbedingungen für den Handel verbessern, sodass kein Handelspartner mehr benachteiligt ist. Dazu gehört ein transparenter Markt ohne Verzerrungen und der Zugang zu Informationen. Dies gilt auch für Kleinbauern, die heute oft auf Mittelsmänner angewiesen sind. Sie müssen wissen, was auf den lokalen, regionalen und globalen Märkten geschieht, und über eine Infrastruktur verfügen, die eine Teilnahme am Markt ermöglicht. Würde man Kleinbauern vom Markt abkoppeln, raubte man ihnen eine wichtige Entwicklungschance.

Zur Person

Martijn Sonnevelt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Agrarwirtschaft und Dozent am Departement Umweltsystemwissenschaften (D-USYS) der ETH Zürich. Das Forschungsprojekt «Perspectives of the Global Grain Value Chain» findet unter dem Dach des «World Food System Center» der ETH Zürich statt.

 
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