Dürre in den USA: Vorbote einer erneuten Nahrungsmittelkrise?
Der ETH-Agrarökonom Martijn Sonnevelt beschäftigt sich in seiner Forschung mit der zukünftigen Entwicklung von Getreide-Wertschöpfungsketten. Trotz Dürre in den USA und steigenden Mais- und Sojapreisen glaubt er nicht, dass die derzeitige Situation mit der globalen Nahrungsmittelkrise von 2008 vergleichbar ist.
Herr Sonnevelt, die USA kämpfen derzeit mit der
grössten Dürre seit über 50 Jahren; die Hälfte der Bundesstaaten hat den
Notstand ausgerufen. In der Folge ist der Weltmarktpreis für Mais und Soja
stark angestiegen. Weshalb hat die regionale Krise globale Auswirkungen?
Die USA sind
der weltweit wichtigste Maisproduzent und -exporteur, rund die Hälfte des globalen
Handelsvolumens kommt von dort. Schon im Frühling gab es Warnungen, dass die globalen
Mais-Lagermengen relativ niedrig sind. Mit der Dürre und den prognostizierten
Ernteausfällen ist die Angst grösser geworden, dass es zu Engpässen kommen
könnte. Das widerspiegelt sich in höheren Weltmarktpreisen.
Mit welchen Ernteausfällen rechnet man?
Das US-Landwirtschaftsministerium
prognostizierte im Juni für Mais noch 390 Millionen Tonnen Ernte in den USA für
2012/13, einen Monat später waren es 344 Millionen Tonnen. Sie sehen: Das ist relativ
zum global erwarten Output von 1184 Millionen Tonnen kein massiver Rückgang. Doch
weil die Lagermengen bereits niedrig sind, reagiert Preis empfindlich. Hinzu kommt, dass die Nachfrage
stetig ansteigt: Die Bevölkerung wächst, es wird weltweit mehr Fleisch gegessen
und Mais findet immer breitere Verwendung, auch als Ausgangsprodukt für Zucker
in Lebensmitteln oder Biotreibstoff.
In den Medien kursierten in den vergangenen
Wochen immer wieder Warnungen, die derzeitige Entwicklung könnte auf eine
Situation wie 2008 zusteuern. Damals konnten sich Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern
Grundnahrungsmittel nicht mehr leisten, in 30 Staaten kam es zu Hungerprotesten.
Sind diese Ängste berechtigt?
Nur
bedingt. Natürlich sind die Haushalte in Entwicklungsländern viel stärker von Getreide-Preisschwankungen
betroffen als wir. Dort machen Lebensmittel oft über die Hälfte der
Lebenskosten aus. Hauptimporteure von Mais aus den USA sind allerdings vor
allem China, Japan, Südkorea, Kanada, Mexiko und Ägypten. Ausser in Mexiko, wo
Mais das wichtigste Grundnahrungsmittel ist, wird der grösste Maisanteil für
die Fleischproduktion eingesetzt.
Das ist bei Weizen und Reis anders, nehme ich
an.
Ja, ein Fünftel
der weltweiten Kalorienaufnahme wird über Reis gedeckt. Reis ist im Gegensatz
zu Mais und Soja nur schwer substituierbar. Der
Reispreis war jedoch in den vergangenen Monaten einigermassen stabil. Wichtig ist allerdings auch das globale Handelsvolumen:
Nur sieben Prozent der globalen Reismenge werden global gehandelt. Beim Mais
sind es 15 Prozent und beim Soja und Weizen um die 30. Je kleiner die
gehandelten Volumen, desto stärker wirkt sich ein Ernteverlust auf den Preis
aus.
Inwiefern kann die agrarökonomische Forschung,
die Sie unter dem Dach des «World Food
System Center» der ETH Zürich betreiben,
zur Sicherung der globalen Nahrungsmittelversorgung beitragen?
In
unserem Projekt untersuchen wir derzeit, wie sich die globalen
Wertschöpfungsketten für Getreide bis 2050 verändern werden. Wir wollen die
bestimmenden Treiber und Faktoren dieser Veränderung besser verstehen lernen. Durch
das bessere Verständnis des gesamten Nahrungsmittelsystems sind wir in Zukunft hoffentlich
eher in der Lage, gegen Nahrungsmittelkrisen wirkungsvolle Massnahmen zu
treffen.
Das hört sich nach einem Allerweltsprojekt an.
Wie Grenzen Sie ihre Forschungsfragen ein?
Wir fokussieren
uns auf Weizen, Mais, Reis, Soja und Sorghum und arbeiten mit Fallbeispielen. Ich
verfolge derzeit die Entwicklung von Soja in China und Brasilien. Obwohl China selbst extrem viel Soja
produziert, kann es die steigende Nachfrage aufgrund des erhöhten Fleischkonsums
nur noch über Importe decken. Es importiert Soja aus Brasilien, das in den
vergangenen Jahren zum zweitgrössten Soja-Exporteur weltweit herangewachsen
ist.
In letzter Zeit werden Stimmen lauter, die eine
grössere «Nahrungsmittel-Souveränität» von Staaten fordern. Taugt das Modell
der Selbstversorgung gegen zukünftige Nahrungsmittelkrisen?
Der
internationale Handel hat in der Vergangenheit oft versagt. Selbstversorgung
ist trotzdem keine Lösung. Vielmehr müssen wir die Rahmenbedingungen für den Handel
verbessern, sodass kein Handelspartner mehr benachteiligt ist. Dazu gehört ein
transparenter Markt ohne Verzerrungen und der Zugang zu Informationen. Dies
gilt auch für Kleinbauern, die heute oft auf Mittelsmänner angewiesen sind. Sie
müssen wissen, was auf den lokalen, regionalen und globalen Märkten geschieht,
und über eine Infrastruktur verfügen, die eine Teilnahme am Markt ermöglicht. Würde
man Kleinbauern vom Markt abkoppeln, raubte man ihnen eine wichtige Entwicklungschance.
Zur Person
Martijn Sonnevelt ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur für Agrarwirtschaft und Dozent am Departement Umweltsystemwissenschaften (D-USYS) der ETH Zürich. Das Forschungsprojekt «Perspectives of the Global Grain Value Chain» findet unter dem Dach des «World Food System Center» der ETH Zürich statt.
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