Veröffentlicht: 15.04.10
Science

Rückkehr zur Wildnis

Schweizer wollten in Tansania Rinder züchten und brachten das Ökosystem vollkommen durcheinander: Das Beispiel der Mkwaja Ranch zeigt, wie abhängig die Landwirtschaft von einem funktionierenden Ökosystem ist. Und wie folgenreich deren Eingriff in ein sensibles Gleichgewicht sein kann.

Marion Eberhard
Giraffen und andere afrikanische Huftiere kehren nur langsam auf das ehemalige Gelände der Mkwaja Ranch zurück (Bild: J. Sitters / ETH Zürich)
Giraffen und andere afrikanische Huftiere kehren nur langsam auf das ehemalige Gelände der Mkwaja Ranch zurück (Bild: J. Sitters / ETH Zürich) (Grossbild)

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in Tansania ein Realexperiment gestartet, welches tiefe Einblicke in die Vielschichtigkeit von Ökosystemen ermöglicht. Die Mkwaja Ranch wurde in den 1950er-Jahren von der schweizerisch-britischen Sisal-Produzentin Amboni gegründet. Hier, in der Savanne im Westen Tansanias, wollte die Firma Rinder züchten lassen, um die Arbeiter auf ihren Sisal-Plantagen mit gutem Fleisch versorgen zu können. In Küstennähe entstand auf über 400 Quadratkilometern die Ranch. Die Schweizer Farmer züchteten mit einheimischen Zebu-Rindern und Boran-Bullen aus Kenia rasch wachsende, robuste Hochleistungsrinder. Im Gegensatz zur Zucht nach europäischem Vorbild hielt man die Tiere anfänglich nach afrikanischer Art: Man liess sie tagsüber weiden und brachte sie für die Nacht in Schutzgatter, so genannte Bomas oder Kraals.

Tsetse-Fliege nahm überhand

Der Start war erfolgreich, die Rinder gediehen und das Management der Ranch war zufrieden. Dann aber tauchten bei den Rindern Krankheiten auf, die durch Zecken und Tsetse-Fliegen übertragen werden. Mit Fliegenbarrieren und dem Einsatz von sterilisierten Männchen versuchten die Farmer erfolglos, den Fliegen Herr zu werden, und sie konzentrierten sich über Jahrzehnte auf die medikamentöse Behandlung und Prophylaxe. Während sich das Ranch-Management auf die Bekämpfung der Krankheiten konzentrierte, übersah es den Beginn einer schleichenden und unheilvollen Entwicklung: das Grasland verbuschte.

Die Verbuschung wurde zum grössten Problem bei diesem Realexperiment. Sie war es, die es schliesslich zum Scheitern brachte. Auch hatten sich die wirtschaftlichen und politischen Rahmenbedingungen der Firma Amboni verändert, die Sisalproduktion war für sie nicht mehr profitabel, und so gab sie die Ranch im Jahr 2000 auf. Das Land wurde zum Nationalpark.

Hilfe von der ETH

Schon Anfang der 70er Jahre realisierte das Farm-Management, dass ihm die Situation zu entgleiten drohte und holte an der ETH Zürich Hilfe. 1973 begann Frank Klötzli, emeritierter Titularprofessor für Pflanzensoziologie und Pflanzenkunde, wissenschaftliche Grundlagen für einen Strategiewechsel des Managements zu erarbeiten. Er fand heraus, dass die Nährstoffumverteilung, welche durch die grossen Dungmengen in den Bomas entstand, durch rotierende Beweidung vermindert werden kann.

Klötzli setzte Ziegen gegen die Verbuschung ein, eine Massnahme, die für einige Zeit erfolgreich war. Aber die Vielzahl der Probleme, welche aus den Eingriffen in das komplexe Savannen-Ökosystem erwuchsen, wuchs dem Farm-Management schliesslich über den Kopf. «Die Bewirtschaftung der Ranch wurde zunehmend teurer», erklärt Peter Edwards, Professor für Pflanzenökologie der ETH, «und so musste sie schliesslich geschlossen werden.» Edwards führte ab 1998 die Forschung auf der Ranch weiter. Bisher leitete er drei Forschungsprojekte zur Frage, welchen Einfluss die Rinderzucht auf das Savannen-Ökosystem hat.

