Veröffentlicht: 03.05.10
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Düsentriebs Animationslabor eröffnet

Am vergangenen Freitag wurde «Disney Research Zurich» offiziell eröffnet. Es ist das einzige Forschungslabor von Walt Disney an einer europäischen Hochschule. Markus Gross, Leiter des neuen Labors an der ETH Zürich, zeigte, an welchen Innovationen die Forscher arbeiten. Ein Blick auf die Zukunft des Animationsfilms.

Samuel Schläfli
Markus Gross, Direktor von «Disney Research Zurich», gab Einblick in die Tätigkeiten seines Teams. Der Erfinder Daniel Düsentrieb hatte ihn einst zu einem Ingenieurstudium motiviert. (Bild: Philippe Hollenstein/ETH Zürich)
Markus Gross, Direktor von «Disney Research Zurich», gab Einblick in die Tätigkeiten seines Teams. Der Erfinder Daniel Düsentrieb hatte ihn einst zu einem Ingenieurstudium motiviert. (Bild: Philippe Hollenstein/ETH Zürich) (Grossbild)

«Mickey Mouse an der ETH», titelten im Herbst 2008 viele Zeitungen - die Nachricht von der Forschungszusammenarbeit von Walt Disney und der ETH Zürich machte die Runde. Markus Gross, ETH-Professor und Präsident von «Disney Research Zurich» (DRZ), war die vergangenen eineinhalb Jahre damit beschäftigt, seine neue Forschungsgruppe zusammenzustellen und die Labors an der Clausiusstrasse, nahe dem ETH-Hauptgebäude, einzurichten. Zunächst erfuhr man nur wenig darüber, an was bei DRZ geforscht wird. Viele Projekte mussten unter Verschluss gehalten werden, bis die Erfindungen patentiert waren. Vergangenen Freitag wurde DRZ nun offiziell eröffnet und Markus Gross informierte die Medien über die Forschungsschwerpunkte seines Teams. Gleichzeitig konnten sich Journalisten in den DRZ-Büros von Mitarbeitern deren Arbeit erklären lassen.

Arbeit am «heiligen Gral» der Animation

DRZ wird nicht nur für die Filmanimationsstudios von Walt Disney neue Technologien entwickeln, sondern für sämtliche Bereiche des Konzerns mit seinen 130'000 Mitarbeitern; darunter für die Sparten Fernsehen, Games, Vergnügungsparks und Merchandisingartikel. In all diesen Bereichen kommt Videotechnologie in irgendeiner Form zum Tragen. Einer der Schwerpunkte von DRZ ist die Modellierung von menschlichen Gesichtern, laut Markus Gross noch immer der «heilige Gral» der Filmanimation. Dafür hat eine seiner Forschungsgruppen einen Gesichtsscanner entwickelt, mit dem ein menschliches Gesicht bis zu 60 Mal pro Sekunde mit mehreren Kameras von unterschiedlichen Positionen aus «gescannt» werden kann. Damit können die kleinsten mimischen Feinheiten des menschlichen Gesichts auf eine Computeranimation übertragen werden.

Auch am dreidimensionalen Film, der laut Gross bald auch den Heimkino- und Fernsehmarkt erobern wird, forscht DRZ. Neue Werkzeuge sollen den Designern und Produzenten bei Pixar und Walt Disney in Los Angeles mehr Freiheiten bei 3D-Produktionen bieten. Eine laut Gross «bahnbrechende» Technologie ist das «Video Retargeting»: Forscher am DRZ haben Algorithmen entwickelt, mit welchen einzelne Bildelemente einer Filmaufnahme oder Animation verändert werden können, ohne dabei das Gesamtbild zu verzerren. Auch dreidimensionale Bilder können von den DRZ-Forschern im Nachhinein bearbeitet werden, was bislang als nahezu unmöglich galt. So können Fehler bei 3D-Filmaufnahmen – zum Beispiel ein zu grosser Tiefenbereich, der beim Zuschauer Kopfweh verursacht – in Zukunft nachträglich ausgemerzt werden. Damit sind auch Anpassungen möglich, um 3D-Filmaufnahmen oder Animationen in viele unterschiedliche Formate, zum Beispiel für Kino, für Fernseher und mobile Geräte, zu konvertieren. Markus Gross freut sich im Zusammenhang mit den Technologieinnovationen auf mögliche Start-up-Unternehmen, die DRZ bald entschlüpfen könnten.

