Veröffentlicht: 18.01.10
Quanten-Informationsverarbeitung

Nach dem grossen Schleier lüften

Der QIP (International Workshop on Quantum-Information Processing) ist für «Quantentheoretiker» ein wichtiger Treffpunkt. Renato Renner, Assistenzprofessor für Theoretische Physik an der ETH Zürich und Mitorganisator der diesjährigen Tagung, erklärt, warum man sich in den kommenden Tagen bereits Gedanken um Anwendungsprogramme macht, wenn der universell arbeitende Quantencomputer noch in weiter Ferne liegt.

Interview: Simone Ulmer
Poster zur Tagung.
Poster zur Tagung. (Grossbild)

Herr Renner, wie kommt es, dass Wissenschaftler aus aller Welt darüber diskutieren, welche Anwendungsprogramme auf einem Quantencomputer laufen könnten, wenn es noch gar keinen derartigen Computer gibt?
Das lässt sich leicht mit der Entwicklung des klassischen Computers im letzten Jahrhundert vergleichen: Da gab es einerseits Leute, die versucht haben einen Computer zu bauen und auf der anderen Seite solche, die sich gefragt haben, was man mit dem Computer machen kann, wenn es ihn gibt. Das waren die, welche sich mit der Softwareentwicklung beschäftigten. Heute hat man die gleiche Trennung: Experimentalphysiker versuchen analog zu den früheren Röhren- oder Transistoren-Computern einen Quantencomputer zu bauen. Theoretische Physiker und Informatiker beschäftigen sich mit der Frage, was man mit dem Quantencomputer macht. Der QIP ist quasi die Informatiker-Konferenz der Zukunft, bei der wir der Frage nachgehen, wie wir diese neuen Informationstechniken einsetzen und brauchen können. Ich erachte dies als eine mindestens so wichtige Aufgabe, weil man heute einen Quantencomputer, wenn es ihn schon gäbe, noch gar nicht sinnvoll verwenden könnte.

Welche Anwendungen haben die Forscher dabei im Auge?
Bisher war die fast einzig bekannte Anwendung das Faktorisieren von Zahlen, mit dem unter anderem kryptographische Verschlüsselungssysteme geknackt werden könnten. Jetzt geht es in erster Linie um die Simulation komplexer, etwa physikalischer Systeme wie einem Festkörper. Diese Systeme sind im Detail gut verstanden, jedoch als Ganzes mit dem klassischen Computer nicht zu simulieren, da sie dessen Kapazität übersteigen. Der Quantencomputer könnte diesen Schritt vollziehen.

Was bewegt die Wissenschaftler, die am QIP teilnehmen?
Das ist vor allem die Frage, ob und welche Anwendungen es überhaupt für einen Quantencomputer gibt, die über das hinausgehen, was ein klassischer Computer leisten kann. Hier gibt es gerade in der letzten Zeit einige Fortschritte und neue Ideen.

Wie sehen die aus?
Es wurden beispielsweise Algorithmen entwickelt, die im Gegensatz zum klassischen Computer Gleichungssysteme lösen können, ohne überhaupt das ganze Gleichungssystem einlesen zu müssen. Die Algorithmen greifen dabei nur auf einzelne relevante Bestandteile des Gleichungssystems zurück.

Peter Shor ist einer der «Starspeaker». Er gilt als der Mann, der den Bau des Quantencomputers vorantrieb, weil er Quantenalgorithmen etwa für Codes entwickelte, die Fehler korrigieren können.
Ja, Shor hat theoretisch gezeigt, dass man bei Berechnungen mit einem Quantencomputer in der Hardware auftretende Fehler korrigieren kann. Auf der Hardware-Ebene sind Fehler, wie auch schon bei der klassischen Datenverarbeitung, nie vollständig vermeidbar. Beim herkömmlichen Computer, wo es nur den Zustand 0 oder 1 gibt, ist die Fehlerkorrektur vergleichsweise einfach. Beim Quantencomputer gibt es jedoch noch eine unendliche Zahl von Zwischenzuständen. Könnte man diese Fehler nicht korrigieren, würde der Bau eines Quantencomputers wenig Sinn machen.

Über was wird er sprechen?
Er wird über so genannte interaktive Beweise sprechen. Dabei geht es um Beweisführungen bei Theoremen, von denen man zwar weiss, dass sie korrekt sind, deren Beweis aber nicht auf ein Blatt Papier niedergeschrieben werden kann. Der Beweis der Korrektheit des Theorems kann gewissermassen nur durch den Austausch von Quantenbits zwischen dem Beweisführer und dem Überprüfer des Beweises geführt werden.

Was bedeutet das?
Hier werden tiefgehende Fragen verfolgt: Welche Aussagen lassen sich überhaupt beweisen? Das Überraschende hier ist, dass die Integration der Quantenphysik als informationstheoretisches Werkzeug die Antwort auf diese Frage verändert. Es werden Aussagen beweisbar, die in einer rein klassischen Welt nicht beweisbar sind. Dieses ist eine wiederkehrende Erfahrung innerhalb der Quanteninformationstheorie: Es sind plötzlich Dinge möglich, die wir in der klassischen Welt für unmöglich hielten. Die bisherige rein klassische Betrachtung war also zu einschränkend. Wir hatten wie eine Art Schleier vor Augen, da wir nicht an die Möglichkeit dachten, dass zum Beispiel der Beweis eines mathematischen Theorems auch als Zustand eines Quantensystems darstellbar ist.

