Veröffentlicht: 26.03.10
Globetrotter

KAUST – das neue Forscherparadies?

Im letzten Sommer begannen knapp 400 Masterstudenten mit ihrer Ausbildung an der King Abdullah University of Science and Technology (KAUST). Heute seien es noch etwas über 300 Studenten, in drei bis fünf Jahren sollen es 2000 sein. Zur Zeit sind etwa 80 Professoren hier, 225 will man insgesamt gewinnen. Dereinst sollen 15'000 Leute auf dem Campus leben.

Sabrina Metzger
Sabrina Metzger kann sich auf dem Campus der KAUST unverhüllt, in europäischer Kleidung, bewegen.(Bild: Sabrina Metzger)
Sabrina Metzger kann sich auf dem Campus der KAUST unverhüllt, in europäischer Kleidung, bewegen.(Bild: Sabrina Metzger) (Grossbild)

Das Universitätsprojekt KAUST in Saudi-Arabien ist eine spannende Sache. Wie lässt sich ein so monströses Vorhaben aus finanzieller, ingenieurtechnischer, sozialwissenschaftlicher und nicht zuletzt universitärer Sicht erfolgreich ausführen? Wie schafft man es, innert kürzester Zeit einen selbstständig funktionierenden Universitätscampus mit allem was dazu gehört in die Wüste zu pflanzen? Wie lockt man die 15'000 Konsumenten, also die Studenten, Forscher und Mitarbeiter ins naturwissenschaftliche Entwicklungsland Saudi-Arabien? Und viel wichtiger: Wie bindet man die Leute emotional und längerfristig an den Ort, damit nach einer Schnupperphase von ein bis zwei Jahren nicht alle ihre Verträge auflösen und weiterziehen?

Dauersommer und finanziell abgesichert

Das Unternehmen KAUST hat sich ehrgeizige Ziele gesetzt. Dafür sind nur die besten Forscher der Welt gut genug. Und wo gute Forscher arbeiten, werden sich zwangsläufig auch gute Studenten tummeln. Wie lockt man nun aber die Top-Shots der Forscherszene mitten in die Wüste Saudi-Arabiens?

Zwar winken Dauersommer und Wochenend-Tauchgänge zu unberührten Korallenriffen im Roten Meer, doch für den Stellenwechsel sprechen vor allem – sind wir ehrlich! – die finanziellen Aspekte. Zu jeder Professur gehört ein grosszügiges Budget, das eine gute Arbeit ermöglicht und die mühsame Suche nach neuen Projektgeldern überflüssig macht.

Dank sogenannter «Academic Excellence Alliances» mit den grossen Universitäten der Welt erhofft sich das Jungunternehmen KAUST einen Blitzstart, um möglichst schnell selbst ein Big Player zu werden. In jeder Forschungsdisziplin wurde eine Partner-Universität gegen gute Bezahlung verpflichtet, die im «Götti»-Prinzip als Berater zur Verfügung zu stehen: Für die Angewandte Mathematik und Computerwissenschaften ist dies zum Beispiel Stanford, für Biowissenschaften Cambridge und als europäischer Vertreter wurde das Imperial College in London (Materialwissenschaften) angefragt. Diese Partner unterstützen die KAUST darin, in der fünfjährigen Startphase vernünftige Lehrpläne zu entwickeln und gute Forscher sowie talentierte Studenten anzuwerben. Eine dieser Partnerschaften sei wegen ungenügender Gegenleistungen bereits wieder gekündigt worden. Leider fand ich dazu keine schriftlichen Quellen, doch würde dieser Vorfall zeigen, wie selbstbewusst der Szene-Neuling KAUST auftritt.

Und wie sieht der Forscheralltag aus?

Zur Zeit knirscht es noch im Getriebe. Die Professoren raufen sich die Haare über die administrative Last auf ihren Schultern: Visa-Ausstellungen bedeuten viel zusätzliche Arbeit. Die Lieferungen für Lehrbücher und Labormaterialien, wie zum Beispiel simple Pflanzenerde, kommen Wochen zu spät. Die Bestellung alkoholhaltiger Flüssigkeiten ist ein Ding der Unmöglichkeit. Sekretärinnen, die noch nie in einem universitären Umfeld gearbeitet haben, verschicken keine oder zu späte Seminarankündigungen.

