Nach dem grossen Schleier lüften
Der QIP (International Workshop on Quantum-Information Processing) ist für «Quantentheoretiker» ein wichtiger Treffpunkt. Renato Renner, Assistenzprofessor für Theoretische Physik an der ETH Zürich und Mitorganisator der diesjährigen Tagung, erklärt, warum man sich in den kommenden Tagen bereits Gedanken um Anwendungsprogramme macht, wenn der universell arbeitende Quantencomputer noch in weiter Ferne liegt.
Herr Renner, wie kommt
es, dass Wissenschaftler aus aller Welt darüber diskutieren, welche
Anwendungsprogramme auf einem Quantencomputer laufen könnten, wenn es noch gar
keinen derartigen Computer gibt?
Das
lässt sich leicht mit der Entwicklung des klassischen Computers im letzten
Jahrhundert vergleichen: Da gab es einerseits Leute, die versucht haben einen
Computer zu bauen und auf der anderen Seite solche, die sich gefragt haben, was
man mit dem Computer machen kann, wenn es ihn gibt. Das waren die, welche sich
mit der Softwareentwicklung beschäftigten. Heute hat man die gleiche Trennung:
Experimentalphysiker versuchen analog zu den früheren Röhren- oder
Transistoren-Computern einen Quantencomputer zu bauen. Theoretische Physiker
und Informatiker beschäftigen sich mit der Frage, was man mit dem
Quantencomputer macht. Der QIP ist quasi
die Informatiker-Konferenz der Zukunft, bei der wir der Frage nachgehen, wie
wir diese neuen Informationstechniken einsetzen und brauchen können. Ich
erachte dies als eine mindestens so wichtige Aufgabe, weil man heute einen
Quantencomputer, wenn es ihn schon gäbe, noch gar nicht sinnvoll verwenden
könnte.
Welche Anwendungen haben
die Forscher dabei im Auge?
Bisher
war die fast einzig bekannte Anwendung das Faktorisieren von Zahlen, mit dem
unter anderem kryptographische Verschlüsselungssysteme geknackt werden könnten. Jetzt geht es in erster Linie um die Simulation
komplexer, etwa physikalischer Systeme wie einem Festkörper. Diese Systeme
sind im Detail gut verstanden, jedoch als Ganzes mit dem klassischen Computer
nicht zu simulieren, da sie dessen Kapazität übersteigen. Der Quantencomputer
könnte diesen Schritt vollziehen.
Was bewegt die
Wissenschaftler, die am QIP teilnehmen?
Das
ist vor allem die Frage, ob und welche Anwendungen es überhaupt für einen Quantencomputer gibt, die über das hinausgehen, was ein klassischer Computer leisten kann. Hier gibt es gerade in der
letzten Zeit einige Fortschritte und neue Ideen.
Wie sehen die aus?
Es
wurden beispielsweise Algorithmen entwickelt, die im Gegensatz zum klassischen
Computer Gleichungssysteme lösen können, ohne überhaupt das ganze Gleichungssystem
einlesen zu müssen. Die Algorithmen greifen
dabei nur auf einzelne relevante Bestandteile des Gleichungssystems zurück.
Peter Shor ist einer der
«Starspeaker». Er gilt als der Mann, der den Bau des Quantencomputers
vorantrieb, weil er Quantenalgorithmen etwa für Codes entwickelte, die Fehler
korrigieren können.
Ja,
Shor hat theoretisch gezeigt, dass man bei Berechnungen mit einem
Quantencomputer in der Hardware auftretende Fehler korrigieren kann. Auf der
Hardware-Ebene sind Fehler, wie auch schon bei der klassischen
Datenverarbeitung, nie vollständig vermeidbar. Beim
herkömmlichen Computer, wo es nur den Zustand 0 oder 1 gibt, ist die
Fehlerkorrektur vergleichsweise einfach. Beim Quantencomputer gibt es jedoch
noch eine unendliche Zahl von Zwischenzuständen.
Könnte man diese Fehler nicht korrigieren, würde der Bau eines Quantencomputers
wenig Sinn machen.
Über was wird er
sprechen?
Er
wird über so genannte interaktive Beweise sprechen. Dabei geht es um
Beweisführungen bei Theoremen, von denen man zwar weiss, dass sie korrekt sind, deren
Beweis aber nicht auf ein Blatt Papier niedergeschrieben werden kann. Der
Beweis der Korrektheit des Theorems kann gewissermassen nur durch den Austausch
von Quantenbits zwischen dem Beweisführer und dem Überprüfer des Beweises geführt
werden.
Was bedeutet das?
Hier
werden tiefgehende Fragen verfolgt: Welche Aussagen lassen sich überhaupt
beweisen? Das Überraschende hier ist, dass die Integration der Quantenphysik
als informationstheoretisches Werkzeug die Antwort auf diese Frage verändert.
Es werden Aussagen beweisbar, die in einer rein klassischen Welt nicht
beweisbar sind. Dieses ist eine wiederkehrende Erfahrung innerhalb der
Quanteninformationstheorie: Es sind plötzlich Dinge möglich, die wir in der
klassischen Welt für unmöglich hielten. Die bisherige rein klassische Betrachtung war
also zu einschränkend. Wir hatten wie eine Art Schleier vor Augen, da wir nicht
an die Möglichkeit dachten, dass zum Beispiel der Beweis eines mathematischen
Theorems auch als Zustand eines Quantensystems darstellbar ist.
Was sind die zentralen
Themen der Tagung?
Die
klassische Frage in unserem Gebiet ist die, wie die Quantenphysik zur
Informationsverarbeitung eingesetzt werden kann. Neu wird diese Frage aber auch umgekehrt. Man
fragt sich also, ob und inwiefern die Informationstheorie in der Physik nützlich
ist. Diese Überlegungen
reichen sehr weit. Man könnte sich sogar vorstellen, dass etwa die gesamte
Struktur der Quantenmechanik einzig aus Grundannahmen über das Verhalten von
Information hergeleitet werden kann. Eine solche Grundannahme wäre dann
beispielsweise, dass sich Information nicht schneller als das Licht fortbewegen
kann, oder dass Information allgemein nicht kopiert werden kann, ohne dass sie
verändert wird.
Wie kam man darauf?
Man
hat gesehen, dass Computer, die aus der klassischen Sicht der Physik
entwickelt wurden, weniger leistungsfähig sind, als wenn die Quantenphysik mit
einbezogen wird. Darum stellte sich die Frage, was das Konzept von Computing
oder Information über die Physik aussagt. Seit diesem Jahrtausend gibt es zu
diesem Ansatz erste Ergebnisse und nun erstmals eine komplette Session während
des QIP. Auf der QIP werden die ersten Ansätze präsentiert, wie interessante
physikalische Aussagen aus informationstheoretischen Axiomen abzuleiten sind. Es
geht also um die Frage, in welcher «Sprache» physikalische Gesetze formuliert
sein sollten und ob sich die Sprache der Informationstheorie dazu eignet.
Falls ja, würde das eine Kehrtwende im Denken bedeuten, wie an physikalische
Fragestellungen heranzugehen ist.
Seit wann gibt es diesen
Workshop?
Das
ist nun das 13. Mal. Heute ist es eigentlich kein Workshop mehr, sondern
eine Konferenz. Das Forschungsgebiet ist seit dem ersten Workshop enorm
gewachsen. Zu Beginn trafen sich 20 bis 30 Leute zum Austausch, in diesem Jahr nehmen
mehr als 300 Wissenschaftler aus der ganzen Welt
teil. Da es ein junges Forschungsgebiet ist, sind viele Fragen noch nicht
definiert und die Entwicklung ist sehr offen. Deshalb zieht der Fachbereich
auch viele gute Studenten an. Das Ganze nimmt eine sehr positive Entwicklung.