Was sind die zentralen Themen der Tagung?
Die klassische Frage in unserem Gebiet ist die, wie die Quantenphysik zur Informationsverarbeitung eingesetzt werden kann. Neu wird diese Frage aber auch umgekehrt. Man fragt sich also, ob und inwiefern die Informationstheorie in der Physik nützlich ist. Diese Überlegungen reichen sehr weit. Man könnte sich sogar vorstellen, dass etwa die gesamte Struktur der Quantenmechanik einzig aus Grundannahmen über das Verhalten von Information hergeleitet werden kann. Eine solche Grundannahme wäre dann beispielsweise, dass sich Information nicht schneller als das Licht fortbewegen kann, oder dass Information allgemein nicht kopiert werden kann, ohne dass sie verändert wird.

Wie kam man darauf?
Man hat gesehen, dass Computer, die aus der klassischen Sicht der Physik entwickelt wurden, weniger leistungsfähig sind, als wenn die Quantenphysik mit einbezogen wird. Darum stellte sich die Frage, was das Konzept von Computing oder Information über die Physik aussagt. Seit diesem Jahrtausend gibt es zu diesem Ansatz erste Ergebnisse und nun erstmals eine komplette Session während des QIP. Auf der QIP werden die ersten Ansätze präsentiert, wie interessante physikalische Aussagen aus informationstheoretischen Axiomen abzuleiten sind. Es geht also um die Frage, in welcher «Sprache» physikalische Gesetze formuliert sein sollten und ob sich die Sprache der Informationstheorie dazu eignet. Falls ja, würde das eine Kehrtwende im Denken bedeuten, wie an physikalische Fragestellungen heranzugehen ist.

Seit wann gibt es diesen Workshop?
Das ist nun das 13. Mal. Heute ist es eigentlich kein Workshop mehr, sondern eine Konferenz. Das Forschungsgebiet ist seit dem ersten Workshop enorm gewachsen. Zu Beginn trafen sich 20 bis 30 Leute zum Austausch, in diesem Jahr nehmen mehr als 300 Wissenschaftler aus der ganzen Welt teil. Da es ein junges Forschungsgebiet ist, sind viele Fragen noch nicht definiert und die Entwicklung ist sehr offen. Deshalb zieht der Fachbereich auch viele gute Studenten an. Das Ganze nimmt eine sehr positive Entwicklung.

Was für Wissenschaftler treffen da aufeinander?
Physiker, Mathematiker, Elektroingenieure und Informatiker, bei denen das Durchschnittsalter sehr jung ist. Die Väter des Forschungszweiges sind zwischen 50 und 60 Jahre. Die Mehrheit der Forschenden im Gebiet ist unter 40. Das hat Einfluss auf den Konferenzablauf, der viel weniger strukturiert ist als bei lange etablierten Wissenschaftsgebieten und manchmal sehr originelle Begebenheiten mit sich bringt. Etwa spontane After Dinner Talks mit Kabaretteinlagen.

Wie wird die Tagung starten?
Mit einem Perspektive-Talk eines Informatikers, der aus der Sicht der Computer-Wissenschaft über Quantencomputing referiert. Die Informatiker befanden sich bisher in einem Spezialfall, indem sie annahmen, mit einem Computer jeden andern simulieren zu können. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass ein klassischer Computer den Quantencomputer effizient simulieren kann – in dem Fall wäre ein Quantencomputer nutzlos, da er nicht mehr könnte als der klassische Computer. Der bisherige Fokus auf rein klassische Informationsverarbeitung hat auch zu einigen Fehlschlüssen geführt. So wurde zum Beispiel ein Beweis innerhalb der klassischen Informationstheorie formuliert, der besagte, dass es keine absolut sichere Verschlüsselung geben kann. Die haben wir aber nun durch den Quantenkryptographen.

Ein weiterer renommierter Speaker wird Gilles Brassard sein, der die Quantenkryptographie erfunden hat. Kommt diese heute schon auch ohne Quantencomputer zum Einsatz oder ist das auch nur ein theoretisches Konstrukt?
Es gibt in der Schweiz bereits eine Firma, die Quantenkryptographie verkauft. Diese Box, die aussieht wie ein herkömmlicher Computer, nutzt Quanteninformationsverarbeitung zum Herstellen von Verschlüsslungen. Das hat in den letzten fünf Jahren Marktreife erreicht.

Wie wird der erste «echte» Quantencomputer aussehen? Wird er auf Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt gehalten, um supraleitend zu sein, damit seine Fehleranfälligkeit möglichst klein ist?
Supraleitend ist sicher sehr nützlich, aber es ist nicht klar, ob das die Technologie sein wird, die sich durchsetzt. Es gibt Ideen für Technologien, die fast ausschliesslich auf Optik basieren, bei denen es nicht unbedingt eine so starke Kühlung braucht.

Also wird es keinen besonderen Ort, etwa wie eine Art LHC am CERN, brauchen?
Nein, ich glaube, der Quantencomputer kann nur Erfolg haben, wenn man die Methode findet, sie zu miniaturisieren. Die Hoffnung ist, dass ein ähnlicher Durchbruch wie beim klassischen Computer passiert, also vom raumfüllenden Röhrencomputer zum Mikrochip.

Wann werden wir den ersten Quantencomputer in Betrieb nehmen?
Die Frage ist, was man wirklich erreichen will. Das erste Produkt, den Quantenkryptographen, haben wir. Die nächste Stufe wird ein Quantencomputer mit einem ganz bestimmten Programm sein, der etwa ein ganz spezielles physikalisches System – etwa ein Festkörper - simuliert. Damit kann man in den nächsten zehn Jahren rechnen. Dann erst kommt der voll ausgerüstete, beliebig programmierbare so genannt universelle Quantencomputer – mit dem rechne ich nicht in den nächsten zwanzig Jahren.

 
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