Veröffentlicht: 15.02.10
Dossier Biodiversität: Invasive Arten in Berggebieten

Von wegen heile Bergwelt

In allen Berggebieten der Welt finden Forscher Pflanzen, die von anderen Kontinenten stammen und zur ernsthaften Konkurrenz von einheimischen Arten werden. Damit invasive Fremdlinge Einheimisches nicht verdrängen, braucht es Überwachung. Und manchmal viel Handarbeit.

Peter Rüegg
ETH-Doktorand Tim Seipel untersucht, weshalb die Lupine oberhalb Davos eine Wiese völlig überwuchern konnte (Bild: K. Seipel).
ETH-Doktorand Tim Seipel untersucht, weshalb die Lupine oberhalb Davos eine Wiese völlig überwuchern konnte (Bild: K. Seipel). (Grossbild)

Rund um den Globus sind invasive Arten auf dem Vormarsch. Sie verändern Ökosysteme und gefährden die angestammte Biodiversität. Unter den auffälligsten Invasoren sind oft Pflanzen, zum Beispiel in der Schweiz: Goldruten aus Nordamerika überwuchern artenreiche Riedwiesen in Naturschutzgebieten, entlang von Flüssen und Bächen gedeiht das Drüsige Springkraut aus dem Himalaja besonders gut ebenso wie der Japanische Staudenknöterich aus Ostasien.

Auch auf anderen Kontinenten bedrohen invasive Organismen die natürliche Vielfalt. Besonders stark betroffen sind Inseln wie die Seychellen, oder auch Australien. Dort setzten europäische Siedler zahlreiche Tiere und Pflanzen frei, die der einheimischen Flora und Fauna überlegen sind und die einmalige Biodiversität des Kontinents bedrohen.

Kein Berg zu hoch?

Forscher befürchten, dass gebietsfremde Pflanzenarten zunehmend auch Bergregionen besiedeln und deren empfindliche ökologische Gleichgewichte stören. Diese Furcht ist nicht unbegründet. In einigen Gebirgen der Welt haben sich eingeführte oder eingeschleppte Pflanzen gegen die Einheimischen durchgesetzt, mit teils gravierenden Folgen für die Ökosysteme.

In gewissen Gebieten der Anden Zentralchiles dominiert der europäische Löwenzahn. Dort siedelt er sich in Polsterpflanzen an und verdrängt einheimische Pflanzen, die ebenfalls in diesen Polstern gedeihen. Zudem lockt er mit seinen auffallenden gelben grossen Blüten mehr Insekten an als die Einheimischen, denen letztlich die Bestäuber fehlen.

Gewisse Berghänge Hawaiis sind komplett mit europäischen Wiesenpflanzen bedeckt. Kaum eine einheimische Pflanze kann dort noch wachsen. Und in den Australischen Alpen in Südaustralien hat sich das Orangerote Habichtskraut festgesetzt, so dass die Nationalparkbehörden befürchten, es könne sich so stark ausbreiten wie in Neuseeland. Die Pflanze wird deshalb präventiv bekämpft.

100 werden bekämpft

Ein Blick in die Daten des an der ETH Zürich angegliederten Mountain Invasion Research Network (MIREN) zeigt: Global sind 1500 Pflanzenarten bekannt, die in den Gebirgen weltweit potentiell invasiv werden können. 100 davon werden mittlerweile bekämpft, viele wie das Habichtskraut als reine Vorsichtsmassnahme.

Hauptursache für Invasionen von gebietsfremden Pflanzen ist der Mensch. So werden «Exoten» eingeführt, zunehmend auch in bis anhin unberührte Bergregionen, etwa zur Bepflanzung von Beeten rund um Hotelanlangen und Resorts. Diese Gartenpflanzen stammen oft aus anderen alpinen Regionen der Welt und sind an raues Klima angepasst. «Pflanzen, die der Mensch bewusst einführt, scheinen häufiger zum Problem zu werden als zufällig verbreitete», weiss Christoph Küffer, Oberassistent am Institut für Integrative Biologie und MIREN-Koordinator.

Invasion entlang von Strasse und Schiene

Einfallstore für Nichteinheimisches in die Berge sind auch Bahnlinien oder Passstrassen. Denn an Verkehrsachsen treffen invasive Pflanzen auf Bedingungen, die ihnen bei der Ausbreitung helfen, etwa durch den Strassen- oder Schienenbau entstandene Schutthalden oder weggeschürfte Borde sowie Strassenränder aus Kies.

Noch vergleichsweise harmlos präsentiert sich die Situation in den Schweizer Alpen. «Es gibt weltweit noch keinen gesicherten Nachweis dafür, dass eine invasive Pflanzenart alleine der Hauptfaktor für das Aussterben einer einheimischen Art ist», sagt Tim Seipel, Doktorand am Institut für Geobotanik. Er untersucht derzeit, ob und auf welche Höhen invasive Pflanzen in die hiesige Bergwelt eingedrungen sind.