Was für Wissenschaftler
treffen da aufeinander?
Physiker,
Mathematiker, Elektroingenieure und Informatiker, bei denen das Durchschnittsalter
sehr jung ist. Die Väter des Forschungszweiges sind zwischen 50 und 60 Jahre. Die
Mehrheit der Forschenden im Gebiet ist unter 40. Das
hat Einfluss auf den Konferenzablauf, der viel weniger strukturiert ist als bei
lange etablierten Wissenschaftsgebieten und
manchmal sehr originelle Begebenheiten mit sich bringt. Etwa spontane After Dinner Talks mit Kabaretteinlagen.
Wie wird die Tagung
starten?
Mit
einem Perspektive-Talk eines Informatikers, der aus der Sicht der Computer-Wissenschaft
über
Quantencomputing referiert. Die Informatiker befanden sich bisher in einem
Spezialfall, indem sie annahmen, mit einem Computer jeden andern simulieren zu
können. Es ist jedoch höchst unwahrscheinlich, dass ein klassischer Computer
den Quantencomputer effizient simulieren kann – in dem Fall wäre ein Quantencomputer
nutzlos, da er nicht mehr könnte als der klassische Computer. Der
bisherige Fokus auf rein klassische Informationsverarbeitung hat auch zu
einigen Fehlschlüssen geführt. So wurde zum Beispiel ein Beweis innerhalb der
klassischen Informationstheorie formuliert, der besagte, dass es keine absolut
sichere Verschlüsselung geben kann. Die haben wir aber nun durch den Quantenkryptographen.
Ein weiterer
renommierter Speaker wird Gilles Brassard sein, der die Quantenkryptographie
erfunden hat. Kommt diese heute schon auch ohne Quantencomputer zum Einsatz
oder ist das auch nur ein theoretisches Konstrukt?
Es
gibt in der Schweiz bereits eine Firma, die Quantenkryptographie verkauft. Diese
Box, die aussieht wie ein herkömmlicher Computer, nutzt
Quanteninformationsverarbeitung zum Herstellen von Verschlüsslungen. Das hat in
den letzten fünf Jahren Marktreife erreicht.
Wie wird der erste «echte»
Quantencomputer aussehen? Wird er auf
Temperaturen nahe dem absoluten Nullpunkt gehalten, um supraleitend zu sein,
damit seine Fehleranfälligkeit möglichst klein ist?
Supraleitend
ist sicher sehr nützlich, aber es ist nicht klar, ob das die Technologie sein
wird, die sich durchsetzt. Es gibt Ideen für Technologien, die fast ausschliesslich auf Optik basieren, bei
denen es nicht unbedingt eine so starke Kühlung braucht.
Also wird es keinen
besonderen Ort, etwa wie eine Art LHC am CERN, brauchen?
Nein,
ich glaube, der Quantencomputer kann nur Erfolg haben, wenn man die Methode
findet, sie zu miniaturisieren. Die Hoffnung ist, dass ein ähnlicher Durchbruch
wie beim klassischen Computer passiert, also vom raumfüllenden Röhrencomputer
zum Mikrochip.
Wann werden wir den
ersten Quantencomputer in Betrieb nehmen?
Die
Frage ist, was man wirklich erreichen will. Das erste Produkt, den
Quantenkryptographen, haben wir. Die nächste Stufe wird ein Quantencomputer mit
einem ganz bestimmten Programm sein, der etwa ein ganz spezielles physikalisches
System – etwa ein Festkörper - simuliert. Damit kann man in den nächsten zehn Jahren rechnen. Dann erst
kommt der voll ausgerüstete, beliebig programmierbare so genannt universelle Quantencomputer – mit dem rechne ich nicht in den nächsten zwanzig
Jahren.
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