Veröffentlicht: 29.03.10
Synthetische Biologie

Molekulare Prothese gegen Gicht

Forschende am Departement für Biosysteme (D-BSSE) der ETH Zürich haben eine neue Methode entwickelt, mit der sich die Ursache von Gicht präventiv und dauerhaft beheben lässt. Dabei wird ein biologisches Netzwerk implantiert, das selbstständig den Harnsäurespiegel reguliert.

Franziska Schmid
Die Abbildungen zeigen Schnitte durch Mausnieren. Oben links: gesundes Gewebe. O.r.: weisse Harnsäurekristalle füllen die Nierenkanäle aus (Pfeile). U.l.: Nachdem das Netzwerk UREX implantiert wurde, sank die Zahl der Kristalle signifikant. U.r.: Vollständiger Abbau der Kristalle in der Niere durch Injektion von Urat-Oxidase. (Bildrechte: Martin Fussenegger, ETH Zürich / Nature)
Die Abbildungen zeigen Schnitte durch Mausnieren. Oben links: gesundes Gewebe. O.r.: weisse Harnsäurekristalle füllen die Nierenkanäle aus (Pfeile). U.l.: Nachdem das Netzwerk UREX implantiert wurde, sank die Zahl der Kristalle signifikant. U.r.: Vollständiger Abbau der Kristalle in der Niere durch Injektion von Urat-Oxidase. (Bildrechte: Martin Fussenegger, ETH Zürich / Nature)

Schon Paracelsus wusste: Allein die Dosis macht’s. Dies gilt nicht nur für zugeführte chemische Substanzen, sondern auch für körpereigene Stoffe. Insbesondere die Harnsäure im Blut sollte wohldosiert sein. Ist der Spiegel zu hoch, das heisst bei über 6,8 mg/dl Blut, kristallisiert die Harnsäure aus. Das kann zu Nierensteinen und Gicht führen. Harnsäure hat jedoch auch eine wichtige Funktion als Teil des menschlichen Entgiftungssystems. Sie ist ein Fänger von freien Radikalen, die zu neurologischen Störungen, Hirnerkrankungen und Tumorbildungen führen können.

Einem Forschungsteam von Professor Martin Fussenegger am Departement für Biosysteme der ETH Zürich in Basel ist es nun gelungen, ein Netzwerk aus Genen zu bauen, welche die Harnsäurekonzentration dauerhaft im Lot hält. Erste Versuche an Mäusen waren vielversprechend. Die Forschungsresultate wurden am Sonntag, 28.3.2010, im Fachmagazin Nature Biotechnology veröffentlicht.

Netzwerk reguliert sich selbst

Bei den meisten Säugetieren bestimmt ein Enzym, die Urat-Oxidase, den Harnsäurespiegel. Während der Evolution, beim Übergang vom Affen zum Menschen, ist den Menschen dieses Enzym abhanden gekommen – sie leiden deshalb vermehrt an einer erhöhten Harnsäurekonzentration. Forschende der ETH Zürich haben nach einem Weg gesucht, wie dieser Defekt korrigiert und die subtile Kontrolle des Harnsäurespiegels wiederhergestellt werden kann. Dafür haben sie ein biologisches Netzwerk aus Genen namens UREX zusammengebaut.

Die einzelnen Bausteine von UREX sind von den Forschern unterschiedlich «programmiert» worden: Ein Harnsäuresensor misst und kontrolliert ständig die Konzentration im Blut. Erreicht der Harnsäurespiegel eine besorgniserregende Konzentration, gibt der Sensor diese Information an einen genetischen Schaltkreis weiter. Dieser sorgt dann dafür, dass ein dritter Bestandteil des Netzwerkes, die Urat-Oxidase, in der richtigen Menge ins Blut ausgeschüttet und der Harnsäurespiegel wieder in ein gesundes Gleichgewicht gebracht wird.

Die drei Bausteine des Netzwerks kommunizieren also untereinander und funktionieren so selbstständig und automatisch – ohne Zutun von aussen. UREX kann den Harnsäurespiegel auf diese Weise präventiv und dauerhaft kontrollieren.

Kein Eingriff in die Gene

Das Netzwerk aus Genen wird in eine einzelne Zelle integriert. Rund zwei Millionen solcher Zellen werden in eine Kapsel aus Algengelatine eingeschlossen, die einen Durchmesser von 0,2 mm hat. Die Kapsel schützt die Zellen vor einer Abwehrreaktion des Immunsystems. Poren in der Kapsel sorgen dafür, dass die Zelle optimal mit Nährstoffen versorgt, der Harnsäurespiegel durch den Sensor gemessen wird und das Enzym sich den Weg ins Blut bahnen kann. Der Organismus kommt aber nicht in Kontakt mit den veränderten Genen des Netzwerks.

Auch wenn die Methode bei Menschen angewandt wird, wäre kein direkter Eingriff in das Erbgut des Patienten nötig. «Bei Krankheiten, die auf einem Gendefekt beruhen, kann es sinnvoll sein, genetisch verändertes Material direkt in die menschlichen Zellen einzuschleusen. Es hat sich aber gezeigt, dass dies Befürchtungen weckt, weil dieses Material nicht mehr entfernt werden kann», erklärt Martin Fussenegger. Ganz anders bei der neuen Methode: Das Implantat kann jederzeit gefahrlos und ohne jede Nachwirkung entfernt werden.

Für den ETH-Professor zeigt dieses Forschungsergebnis exemplarisch, was der relativ neue Forschungszweig der synthetischen Biologie alles zu leisten vermag: «Viele medizinische Probleme werden dadurch gelöst, dass dem Körper chemische Substanzen, sprich Medikamente, von aussen zugeführt werden müssen. Bei unserer Methode korrigieren wir einen fehlerhaften Stoffwechselweg und helfen dem Körper dabei, sich optimal selbst zu therapieren.» Martin Fussenegger spricht in diesem Zusammenhang auch gerne von einer «Molekularen Prothese» – ein künstlich gemachtes Hilfsmittel, das den evolutionär bedingten Defekt an Urat-Oxidase ausgleicht.

Gicht geisselt Menschheit

Rund ein Prozent der Bevölkerung in den Industrieländern leidet aufgrund des erhöhten Harnsäurespiegels unter der äusserst schmerzhaften Gelenkerkrankung Gicht. Gründe für eine Erhöhung des Harnsäurespiegels gibt es viele: eine genetische Veranlagung, Umwelteinflüsse oder eine unausgewogene Ernährung. Zudem kann es bei Chemotherapien zum Tumorlyse-Syndrom kommen. Tumorzellen zerfallen wegen des Eingriffs so schnell, dass zuviel Harnsäure ins Blut gelangt. Der Stoffwechsel entgleist, was unter Umständen bis zum Nierenversagen führen kann.

Das ETH-Forschungsteam hat das Netzwerk UREX erfolgreich an Mäusen getestet: Die Harnsäurekonzentration im Blut ging – wie erwartet – auf ein stabiles und gesundes Niveau zurück und die Harnsäurekristalle in den Nieren der Tiere lösten sich auf. Das Netzwerk ist bereits zum Patent angemeldet, die weiteren Schritte für die medizinische Anwendung müssen nun aber von anderen Partnern übernommen werden. «Wir sind zuversichtlich, dass unser Netzwerk baldmöglichst alle nötigen Testreihen durchläuft, aber erfahrungsgemäss dauert es länger als erhofft, bis ein fertiges Produkt auf dem Markt ist», dämpft Fussenegger die hohen Erwartungen. Dann allerdings könnten Gicht und Nierensteine der Vergangenheit angehören.

Literaturhinweis

Kemmer C, Gitzinger M, Daoud-El Baba M, Djonov V, Stelling J, Fussenegger M. Self-sufficient control of urate homeostasis in mice by a synthetic circuit. Nature Biotechnology (2010), Advanced online publication, 28 March, doi:10.1038/nbt.1617

 
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