Veröffentlicht: 19.11.09
Erdwissenschaften

Unerwartet rasanter Magmen-Aufstieg

Wissenschaftlern gelang es, die Permeabilität der Asthenosphäre im obersten Erdmantel und somit die Geschwindigkeit, mit der Magmaschmelze an die Erdoberfläche gelangt, zu bestimmen: Sie fliesst bis zu 25 Mal schneller als bisher angenommen. Thermomechanische und geochemische Modelle zu Schmelzflüssen an Vulkanen müssen nun neu überdacht werden.

Simone Ulmer
Die Zeit, die von der Schmelzenbildung im obersten Erdmantel bis zum Austritt der Lava vergeht, ist deutlich kürzer als bisher angenommen. (Bild: Z T Jackson)
Die Zeit, die von der Schmelzenbildung im obersten Erdmantel bis zum Austritt der Lava vergeht, ist deutlich kürzer als bisher angenommen. (Bild: Z T Jackson) (Grossbild)

Im Keller des Departements Erdwissenschaften ist eine mit etwa zwei Metern Durchmesser überdimensionale Zentrifuge in den Boden eingelassen. Mit dieser kann 3000-fache Erdbeschleunigung erzeugt werden, was bei laufendem Betrieb einen Höllenlärm von 120 Dezibel verursacht. «Das ist ungefähr so laut, als stünde man hinter einem Flugzeug», sagt Max Schmidt, Professor am Institut für Mineralogie und Petrologie der ETH Zürich. Der Rand der Zentrifuge erreicht eine Geschwindigkeit von 850 Stundenkilometern; wird die Maschine durch Ausschalten des Antriebsmotors gestoppt, braucht sie eine Stunde, bis sie still steht.

Weltweit einzigartig

Schmidt kam 2001 mit der Idee an die ETH Zürich, eine Zentrifuge zu bauen, in der man neben der erhöhten Beschleunigung auch die Temperatur- und Druckbedingungen, die im Erdinnern herrschen, auf eine Probe einwirken lassen kann. Unterstützt wurde er von einem Mechaniker, einem Elektroniker und einer Firma, die hauptsächlich Zentrifugen für die Zuckerproduktion oder Wäschereien herstellt. Nach etwa eineinhalb Jahren wurde die erste «Rohversion» dieser weltweit einzigartigen Zentrifuge in Betrieb genommen und kontinuierlich weiterentwickelt. Nun gelang es dem Forscherteam von Schmidt mit der Zentrifuge die Permeabilität der Asthenosphäre zu bestimmen, dem Bereich im oberen Erdmantel, in dem sich die Schmelzen bilden, die die Vulkane speisen. Die Ergebnisse wurden in der Wissenschafts-Zeitschrift «Nature» publiziert.

Die Forscher simulierten die Schmelz-Aufstiegsbedingungen der Asthenosphäre mit basaltischem Glas vom Mittelozeanischen Rücken, das die Schmelze repräsentierte. Das Mineral Olivin, aus dem Zweidrittel des oberen Erdmantels bestehen, diente im Versuch als Matrix, durch die sich die Schmelze bewegen sollte. Beides erhitzten sie zusammen auf rund 1300 Grad und setzten das Gemisch einem Druck von einem Gigapascal aus. Dabei schmolz das basaltische Glas, und über den Weg, den diese Schmelze beim Zentrifugieren bei 400 bis 700-facher Erdbeschleunigung durch die Olivin-Matrix zurücklegte, konnten die Wissenschaftler durch mikroskopische Untersuchungen der aufbereiteten Proben direkt die Permeabilität berechnen. Dadurch gelang es ihnen, die für thermomechanische Modelle wichtige Konstante, welche die Porosität zur Permeabilität in Beziehung setzt, konkret zu ermitteln.

Lava aus der Zeit der Pharaonen

Diese Konstante ist mit einem Wert von 10 eineinhalb Grössenordnungen kleiner als die bisher für thermomechanische Modelle angenommenen Werte. «Als Konsequenz wird damit auch die Magmageschwindigkeit im Mantel um eineinhalb Grössenordnungen schneller», so Schmidt, «dies zeigen die von James Connolly, Titularprofessor am Institut, berechneten Modelle.»

Mit derartigen Modellen wird das Fliessverhalten von magmatischen Schmelzen in den grundlegenden tektonischen Bereichen der Erde berechnet, etwa an den Mittelozeanischen Rücken, an denen sich eine neue Ozeankruste bildet, oder an vulkanisch aktiven tektonischen Plattenrändern, so genannten Subduktionszonen. Für Schmidt ist deshalb klar, dass mit der nun ermittelten Konstante bisherige Modelle zu überdenken sind. Die Schmelzen, die sich in etwa 120 Kilometern Tiefe bilden, brauchen nicht, wie bisher vermutet, zehn- bis hunderttausende von Jahren, bis sie an die Erdoberfläche gelangen, sondern wenige tausend Jahre. «Wenn heute ein Vulkan ausbricht, hat sich dessen Magma nicht in der letzten Eiszeit, sondern zu historischer Zeit der Pharaonen und um Christi Geburt herum gebildet», hält Schmidt fest.

Stimmiges Bild

Das wirft ein völlig neues Licht auf den Magmatismus. Durch den raschen Aufstieg interagieren die Schmelzen viel weniger mit dem Gestein, das sie durchdringen. Das bedeutet, dass die geochemischen Signale, die das Magma mit an die Oberfläche bringt, aus viel grösseren Tiefen stammt: «Wir schauen weiter in die Tiefe als bisher angenommen», sagt der Mineraloge. Der schnelle Aufstieg passt für den Wissenschaftler auch besser zur Tatsache, dass Vulkane nur wenige tausend Jahre aktiv sind und zur Beobachtung, dass geochemische Signale im Magma bis anhin einen viel schnelleren Aufstieg vermuten liessen.

Literaturhinweis

Connolly JAD, Schmidt MW, Solferino G & Bagdassarov N. Permeability of asthenospheric mantle and melt extraction rates at mid-ocean ridges. Nature. 2009 November 11; 462: 209-213. doi:10.1038/nature08517