Höhe grenzt Ausbreitung ein

2009 kartierte er 230 Stellen entlang von Strassen oder Bahnlinien in den Schweizer Alpen und verglich die Verbreitung invasiver Arten mit zwei früheren Bestandsaufnahmen. Sein vorläufiges Fazit: Eingeführte Pflanzen, die schon länger in der Schweiz vorhanden und im Flachland entsprechend weit verbreitet waren, sind in grösserer Höhe anzutreffen als solche, die erst vor kurzem aufgetaucht sind. Andererseits haben sich die meisten Arten zwischen 2003 und 2009 nicht weiter in grössere Höhen ausbreiten können. Die Vielfalt invasiver Arten nimmt mit zunehmender Höhe rapide ab. Auf 2000 Metern über Meer kann sich kaum ein halbes Dutzend Arten halten.

Eine Pflanze mit Potenzial zur invasiven Art in den Schweizer Bergen ist die Lupine, eine beliebte Gartenpflanze. Vor 170 Jahren wurde sie in Deutschland eingeführt, seit rund 70 Jahren ist sie auch in der Schweiz verwildert anzutreffen. Sie stammt ursprünglich aus dem pazifischen Nordwest-Amerika. Dort sind die Sommer kühl und regenreich und im Winter liegt viel Schnee – wie in den mittleren Lagen der Schweizer Alpen. Ab 1300 Metern Höhe fühlt sich die Lupine denn auch am wohlsten, was ihr hilft, Grenzen von Haus- und Hotelgärten zu überwinden.

Gartenblume mit Potenzial

Beispielsweise auf der Schatzalp ob Davos hat Tim Seipel eine Wiese im Visier, auf der die Lupine dominiert und alles überwächst. Auch entlang des Furkapasses beobachtet der Botaniker, dass die Lupine Wurzeln ausserhalb eines Hotelgartens geschlagen hat und sich ohne menschliches Zutun vermehrt. Noch sind diese Vorkommen lokal begrenzt und sind für die einheimische Flora nicht bedrohlich. Aber die Wissenschaftler wollen sie im Auge behalten. «Am einfachsten ist es, invasive Arten zu bekämpfen, wenn sie noch nicht so grosse Bestände bilden», sagt Küffer. Kleine Bestände lassen sich relativ rasch und sicher unter Kontrolle bringen. Gerade in bergigen Gebieten müssen die Pflanzen aber oft in mühseliger Handarbeit einzeln ausgerissen und entsorgt werden.

Handel kontrollieren

Erfolg bei der Bekämpfung von invasiven Arten verspricht sich Küffer von Risikoanalysen über das Verhalten von Pflanzen, die gehandelt werden sollen, sowie einer besseren und effizienteren Überwachung der Transportwege von Gartenpflanzen. In vielen Ländern gebe es ein riesiges Reservoir an potentiellen Gartenpflanzen, die bei uns noch nicht eingeführt, wohl aber für den Gartenbau attraktiv seien. «Forschung, Naturschutz und Gartenbau müssen besser zusammenarbeiten, um weitere Invasionen unerwünschter Arten zu verhindern», findet Küffer.

Fünf Jahre MIREN

Das Mountain Invasion Research Network (MIREN) wurde 2005 an der ETH gegründet und wird von Christoph Küffer koordiniert. Die Organisation erforscht und überwacht global die Invasion von gebietsfremden Arten in Berggebiete. Auf Probeflächen in sämtlichen Gebirgen der Welt sammeln Wissenschaftler nach einheitlichem Vorgehen Daten über die invasiven Pflanzen. MIREN besteht zur Hälfte aus Wissenschaftlern aus den Akademien, zur Hälfte aus Vertretern von Behörden und Naturschutzgebieten. Nach Abschluss der ersten fünf Jahre haben die Beteiligten in der Fachzeitschrift «Frontiers in Ecology and Environment» Bilanz gezogen und einen Übersichtsartikel über invasive Arten in Berggebieten publiziert. In der kommenden zweiten Phase will das Netzwerk das gesammelte Wissen nach aussen tragen. MIREN nutzt Invasionen in Berge auch als ein Modellsystem für die Grundlagenforschung in der Ökologie, um zum Beispiel schnelle Evolutionsprozesse entlang von Klimagradienten besser zu verstehen.

Literaturhinweis

Pauchard A, Küffer C, Dietz H, Daehler CC, Alexander J et al. Ain’t no mountain high enough: plant invasions reaching new elevations. Front Ecol Environ 2009; 7(9): 479-486. doi:10.1890/080072.

 
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