Veröffentlicht: 22.09.09
Neue Ausstellung

Die Stadt im Kopf

Städte entstehen zuerst im Kopf, dann auf Papier und erst dann auf festem Grund. Die ETH-Bibliothek, die Graphische Sammlung und das Institut für Geschichte und Theorie der Architektur (gta) zeigen in einer Ausstellung aussergewöhnliche Originalexponate zur Erfindung der Stadt.

Franziska Schmid
Das Werk «Stadthaus im Zusammenhang mit der Neuanlage des Kratz-Quartierts» des ETH-Professoren Gottfried Semper von 1858 gehört zu den Höhepunkten der Ausstellung. (Bild: gta archiv/ETH Zürich)
Das Werk «Stadthaus im Zusammenhang mit der Neuanlage des Kratz-Quartierts» des ETH-Professoren Gottfried Semper von 1858 gehört zu den Höhepunkten der Ausstellung. (Bild: gta archiv/ETH Zürich) (Grossbild)

Wenn Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy über seine Pläne von «Grand Paris» spricht, dann hat er ein Bild im Kopf, wie die neue Hauptstadt aussehen soll. Die Vorstellungen der idealen Stadt sind geprägt von ganz unterschiedlichen - zum Beispiel kulturellen, ökonomischen und ideologischen - Faktoren, vor allem aber von visuellen Vorbildern, die über Jahrhunderte hinweg entstanden sind. Die Ausstellung «Die Stadt: Ihre Erfindung in Büchern und Graphiken» zeigt, woher die Bilder im Kopf stammen.

Plötzlich diese Übersicht

Was die Sammlungen der ETH Zürich für diese Ausstellung zusammengetragen haben, ist von höchster Qualität: Die Besuchenden können Kunstwerke von Albrecht Dürer, Canaletto, Karl Friedrich Schinkel oder Gottfried Semper bewundern. «Die Stadt: Ihre Erfindung in Büchern und Graphiken» changiert bewusst zwischen Kunst, welche die Stadt als imaginären Raum begreift, und Technik, die versucht, die Stadt in ihrer realen Erscheinung greifbar zu machen. Um die Idee einer Stadt zu konkretisieren oder gar ihre mögliche Umsetzung zu demonstrieren, ist der Plan als Darstellungsmittel seit jeher unverzichtbar.

Was für den Google-Earth-Benutzer eine Selbstverständlichkeit geworden ist, bleibt bis zu den ersten Ballonfahrten Ende des 18. Jahrhunderts eine ungeheure Leistung des Geistes: der Blick von oben. Städtebauer wurden deshalb schon immer davon angetrieben, sich einen – wenn auch nur erdachten – Überblick zu verschaffen. Die Ausstellung zeigt eindrücklich, wie sie Idee und Realität miteinander zu verknüpfen versuchen. So beschreibt Alain Manesson Mallet 1671 zum Beispiel das perfekte Abstecken einer Stadt in der Landschaft. Dass er dabei unglücklicherweise Felder und Flüsse durchschneidet, ist zugleich amüsantes Detail und Ausdruck einer unerbittlichen Logik.

Über und unter der Strasse

Städte werden nicht nur durch Gebäude, sondern auch durch Strassen definiert. Obwohl schon das römische Imperium die Strassen pflasterte, dauerte es erstaunlich lange, bis sich dieser Komfort durchsetzte. Hubert Gautier, ein französischer Ingenieur, verfasste 1716 ein reich illustriertes Traktat zur Strasse. Dabei ging es ihm vor allem darum, wie die Strasse zu pflastern und funktional perfekt zu gestalten sei. Nach Gautier teilt man sie am besten in drei gleiche Teile auf, wovon nur der mittlere gepflastert sein soll, damit die Pferdewagen im Sommer bequemer fahren können. Wohl als erster kam Gautier auf die Idee, einen Querschnitt nicht nur von den Gebäuden, sondern auch von Strassen anzufertigen, und legte so den Grundstein zum modernen Strassenbau.

