Veröffentlicht: 15.09.09
Mikrobiologie

Gerangel auf der Blattoberfläche

Zum ersten Mal haben ETH-Wissenschaftler die Gene und Proteine von Bakterien untersucht, die auf Blättern leben. Damit klärten sie die Frage, welche Einzeller sich auf Blattoberflächen befinden und was sie dort tun.

Klaus Wilhelm
Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Blattoberfläche. Auf jedem Quadratzentimeter leben bis zu zehn Millionen Einzeller (Bild: Gerd Innerebner und Roger Wepf/ETH Zürich)
Elektronenmikroskopische Aufnahme einer Blattoberfläche. Auf jedem Quadratzentimeter leben bis zu zehn Millionen Einzeller (Bild: Gerd Innerebner und Roger Wepf/ETH Zürich) (Grossbild)

Bakterien sind überall: im Boden, am Meeresgrund, in kochend heißen Quellen, im Darm. Auch auf der Oberfläche von Pflanzen, und das nicht zu knapp: Auf jedem Quadratzentimeter Stängel und Blattwerk leben ein bis zehn Millionen der Einzeller. Die gesamte pflanzliche Oberfläche ist mit einer Milliarde Quadratkilometer schätzungsweise viermal so groß wie die Erdoberfläche. Damit ist die so genannte Phyllosphäre «die größte biologische Oberfläche, die von Mikroorganismen bewohnt wird», sagt Julia Vorholt, Professorin am Institut für Mikrobiologie der ETH Zürich. Die Bakterien in diesem Ökosystem sind so zahlreich, dass sie den wichtigen globalen Kohlenstoff-Kreislauf beeinflussen.

Bisher fehlte es an geeigneten Methoden

Für den Laien umso erstaunlicher, dass Biologen bislang nur wenig von diesem Lebensraum und seinen Bewohnern wissen. Doch die Experten plagte ein grundlegendes Problem: Jahrzehnte lang fehlten Methoden, die ihnen einen realistischen Blick in die Vielfalt mikrobieller Ökosysteme liefern konnten. Mit Verfahren der modernen molekularen Biologie allerdings gelingt es seit einigen Jahren, die Bakterien und ihre Funktion in komplexen Mikroben-Gemeinschaften immer besser zu verstehen. So haben die Forscher um Julia Vorholt jetzt weltweit erstmals das Metagenom und das Metaproteom einer natürlichen bakteriellen Lebensgemeinschaft im großen Maßstab analysiert – also die Gene und Proteine der Bakterien. Die Wissenschaftler haben damit erste Erkenntnisse über das mikrobielle Treiben auf dem Blattwerk gewonnen. «In diesem Ökosystem dominieren zwei Gruppen von Bakterien», erklärt Vorholt – zum einen Vertreter der Gattung Methylobacterium, zum anderen Einzeller der Gattung Sphingomonas.

Die Wissenschaftler sammelten zunächst Blätter von Soja- und Kleepflanzen sowie der Ackerschmalwand Arabidopsis thaliana, wuschen die Bakterien ab und arbeiteten die Proben nach eigens etablierten Methoden fachgerecht auf. Die Proteine der komplexen Gemische wurden in Stücke zerkleinert und mit den, wie Vorholt sagt, «sehr sehr empfindlichen Massenspektrometern des Functional Genomics Center Zürich analysiert.» Die Struktur der Fragmente verglichen die Wissenschaftler mit bekannten Protein-Strukturen in weltweit verfügbaren Datenbanken. «Auf diese Weise identifizieren wir die Proteine und bekommen Hinweise darauf, welche Eiweiße die Bakterien unter den gegebenen Umweltbedingungen benötigen», betont die ETH-Mikrobiologin.

Gene und Proteine entlarven die Identität

Um Hinweise auf bislang noch nicht in den Datenbanken verzeichnete Proteine zu erhalten, analysierten die Wissenschaftler zusätzlich die Genome der Bakterien-Gemeinschaft. Aus den Genen lässt sich ableiten, welche Proteine in einer Zelle möglicherweise hergestellt werden – «möglicherweise» deshalb, weil Zellen nur einen Teil ihrer Gene in Proteine übersetzen. Alle Genom- und Proteom-Daten zusammen entlarven die Identität der Mikroorganismen, deren potenzielle Fähigkeiten und Aktivität auf der Blattoberfläche.

Resultat: Egal welche Pflanze - stets beherrschten Bakterien der Gattungen Sphingomonas und Methylobacterium und deren Proteine die Szenerie. Insgesamt fanden die Forscher mehr als 20 Bakterien-Gattungen mit etwa 100 verschiedenen Arten. Dabei entdeckte das ETH-Team bislang unbekannte Proteine, «die für die meisten Bakterien auf den Blättern aller drei untersuchten Pflanzen wichtig zu sein scheinen», wie Julia Vorholt sagt.

Zudem stieß das Züricher Team bei den Vertretern von Methylobacterium auf ein ebenfalls reichlich vorhandenes Protein, das einem bekannten Protein ähnelt und wichtig für den Stoffwechsel der Einzeller ist. Methylobakterien setzen von den Pflanzen hergestelltes Methanol zu Kohlendioxid um, um Energie zu gewinnen und sich zu ernähren. Bakterien der Gattung Sphingomonas sind weniger spezialisiert und verwerten verschiedene Nahrungs- und Energiequellen wie etwa Zucker. Darauf deuten jedenfalls die vielen Transporter-Proteine hin, die die ETH-Biologen entdeckten.

Ein Geben und Nehmen?

Die interessantesten der Proteine dienen jetzt als Ausgangspunkt für neue Experimente. Die Fragen: In welchem Verhältnis stehen die Bakterien zu den Pflanzen? Nutzen sie sie ausschließlich als Nahrungs- und Energiequelle? Oder geben sie den Pflanzen dafür etwas zurück? Das ist durchaus denkbar: Denn Pflanzen sind täglich Angriffen von Mikroorganismen ausgesetzt, die ihnen schaden – übertragen von Insekten oder aus der Luft stammend. Gut möglich, dass die Besiedlung mit Mikroben wie Methylobacterium oder Sphingomonas vor derlei Attacken schützen kann. «Vielleicht», spekuliert Julia Vorholt, «produzieren diese Bakterien sogar Antibiotika, um die Gesundheit der Pflanzen zu erhalten.»

Literaturhinweis

Delmotte N, Knief C, Chaffron S, Innerebner G, Roschitzki B, Schlapbach R, von Mering C, Vorholt JA. Community proteogenomics reveals insights into the physiology of phyllosphere bacteria. PNAS published online before print September 4, 2009. doi:10.1073/pnas.0905240106