Kettenreaktion der Rinderzucht

So untersuchten der Pflanzenökologe und sein Team in einer ersten Phase, welche Auswirkungen die Rinderzucht auf das Ökosystem des Ranch-Gebiets hatte. Zu den Spitzenzeiten gab es hier rund 15‘000 Rinder. Sie verdrängten das einheimische Wild wie Antilopen und Giraffen, welche durch ihr Äsen einst die Vegetation prägten. Ohne Beweidung durch einheimische Wildtiere veränderte sich die ursprüngliche Savanne mit ihrem offenen Grasland und dem durchlässigen Baumbestand, und es entstand eine hochgewachsene Grasvegetation. Und statt Bäume, die dem Weidedruck der Kühe nicht standhielten, wuchsen Büsche.

Zu dieser Erkenntnis gesellt sich eine weitere: Die Umverteilung der Nährstoffe im Boden als Folge des hohen Viehbestandes machte die Tiere anfälliger für Krankheiten. Zudem etablierten sich einige invasive Pflanzenarten, die sich auf den nährstoffreichen Flächen stark ausbreiteten. Ob auch die Biodiversität unter den 50 Jahren Rinderweide gelitten hat, sei nicht ganz klar, sagt Edwards. «Man kann sicher sagen, dass die Qualität der Biodiversität schlechter ist, dass also das Ökosystem beschädigt wurde. Ob aber die Gesamtbiodiversität schlechter ist, lässt sich kaum messen.»

Das Ökosystem als solches aber hat stark gelitten. «Durch den Verlust natürlicher Huftiere kann man nicht einmal mehr von einer richtigen Savanne reden», sagt der Biologe. Und die vertriebenen Wildtiere ziehen nur langsam wieder in das Gebiet ein, wie Edwards und sein Team in einem zweiten Forschungsprojekt feststellen mussten. Der Übergang vom viehwirtschaftlich genutzten Gebiet zu einem natürlichen Ökosystem wird also noch eine Weile dauern.

Edwards aktuelle Forschungen, die er gemeinsam mit dem Wildbiologen Werner Suter von der Eidgenössischen Forschungsanstalt Wald, Schnee und Landschaft (WSL) betreibt, sollen nun zeigen, welchen Einfluss das auf das Ranchgebiet zurückgekehrte Wild auf das Ökosystem hat. Für konkrete Ergebnisse sei es noch zu früh, sagt Edwards. Einige Schlüsse lassen sich aber bereits ziehen: «Wir beobachten bei den verschiedenen Huftieren ein sehr unterschiedliches Fressverhalten.» So fressen einige Arten, wie etwa der Buschbock, eine kleine Antilope, sehr selektiv und auf einer kleinen Fläche. «Das erzeugt eine positive Rückkoppelung, denn auf diesen Flächen ändert sich die Vegetation, und damit verbessert sich die Nahrungsqualität für diese Art. Die Tiere schaffen also für sich Bedingungen, unter denen sie leben können.»

Ein Ökosystem ohne Tiere

Welche Erkenntnisse lassen sich aus diesem Realexperiment in Tansania für andere Ökosysteme ableiten? Edwards: «Wir bekommen ein viel besseres Verständnis dafür, wie das System Savanne funktioniert. Wir sehen hier ganz deutlich, welch wichtige Rolle die Huftiere spielen.» Und man erkenne an diesem Beispiel auch, dass die Wiederherstellung eines Ökosystems nicht so einfach sei. «Am Beispiel Mkwaja Ranch sieht man sehr gut, dass das Ökosystem ohne Tiere ein Anderes ist», so Edwards. Wahrscheinlich seien konkrete Massnahmen nötig, damit das Wild innert nützlicher Frist wieder zurückkehrt.

Die Erkenntnisse aus Edwards Forschung sind gerade für Afrika sehr hilfreich, denn Wilderei hat den Wildbestand in vielen Savannen-Gebieten stark reduziert, und die Wiederansiedelung von Huftieren bereitet Probleme. Edwards: «Es ist eine grosse Herausforderung, ein Ökosystem ohne Tiere wieder zum Leben zu bringen.»

Literaturhinweis

Gross M, Hoffmann-Riem H, Krohn W. Realexperimente. Ökologische Gestaltungsprozesse in der Wissensgesellschaft. Science Studies. 2005. 234 p. Bielefeld.

 
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