Veröffentlicht: 04.10.09
Persönliche Erklärung von Peter Chen

«Warum mein Rücktritt unvermeidbar war»

Vor rund zwei Wochen erklärte Peter Chen seinen Rücktritt aus der Schulleitung. Auslöser war ein Betrugsfall im Jahr 2000 in einer Forschungsgruppe, die er leitete. Heute meldet sich Peter Chen mit einer persönlichen Erklärung zu Wort. Er schildert seine Überlegungen in einer verfahrenen Situation, die schliesslich zur «besten aller schlechten Optionen» geführt hätten: seinem Rücktritt als Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen im Interesse der Hochschule.

Peter Chen
In einer persönlichen Stellungnahme erklärt Peter Chen, warum sein Rücktritt als Vizepräsident Forschung und Wirtschaftsbeziehungen notwendig war.
In einer persönlichen Stellungnahme erklärt Peter Chen, warum sein Rücktritt als Vizepräsident Forschung und Wirtschaftsbeziehungen notwendig war.

In den letzten zwei Wochen wurde ich oft gefragt, warum ich mich gezwungen sah, von meinem Amt als Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen der ETH Zürich zurückzutreten. Seit der Ankündigung meines Rücktritts habe ich viele Briefe, E-Mails und Anrufe bekommen. Für die ermunternden Worte und die Unterstützung möchte ich mich bei allen herzlich bedanken. Vorab möchte ich festhalten, dass ich hier nicht auf die Einzelheiten des aktuellen Falles eingehen werde, sondern vielmehr auf die Art, wie wir als Verantwortliche darauf reagiert haben. Mein Rücktritt war schliesslich die beste aller schlechten Optionen. Es gab eine logische Wirkungskette, die zu diesem Ergebnis geführt hat. Im Verlauf des Falles haben wir selbst Entscheidungen getroffen oder zu solchen beigetragen. Andere Entscheidungen wiederum wurden durch Ereignisse oder Personen ausgelöst, auf die wir keinen Einfluss hatten. Dabei bestand immer auch die Möglichkeit, dass die Datenmanipulation zu meinem Rücktritt führen könnte. Es ist mir ein Bedürfnis, Ihnen die Schritte zu erläutern, die zu meinem Rücktritt geführt haben. Als Erstes ist es wichtig zu erkennen, dass eine Offenlegung der Tatsachen unerlässlich war: Alles andere wäre unethisch, würde mich und die ETH erpressbar machen - und wäre ohnehin zum Scheitern verurteilt. Im Dezember 2008 kam ich zu der Überzeugung, dass die Allylradikaldaten nicht nur falsch, sondern gefälscht waren. Ich habe ETH-Präsident Ralph Eichler umgehend die objektiven Anhaltspunkte dafür mitgeteilt und ihn gebeten, eine offizielle Untersuchungskommission einzusetzen.

Kurz darauf habe ich bei der betreffenden Fachzeitschrift unser Allyl-Paper aus dem Jahr 2000 zurückgezogen. Gleichzeitig habe ich ein neueres Manuskript mit Daten eingereicht, die wir mit Unterstützung anderer Forscher im März 2007 und Oktober 2008 gemessen hatten. Diese neuen Daten entsprachen den Messungen, die uns von externen Forschungsgruppen im Februar 2007 gemeldet wurden. Sie wichen erheblich von jenen aus dem Bericht des Jahres 2000 ab und führten zu anderen Schlussfolgerungen als in dem ursprünglichen Aufsatz. Hinzufügen möchte ich, dass die zuvor ab dem Jahr 2003 unternommenen Versuche meines früheren Habilitanden, die Unstimmigkeiten durch neue Experimente zu klären, erfolglos blieben, weil die Auflösung seines Experiments nicht ausreichte. Dies ist mit inhärenten Schwierigkeiten behaftet, und es kann Jahre dauern, ein Experiment (noch einmal) aufzubauen und auszuführen, doch schliesslich konnten wir Ende 2008 einen endgültigen Datensatz erstellen. Von da an war es unumgänglich, den Rückzug und die Korrektur öffentlich zu machen. Sobald wir im Besitz von Daten waren, die zeigten, dass die früheren Arbeiten falsch waren, gab es keine andere ethisch vertretbare Möglichkeit. Der Rückzug und der neue Beitrag erschienen in der Fachzeitschrift im Juli 2009. Obwohl der Rückzug der Arbeiten absolut neutral formuliert ist, würde ein Wissenschaftler, der den neuen mit dem alten Aufsatz vergleicht, sofort erkennen, dass die Abweichungen über das hinausgehen, was man im vernünftigen Masse noch harmlosen Ursachen zuschreiben könnte. Kollegen hatten bereits begonnen, mich und meine Mitarbeiter aufzufordern, die Diskrepanzen zu erklären. Eine kleine Gruppe von Mitarbeitern wusste, dass wir einen Betrugsfall aufgedeckt hatten, und es grenzte an ein Wunder, dass die Geheimhaltung aufrechterhalten wurde, bis die Untersuchungskommission im Spätsommer 2009 ihre Arbeit beendet hatte. Es wäre jedoch nur noch eine Frage der Zeit gewesen, und zwar eher von Wochen als von Monaten, bis die Manipulationen ans Licht gekommen wären. Da eine von Aussen veranlasste Enthüllung wesentlich schlimmer gewesen wäre als eine Offenlegung durch die ETH selbst, reduzierte sich die Frage der Offenlegung nicht auf das Ob, sondern lediglich auf das Wie und Wann.