Die Mitarbeiter der angewandten Wissenschaften sind zum Nichtstun verdammt, da die Labors noch nicht fertiggestellt sind: Der erste Studenten-Jahrgang wird seine Ausbildung ohne fundierte Laborausbildung abschliessen. Alle warten auf Software-Lizenzen, die aus Unwissen zu spät oder noch gar nicht bestellt wurden. «Schuld» ist wie in so vielem die zentralisierte, administrative Leitung, welche grösstenteils aus Mitarbeitern der staatlichen Ölfirma Saudi Aramco besteht. Aramco unterhält selber seit langem erfolgreich einen grossen Wohn- und Arbeitskomplex im Osten des Landes, betritt aber in Sachen universitäre Bedürfnisse völliges Neuland.

Anstatt zu schmollen, sind Ideenreichtum und Anpassungsfähigkeit gefragt. Man schickt Mitarbeiter und Studenten für Forschungsprojekte oder Praktika ins Ausland und knüpft so neue Kontakte. Laborpraktika werden gestrichen und statt dessen zusätzliche theoretische Vorlesungen angeboten. Und man packt selber an, um die Situation zu verbessern: Mein Betreuer hat es sich auf die Fahne geschrieben, gemeinsam mit dem Architekten den ungenügenden Innenausbau unseres Forschungsgebäudes an unsere Bedürfnisse anzupassen.

Hightech-Infrastruktur auf höchstem Niveau

Über die technische Infrastruktur kann sich aber niemand beklagen. Mein Computer kostete mehr als 10'000 US Dollar und rechnet wie ein Weltmeister.

Die Laborinstrumente lassen Forscher anderer Universitäten vor Neid erblassen. Zwei Stockwerke unter mir regiert Shaheen, einer der schnellsten Supercomputer, über ein Reich höchst komplizierter Rechenprozesse. Und in diesen Tagen erhalten wir Direktanschluss an das dicke Glasfaserkabel, das Europa digital mit Südasien verbindet und zwischen den Korallenriffen durch das Rote Meer führt.

Auch sonst ist das Campus-Leben gut zu ertragen. Da die Scharia am Eingangstor ihre Gültigkeit verliert, führt man hier - abgesehen von den Muezzinrufen, den Women-Only-Sportklassen und der Absenz von Alkohol und Kino - einen liberalen, westlichen Lebensstil. Das Sportangebot ist zwar mit dem des Akademischen Sportverbands Zürich ASVZ (noch) nicht zu vergleichen, dafür öffnet der kaum benützte Golfplatz jedem und kostenlos die Tore, und der Tauchausflug in die Korallenriffe, inklusive Schiffsmiete, zwei Tauchgängen, Material und Mittagessen, kostet bescheidene 60 Franken.

Das Essen ist ebenfalls tadellos: Das Angebot deckt alle kulturellen Bedürfnisse ab. Erdbeer-Banane-Lassis stehen ebenso im Mensa-Angebot wie frischer Fisch. Die in der Mensa Polyterrasse gefürchteten Warteschlangen fehlen hier, und für ein paar Extra-Riyals kriegt man den Wok, die Pasta oder das Grillgut direkt vor seinen Augen zubereitet.

Scheinbar also alles top. Aber: Der Campus wirkt noch leblos und ausgestorben. Es fehlt an Charakter, Persönlichkeit, Geschichte. Alles wirkt noch anonym und farblos. Oder, wie Chris von Rohr sagen würde: KAUST braucht «meh Dräck». Diese klinisch reine «hier-ist-alles-perfekt-und-die-Welt-draussen-kümmert-uns-nicht-Stimmung» hinterlässt einen schalen Nachgeschmack. Doch bis jetzt ist erst ein Drittel aller Studienplätze belegt und die KAUST wird über die nächsten Jahre «organisch» weiterwachsen. Und jeder neu ankommende Campusbewohner wird seinen Teil dazu beitragen, Leben in die Bude zu bringen.

Zur Autorin

Sabrina Metzger hat an der ETH Zürich Interdisziplinäre Naturwissenschaften studiert. Nachdem sie anschliessend beim Schweizerischen Erdbebendienst für ein Jahr bei einem Projekt mitarbeitete, bei dem Mikrobeben in der Nähe des im Bau stehenden Gotthard-Basis-Tunnel untersucht wurden, wechselte sie zur Spectraseis Technologie AG, ein Spin-off der Uni Zürich. Im Frühjahr 2008 kehrte sie an die ETH zurück, um am Institut für Geophysik zu promovieren.

Zur Zeit weilt Metzger als Gastwissenschaftlerin in Saudi Arabien, an der neu gegründeten King Abdullah University of Science and Technology (KAUST), da ihr Betreuer, der isländische Geophysiker Sigurjón Jónsson, von der ETH Zürich an die KAUST wechselte.