Veröffentlicht: 10.08.09
Nierenkrebs

Protein löst Schneeballeffekt aus

Fehlt in Nierenzellen ein bestimmtes Protein, entstehen fatale Zellteilungs-Fehler, die zu genetisch instabilen Zellen und schliesslich zu Nierenkrebs führen können. ETH-Forscher kamen dem Phänomen auf die Spur.

Peter Rüegg
Mit verschiedenen Anfärbemethoden weisen die Forscher nach, dass sich das Protein VHL während verschiedener Stadien der Zellteilung an den Spindelapparat bindet. Die Chromosomen (blau) werden dabei auf die Tochterzellen verteilt (Bild: Inst. für Biochemie/Inst. für Zellbiologie, ETH Zürich).
Mit verschiedenen Anfärbemethoden weisen die Forscher nach, dass sich das Protein VHL während verschiedener Stadien der Zellteilung an den Spindelapparat bindet. Die Chromosomen (blau) werden dabei auf die Tochterzellen verteilt (Bild: Inst. für Biochemie/Inst. für Zellbiologie, ETH Zürich). (Grossbild)

Körperzellen teilen sich unablässig. Eigentlich ein «Standardvorgehen», das in den allermeisten Fällen fehlerfrei abläuft. Die Zellen durchlaufen dabei mehrere Phasen. Besonders wichtig während der Zellteilung, Mitose genannt, ist die korrekte Verteilung der Chromosomen. Dazu bildet sich während der Teilung in der Zelle eine Spindel aus Mikrotubuli, mit deren Hilfe die Chromosomen zu den Spindel-Polen gezogen werden.

Eine wichtige Rolle spielt dabei der Spindel-Kontrollpunkt. Er überwacht, ob alle Chromosomen richtig an die Spindelmikrotubuli gebunden sind. Dieser Checkpoint wird aktiviert, wenn sich bei der Zellteilung Fehler anbahnen, die zu einer ungleichen Verteilung der Chromosomen auf die Tochterzellen führen würden. Der Spindel-Kontrollpunkt kann die Zellteilung so lange aufhalten, bis die Chromosomen korrekt angeheftet sind.

Fataler Ausfall eines Proteins

Mit diesem Mechanismus verhindert die Zelle, dass sich Zellen mit abnormalem Chromosomensatz bilden und anhäufen. In einer Publikation in «Nature Cell Biology» zeigen nun aber zwei ETH-Forscher, der Zellbiologe Claudio Thoma aus der Arbeitsgruppe von Wilhelm Krek und der Biochemiker Alberto Toso aus der Gruppe von Patrick Meraldi, einen Mechanismus auf, der einen unerwünschten und fatalen Schneeballeffekt in Gang setzt, der zu Nierenzellen mit abweichenden Chromosomenzahlen führen kann und die Grundlage von Nierenkrebs ist.

Eine zentrale Rolle spielt das von Hippel-Lindau-Protein (pVHL). Während der Zellteilung lagert sich dieses Molekül an den Spindelapparat an. Fehlt pVHL, teilen sich Zellen fehlerhaft. Die Spindel kann sich nicht korrekt ausrichten und ändert ihre Lage wie eine defekte Kompassnadel. Geschwächt wird auch der Spindel-Kontrollpunkt. Bei einem Ausfall von pVHL ist es diesem nach einem gewissen Zeitpunkt «egal», ob alle Chromosomen vor der Aufteilung richtig an die Spindel-Mikrotubuli angeheftet sind. Die Zellteilung läuft weiter, Chromosomen gehen verloren; es entstehen Zellen mit unvollständigen respektive überbesetzten Chromosomensätzen. Es entstehen aneuploide Zellen, die eine falsche Anzahl an Chromosomen enthalten, genetisch instabil und damit gefährlich sind.

Stoffwechselumstellung statt Zelltod

Weiterer unerwünschter Effekt des pVHL-Mankos: aneuploide Zellen sterben nicht ab. Fällt das Molekül aus, schalten diese Zellen sogar auf einen höchst effizienten Weg der Energiegewinnung um. Sie teilen sich stärker, wuchern und bilden Zysten, welche als Vorstadien von Tumoren gelten. «Bei 80 Prozent der Tumore im Menschen haben Zellen eine abnormale Chromosomen-Anzahl», betont Wilhelm Krek, Professor für Zellbiologie.

Der Ausfall von pVHL ist teils erblich, teils auf Mutationen oder Inaktivierung des Gens zurückzuführen. Vom VHL-Gen bestehen zwei Kopien. Ist eine Kopie bereits bei Geburt defekt, braucht es lediglich eine Mutation oder Blockade der zweiten Kopie, so dass Zellen pVHL-nicht mehr bilden können.

Medikament gegen entartete Zellen?

Krek ist überzeugt, dass die neuen Erkenntnisse zur Rolle des pVHL therapeutischen Nutzen haben. Am meisten Aussicht auf Erfolg bietet wohl die Bekämpfung der aneuploiden Zellen. Sie müssten nun ein Medikament finden, das diese tötet, ehe sie sich teilen und zu wuchern beginnen würden, so der ETH-Professor.

Nierenkrebs gilt als aggressive Krebsart, da sie oft Ableger bildet. 60 Prozent aller Patienten, die daran erkranken, sterben 5 bis 8 Jahre nach der Behandlung, weil sich Metastasen entwickeln, die sich nicht mehr bekämpfen lassen.

Weshalb pVHL nur in den Nierenzellen eine derart wichtige Rolle bei der Entstehung von entarteten Zellen spielt, ist noch unklar. Denn sowohl der Spindelapparat bei der Zellteilung als auch das Protein selbst kommen in allen Körperzellen vor.

Zellvorgänge in Echtzeit beobachtet

Die Arbeit ist entstanden in einer Kooperation von Zellbiologie und Biochemie, wobei sich die Erstautoren des Papers, das in «Nature Cell Biology» publizert wurde, zufällig über ihre jeweiligen Spezialgebiete austauschten und die enge Verknüpfung von VHL und Zellteilung entdeckten. Dank «Single Cell Life Imaging», einer speziellen Lichtmikroskopie-Technik, konnten die Forscher lebende Zellen einzeln beobachten und verfolgen. Das Light Microscopy Center der ETH Zürich, welches die Technik anbietet, gilt darin als führend.

Literaturhinweis:

Thoma CR et al. VHL loss causes spindle misorientation and chromosome instability. Nature Cell Biology. Nature Cell Biology 11, 994-1001 (2009). Published online 20 July 2009; DOI: 10.1038/ncb1912