Beitrag für wissenschaftliche Simulationen

Heute arbeiten 20 Computerwissenschaftler und acht Doktoranden bei DRZ an 35 unterschiedlichen Forschungsprojekten. Bis 2011 sollen in Zürich 40 Forscher sowohl für Walt Disney als auch für die ETH arbeiten. Disney bezahlt die Löhne; die ETH stellt die Infrastruktur zur Verfügung. Patente für Neuentwicklungen werden gemeinsam angemeldet und Erlöse daraus geteilt. Dies ist die einzige Forschungskooperation dieser Art in Europa. Eine ähnliche gibt es einzig in Pittsburgh mit der Carnegie Mellon University.

Roland Siegwart, Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen der ETH Zürich, stellte die Zusammenarbeit bei der Eröffnung in eine Reihe mit mehreren strategischen Industrie-Partnerschaften der ETH Zürich. Mit den Firmen Holcim und Siemens zum Beispiel betreibt die ETH Stiftungsprofessuren; mit IBM arbeitet man an gemeinsamen Infrastrukturen. ETH-Präsident Ralph Eichler erklärte zudem, wie sich DRZ in den strategischen Schwerpunkt «Informationsgesellschaft» der ETH Zürich einordnet. Die Modellierung und die Simulation der Wirklichkeit nähmen neben dem Experiment und der Theorie in den Wissenschaften einen immer wichtigeren Platz ein, so Eichler. Die am DRZ entwickelten Technologien kämen deshalb am Ende nicht nur Walt Disney und der ETH, sondern der gesamten Wissenschaft zugute.

«Technologie einzukaufen genügt nicht mehr»

Für Ed Catmull, Mitbegründer und heutiger Präsident der Pixar Animation Studios, ist die Zusammenarbeit mit Hochschulen ein Schlüssel für den Erfolg von Walt Disney. ETH Life wollte im Rahmen der Eröffnung von «Disney Research Zurich» wissen, welche Erwartungen er an die Zusammenarbeit mit der ETH Zürich hat.

Herr Catmull, in den USA gibt es mehrere hochkarätige Universitäten. Weshalb haben Sie sich für eine Kooperation mit der ETH Zürich entschieden?
In den USA betreiben wir ein Forschungslabor mit der Carnegie Mellon University, zudem kooperieren wir mit vielen anderen amerikanischen Universitäten. Doch auch europäische Wissenschaftler waren für Innovationen im Gebiet der Computergrafik seit Beginn meiner Karriere sehr wichtig. Deshalb wollten wir unsere Verbindung zu Europa stärken. Mit Markus Gross haben wir eine Persönlichkeit gefunden, die in der Technologieentwicklung enorm kreativ ist. Durch ihn haben wir Zugang zu engagierten Forschern, die an unseren Problemen interessiert sind. Insofern bot die ETH Zürich ein ideales Umfeld für eine Forschungskooperation.

Wäre es für Walt Disney nicht günstiger, neue Technologien einzukaufen?
Das machen wir natürlich auch. Doch das genügt heute nicht mehr. Es gibt Firmen, die meinen, sie könnten sämtliche Lösungen für ihre Probleme einkaufen. Ich glaube, das ist ein grosser Irrtum. Wir müssen intelligente Menschen in die Problemlösung involvieren – innerhalb der eigenen Firma, aber vor allem auch ausserhalb. Nur so sind wir den Herausforderungen der Zukunft gewachsen.

Was genau erwarten Sie von der Kooperation?

Es liegt in der Natur von Forschung, dass sie uns oft mit Unerwartetem überrascht. Als wir «Disney Research Zurich» gründeten, dachten wir zum Beispiel noch nicht an eine Technologie, die uns erlaubt, 3D-Filmmaterial für unterschiedliche Anwendungen zu reformatieren. Seit kurzem haben wir diese Möglichkeit, das ist grossartig! Genau um diese Überraschungen geht es; Technologien zu entwickeln, an die man zuvor nicht mal dachte.

Welches sind für Sie die grössten zukünftigen Herausforderungen in der Animationsfilm-Produktion?
Vieles hängt von den Kosten ab. Stehen uns Technologien zur Verfügung, um Animationen günstiger zu produzieren, dann haben wir auch die Freiheit, riskante Projekte umzusetzen, wie zum Beispiel den 3D-Animationsfilm «Up». Bei solchen Filmen ist man am Anfang nie sicher, ob diese beim Publikum Erfolg haben. Will der Zuschauer wirklich einen Film über einen alten Mann sehen? Das könnte auch schief gehen. Doch diese Freiheit, nicht offensichtlich kommerzielle Filme produzieren zu müssen, will ich mir unbedingt erhalten. Damit schaffen wir Raum für Kreativität und aussergewöhnliche Projekte.

Ed Catmull ist Mitbegründer der Pixar Animation Studios und Präsident der Walt Disney und Pixar Animation Studios. Er wurde mit fünf Oscars ausgezeichnet: zwei für technische Errungenschaften, zwei für Wissenschaft und Technik und einen für sein Gesamtwerk.