Veröffentlicht: 20.08.09
Mikrobiologie

Von der Wahl des kleineren Übels

Salmonellen sind gerissen, wenn es darum geht, bei ihrem Wirt Durchfall auszulösen. ETH-Forscher klärten einen molekularen Mechanismus, der es den Bakterien erlaubt, die unspezifische Immunantwort in ihrer Wirtszelle zu aktivieren und so den Wirt krank zu machen. Ein einziger Virulenzfaktor genügt den Bakterien, um die Krankheit in Gang zu setzen.

Peter Rüegg
Salmonellen nützen mittels SopE, einem speziellen Protein, die unspezifische Immunantwort der Wirtszelle aus, um Durchfall zu erzeugen.
Salmonellen nützen mittels SopE, einem speziellen Protein, die unspezifische Immunantwort der Wirtszelle aus, um Durchfall zu erzeugen. (Grossbild)

Wenn Salmonellen in den Magen-Darm-Trakt gelangen, etwa über verseuchte Eierspeisen wie Mayonnaise oder Tiramisu, ist für das Opfer der kulinarische Genuss vorbei. Die Infektion ist heftig, dauert mehrere Tage und schwächt Patienten stark. Die Erreger selbst sind zäh und können bis zu 30 Tage nach der Erstinfektion im Stuhl nachgewiesen werden.

Die Salmonellen haben dazu einen raffinierten Mechanismus entwickelt. Ein Teil von ihnen dringt in Darmephitelzellen, die die oberste Schicht des Darmgewebes bilden, ein. In den Zellen werden die Erreger zwar abgetötet, doch gelingt es ihnen, eine Entzündung hervorzurufen, welche die Darmflora zerstört und ihre Schutzfunktion aufhebt. Das nützen die im Darm verbliebenen Artgenossen aus, vermehren sich und der betroffene Mensch bekommt heftigen Durchfall.

Völlig andere Funktion

Wissenschaftler um Wolf-Dietrich Hardt, Professor am Institut für Mikrobiologie (D-BIOL), konnten nun zum ersten Mal aufzeigen, welches Molekül ausreicht, um die Durchfallerkrankung auszulösen: das Eiweiss SopE, das Hardt bereits seit 12 Jahren kennt und dessen molekulare Funktion er während seines Postdocs bestimmte. Die biologische Funktion von SopE ist nun aber gänzlich anders, als die Forscher es damals erwartet hatten.

Die Bakterien injizieren das Eiweissmolekül in eine Darmepithelzelle, wo es eine Kaskade von Signalen innerhalb der Zelle auslöst. SopE manipuliert zwei bestimmte GTPasen, Cdc42 und Rac1 genannt. Diese Moleküle sind unter anderem für den Aufbau des Zellskeletts und damit für die Zellgestalt zuständig. Bindet sich SopE an diese beiden Faktoren, verändert die Zelle ihre Oberfläche und Salmonellen können in die Zelle eindringen. Bislang nahmen die Forscher an, dass diese von SopE vermittelte Zellinvasion zum Durchfall führt.

Unerwartete Immunreaktion

Hardt und seine Forschungsgruppe konnten nun nachweisen, dass Cdc42 und Rac1 aber auch zum Frühwarnsystem der Zelle gehören. Dieses System ist unerlässlich für eine rasche und unspezifische Abwehr von Krankheitserregern. Die beiden Moleküle aktivieren nämlich über einen noch unbekannten Weg das Molekül Caspase-1, das in der Zelle Dreh- und Angelpunkt von Entzündungsreaktionen ist und beispielsweise auch bei Sonnenbrand aktiv wird. Die Caspase-1 wiederum aktiviert Botenstoffe, die Fresszellen wie Makrophagen anlocken. Diese machen schliesslich den ins Darmgewebe eingedrungenen Salmonellen den Garaus. Die Salmonellen, die im Darmlumen verbleiben, profitieren dagegen von der entstehenden Entzündung.

Das Perfide an SopE ist, dass die Bakterien ausgerechnet ein Kommunikationssystem manipulieren, welches eine Zelle nicht einfach ersetzen oder ausser Betrieb setzen kann, weil sonst die unspezifische Immunantwort ausbleibt oder das Zellskelett gelähmt würde. Dadurch ist es auch nicht einfach, einen Wirkstoff zu finden, der beispielsweise Caspase-1 lahm legt, um die Infektion zu verhindern. «Das würde die allgemeine Fitness des Wirtes stärker beeinträchtigen als die Infektion durch Salmonellen», betont Hardt.

Durchfall das kleinere Übel

Tiere, bei denen Caspase-1 nicht funktioniert, würden in der freien Wildbahn rasch zugrunde gehen. Das zeigte sich bei Versuchen an Mäusen, denen die Caspase-1 fehlt. Salmonellen und andere Krankheitserreger befallen die inneren Organe dieser Tiere stärker. Der Wirt steckt deshalb im Dilemma: Die Caspase-1 erlaubt es zwar den Salmonellen, Durchfall hervorzurufen und so das Darmlumen des Wirtes besser zu besiedeln. Ohne dieses Eiweiss wäre ein Tier oder ein Mensch aber höchst anfällig für eine Vielzahl von Krankheitserregern. Der Durchfall ist demnach das «kleinere» der beiden Übel.

Pikant: Nicht alle Salmonellenstämme verfügen über SopE. Diesen Stoff können nur bestimmte Stämme herstellen, die den genetischen Code für SopE von einem auf Bakterien spezialisierten Virus, einem Bakteriophagen, in ihr eigenes Erbgut integriert haben und exprimieren können. SopE ist allerdings nur einer von 12 Kandidaten von Botenstoffen, die die Salmonellen einsetzen, um ihre Wirtszelle zu «knacken». Die Forscher um Hardt untersuchen deshalb nun auch, wie die übrigen Virulenzfaktoren wirken.

Literaturhinweis

Müller AJ et al. The S. Typhimurium Effector SopE Induces Caspase-1 Activation in Stromal Cells to Initiate Gut Inflammation. Cell Host&Microbe. 2009 Aug 20. doi:10.1016/j.chom.2009.7.007