Zweitens hatte die Schulleitung einen offiziellen Beschluss gefasst, in die Pressemitteilung einen Link zum vollständigen Bericht der Untersuchungskommission einzufügen. Ich möchte an dieser Stelle darauf hinweisen, dass ich in die Beratungen und Beschlüsse der Schulleitung in dieser Angelegenheit seit Januar 2009 nicht involviert war, also seit jenem Zeitpunkt, an dem ich die Einsetzung einer Untersuchungskommission beantragt hatte. Man kann natürlich darüber diskutieren, ob eine zeitgleiche Veröffentlichung des Berichts mit der Pressemitteilung die Umstände soweit abgemildert hätte, dass dies meinen Rücktritt verhindert hätte. Diese Frage ist jedoch nur noch theoretischer Natur, da der Rechtsbeistand eines früheren Doktoranden unmittelbar vor der Veröffentlichung der Pressemitteilung eine einstweilige Verfügung ankündigte. Eine offizielle Veröffentlichung des Berichts oder seines Inhalts hätte das Gerichtsverfahren, das jetzt erst beginnt, negativ beeinflussen können. Angefochten wird dabei die Vorgehensweise, die gewählt wurde, um über die aus der Datenfälschung zu ziehenden Konsequenzen zu entscheiden und sie entsprechend umzusetzen. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass das Vorgehen gründlich und fair gewesen ist und dass die Interessen aller Beteiligten gemäss den gesetzlichen Anforderungen gewahrt wurden, aber dieses Urteil steht nicht mir zu, sondern dem Bundesverwaltungsgericht. Deshalb war es notwendig, die Pressemitteilung vom 21. September 2009 entsprechend zu ändern. Der Link zum Untersuchungsbericht wurde entfernt, und der Präsident stellte fest, dass der Täter juristisch nicht zweifelsfrei eruiert werden könne. Da ich der Veröffentlichung meines Namens zugestimmte hatte, war ich der einzige Beteiligte, der in der Pressemitteilung namentlich genannt wurde.

Letztendlich sah ich angesichts der Veröffentlichung einer Pressemitteilung ohne Untersuchungsbericht und ohne Klärung der Täterschaft keine bessere Alternative, als von meinem Amt als Vizepräsident zurückzutreten. Der Vizepräsident für Forschung und Wirtschaftsbeziehungen ist für die strategische Ausrichtung und für die Qualitätssicherung der Forschung an der ETH zuständig. Er verteilt interne Forschungsgelder. Er überwacht die Arbeit der Ethikkommission. Er muss beispielsweise Bewilligungen für Forschungsuntersuchungen am Menschen unterzeichnen. An ihn ist die Befugnis delegiert, mit der Privatwirtschaft – und in bestimmten Fällen sogar mit ausländischen staatlichen Einrichtungen – Verträge im Namen der ETH auszuhandeln und zu unterzeichnen. Er vertritt die ETH in zahlreichen Kommissionen und bei Stiftungen, über die um Unterstützung und Spenden geworben wird. Er ist einer der Ansprechpartner für politische und gesellschaftliche Gruppen.

All diese Funktionen werden in Mitleidenschaft gezogen, wenn der Verdacht besteht, ich hätte wissenschaftlichen Betrug begangen. Hätte ich mein Amt nicht umgehend zur Verfügung gestellt, so hätte man nicht nur lautstark und mit gutem Recht meinen Rücktritt gefordert, sondern die Glaubwürdigkeit der ETH und ihrer Leitung hätte ebenfalls schweren Schaden genommen. Wie oben angesprochen, kann man darüber debattieren, ob mich die Untersuchungskommission für die Ausübung eines Amtes – und auch meiner Professur – hinreichend entlastet hat, doch ist der Zeitrahmen, den eine solche Debatte in Anspruch nimmt, nicht vereinbar mit der aktuellen Offenlegung des Falles und der Notwendigkeit, daraus Konsequenzen zu ziehen.

Diese Debatte beginnt jetzt und wird einige Zeit andauern. Die Glaubwürdigkeit der ETH als eine Institution zu wahren, deren hohe Standards keine Kompromisse dulden, hat ein sofortiges Handeln erforderlich gemacht. Schaden für die Institution entstand ohnehin, doch ist der Schaden so nun deutlich geringer ausgefallen. Ich selbst wurde persönlich und fachlich verletzt. Auch andere Beteiligte wurden verletzt. Ich bedauere den entstandenen Schaden und die erlittenen Verletzungen zutiefst. Ich verspüre Zorn, Enttäuschung, Frustration und Traurigkeit. Ich bezweifle, dass dem Täter der Datenfälschung vor einem Jahrzehnt bewusst war, in welchem Ausmass verschiedene Personen unter den Folgen zu leiden haben. In jedem Fall wurde durch meinen Rücktritt vom Amt des Vizepräsidenten die ETH so gut geschützt, wie es unter den gegebenen Umständen überhaupt nur möglich ist. Er ist daher die beste aller schlechten Optionen.