Bald stiegen die hygienischen Anforderungen: Um die Wasserqualität zu verbessern, mussten Trink- und Abwasser getrennt werden. Der Pariser Architekt Pierre Patte (1723-1812) legte ein Konzept vor, welches von der Dachrinne bis zum Abwasserkanal den ganzen Wasserfluss kontrollierte. Toiletten sollten neu mit Wasser gespült werden – damals eine Sensation. Neu an Pattes Idee war aber auch, dass der Raum unter der Strasse ebenfalls genutzt wird. Mit dem Ausbau der Städte werden auch andere Infrastrukturen wie Fernsprech- und Stromkabel unter die Erde verlegt. In der Ausstellung lässt sich diese Entwicklung nachvollziehen und findet einen schönen Schlusspunkt mit Joseph Brix’ Überlegungen und Skizzen von 1909 zum Bau einer Untergrundbahn.

Geplante Befestigung

Dass Städte organisch wachsen, ist eine romantische Idee des 19. Jahrhunderts. Bis dahin war immer klar, dass Städte geplant werden. Zentral war dabei die ideale Befestigung, durch die sich die Stadt letztlich auch definierte. Albrecht Dürer zeigt die Nachteile eines quadratischen Stadtplans: Schöne gleichmässige Form, aber leider schlecht zu verteidigen. Vielversprechender sind da schon die zahlreichen Entwürfe, die sich an der Windrose orientieren und eine sternförmige Verteidigungsmauer vorschlagen. Bei Pietro Cataneos Entwurf aus dem 16.Jahrhundert werden die Gebäude und Strassen streng symmetrisch in diese idealen Verteidigungsmauern eingepasst. Dabei entsteht ein fiktiver Stadtplan, der fast ein bisschen an die modernen Schachbrettstädte der USA erinnert. Besonders sticht in der Ausstellung aber ein Beispiel von Antoine de Ville (1596-1657) heraus. Dort wird die trutzige Befestigungsanlage mit einer idyllischen Landschaft kontrastiert.

Nachdem in Frankreich das Binnenland unter Ludwig XIV. befriedet wurde, gab es keinen Grund mehr, Paris zu befestigen. Die Mauern wurden abgerissen, und aus dem Bollwerk entwickelte sich nicht nur sprachlich der Boulevard. Wie Städte geplant und gebaut werden, welche Vorstellungen sich letztendlich durchsetzen, hat langfristige Folgen: Ironischerweise werden Nicolas Sarkozys Ausbaupläne heute durch die in den 1960er Jahren erstellte Ringautobahn im wahrsten Sinne des Wortes durchkreuzt.

Ausstellung und Katalog

Einen ungewöhnlichen «Stadtplan» hat auch die Ausstellung selbst: Sie beginnt mit einer Installation, welche die Besuchenden in der Haupthalle der ETH Zürich empfängt und in die Graphische Sammlung leitet, wo die wertvollen Originalexponate gezeigt werden. Abgerundet wird die Ausstellung durch einen reich bebilderten und lesenswert kommentierten Katalog des gta-Verlags.
«Die Stadt: Ihre Erfindung in Büchern und Graphiken» ist vom 22. September bis 20. November 2009 in den Räumlichkeiten der Graphischen Sammlung zu sehen. Geöffnet ist die Ausstellung jeweils von Mo-Fr 10-17 Uhr, Mi 10-19 Uhr. Öffentliche Führungen finden jeweils Mo 12.30-13 Uhr statt.
Zur Ausstellung erscheint ein Katalog mit dem Titel «Die Stadt: Ihre Erfindung in Büchern und Graphiken», gta Verlag Zürich, 2009. ISBN 9-783856-762575
Weitere Informationen unter: http://www.ethbib.ethz.ch/exhibit/

 
Leserkommentare: