Veröffentlicht: 29.07.10
Campus

Ingenieurin für einen Tag

Am Mädchen-Experimentiertag am Institut für Geotechnik der ETH durften Schülerinnen der 6. und 7. Klasse einen Tag lang Ingenieurinnen sein. Das Angebot des «Ferienspass» der Stadt Zürich soll bei den Mädchen Interesse für ein Berufsfeld wecken, das noch immer von Männern dominiert wird.

Claudia Hoffmann
Eigenhändig Sand zu schaufeln macht den Mädchen am meisten Spass. Mit kleinen Kunststoffplatten sichern sie die Wände der Baugrube. (Bild: Claudia Hoffmann / ETH Zürich)
Eigenhändig Sand zu schaufeln macht den Mädchen am meisten Spass. Mit kleinen Kunststoffplatten sichern sie die Wände der Baugrube. (Bild: Claudia Hoffmann / ETH Zürich) (Grossbild)

«Wer will ein Erdbeben machen?» Mehrere Mädchen strecken die Hand nach dem Gummihammer aus. Jede möchte einmal gegen den Plexiglasbehälter klopfen, in dem ein Modellhaus auf Sand steht. Am Mädchen-Experimentiertag am Institut für Geotechnik können die Schülerinnen selbst ausprobieren, welche Materialien als Untergrund geeignet sind, damit ein Haus sicher darauf steht. Das Modellhaus sinkt mit jedem Hammerschlag ein Stück tiefer ein. Die Mädchen sind sich einig: «Besser kein Haus auf Sand bauen».

Zehn Schülerinnen im Alter zwischen zehn und dreizehn Jahren haben sich für den Experimentiertag angemeldet. Am Vormittag stand bereits eine Führung auf der Baustelle Tram Zürich-West an der Hardbrücke auf dem Programm. Am Nachmittag können die Mädchen selbst in die Ingenieurinnen-Rolle schlüpfen und im Labor experimentieren. Unter der Anleitung von Studentinnen und Mitarbeitern des Instituts für Geotechnik probieren sie aus, was mit einem Tunnel bei einer Überschwemmung passiert oder welches Material am besten zum Bau eines Dammes geeignet ist. «Mir gefällt das hier», sagt die elfjährige Laura Carolina. «Sowas machen wir in der Schule nicht.»

Kolleginnen sind am wichtigsten

Sarah Springman, ETH-Professorin am Institut für Geotechnik, schaut immer mal wieder herein und kommentiert und erklärt die Experimente. Obwohl der Anteil an Studentinnen bei den Bauingenieurwissenschaften immer noch niedrig ist (19,2% im Jahr 2009), stellt sie fest, dass immer mehr Frauen sich für dieses Studium entscheiden. «Es ist wichtig, dass eine kritische Masse erreicht wird», sagt sie, und erklärt weiter: «Wenn ich Studentinnen frage, auf welcher Ebene es ihnen am wichtigsten ist, dass Frauen vertreten sind, sind das nicht etwa die Professorinnen oder Assistentinnen, sondern die Studienkolleginnen».

Rutschtest mit Sand

In den Laborräumen für Bodenmechanik durchlaufen die Mädchen in zwei Gruppen unterschiedliche Stationen. Ralf Herzog, Assistent am Institut für Geotechnik, erläutert an der Tafel, wie der Wassergehalt die Eigenschaften von Ton verändert. Zu Beginn wirken die Mädchen etwas ratlos, bald kneten und rollen sie aber eifrig Ton und prüfen mit einem Schnitt-Test dessen Festigkeit.

Eine andere Gruppe macht einen Rutschtest mit verschiedenen Materialien. Zuvor haben die Mädchen schon ausprobiert, was sich zu einer steileren Pyramide auftürmen lässt, Kies oder Sand. Nun sollen sie schätzen, welches Material am Hang schneller ins Rutschen kommt. Die meisten tippen auf Sand und haben recht. Die Bauingenieur-Studentinnen Erika Merz und Daniela Herzig erklären, dass das an den feinen runden Sandkörnchen liegt, die nicht so gut ineinander greifen können wie der kantige Kies. Die beiden wurden von Sarah Springman angesprochen, ob sie am Experimentiertag mithelfen wollen. Daniela Herzig steht kurz vor dem Abschluss ihres Studiums. Ihr Interesse für Ingenieurswesen wurde geweckt, als sie mit der Schule die Baustelle des Uetlibergtunnels besuchte. Dass der Ingenieurberuf noch immer als Männerdomäne gilt, hat ihre Entscheidung nicht beeinflusst. «Darüber habe ich mir überhaupt keine Gedanken gemacht. Für mich war entscheidend, ob ich die ersten Prüfungen bestehe», sagt die selbstbewusste Studentin. Es sei schön, beim Experimentiertag etwas von ihrer Erfahrung weitergeben zu können.

Diplom für Dammbauerinnen

Der Höhepunkt des Tages ist der Bau eines Staudamms. Die in zwei Gruppen aufgeteilten Mädchen bekommen die Aufgabe, aus Ton, Kieseln und Sand einen Damm zu bauen, der dem Wasser standhält. Mit Ehrgeiz machen sich die Teams ans Werk. «Ich brauche hier bitte noch etwas Ton», ruft die zehnjährige Noemi und klopft einen braunen Klumpen mit den Händen fest. Im anderen Team wird noch diskutiert, wie der Damm aussehen soll. Als beide Gruppen fertig sind und der Behälter geflutet wird, beobachten die Mädchen mit Spannung den steigenden Wasserspiegel. Die Freude ist gross, als beide Dämme der Überschwemmung standhalten. Zum Abschluss bekommt jede der erfolgreichen Dammbauerinnen von Sarah Springman eine Diplom-Urkunde überreicht. «Vielleicht sehe ich die eine oder andere von euch ja schon in ein paar Jahren an der ETH wieder», scherzt die Professorin.

Ferienspassangebote an der ETH

Die ETH bietet in Zusammenarbeit mit der Fachstelle für Gleichstellung der Stadt Zürich mehrere Ferienspass-Veranstaltungen an. An zwei Experimentiertagen haben Schülerinnen der 6. und 7. Klassen Gelegenheit, frauenuntypische Berufe kennen zu lernen. Zusätzlich zum Ingenieurinnen-Tag am Institut für Geotechnik, der am 27.7. stattfand, können sich Schülerinnen am 29.7. als Wetter- und Klimaforscherinnen in den Laboren des Instituts für Atmosphäre und Klima versuchen. Neben den Angeboten speziell für Mädchen gibt es drei weitere Ferienspass-Angebote an der ETH, die sich an Mädchen und Jungen unterschiedlicher Altersgruppen richten.