Zurück zur Sinnlichkeit
Die Studierendenprojekte an der ETH erfreuen sich zunehmender Beliebtheit - allen voran die Fokusprojekte. ETH Life sprach mit deren «Erfindern», den Professoren Lino Guzzella und Roland Siegwart vom Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik.
Der Maschinenbau verzeichnet einen enormen
Zulauf an Studierenden. Welche Rolle spielen dabei die in ihrem Departement
angebotenen Projekte? Ich denke vor allem an die äusserst medienwirksamen
Fokusprojekte, zu denen etwa der Roboter-Segler «Avalon», die fliegende
Filmrolle «Reely» oder der Hybridrennwagen «Pegasus» gehören.
Lino Guzzella: Die Kausalität ist natürlich
nicht 1:1. Es ist nicht so, dass man Fokusprojekte anbietet und plötzlich doppelt
so viele Studierende bekommt. Aber es hilft. Die Visibilität unseres
Departements hat dadurch spürbar zugenommen. Zweitens beschäftigt sich der Maschinenbau mit den zentralen Problemen
der Zukunft. Ob Energie, Ernährung oder Umwelt, wir haben die heissen Themen,
welche die Menschheit antreiben. Drittens beklagt die Industrie seit Jahren
einen Mangel an Ingenieuren. Darauf haben die jungen Leute reagiert.
Dennoch hat gerade das projektorientierte
Arbeiten an ihrem Departement eine grosse Bedeutung.
Roland Siegwart: Das ist richtig. Es beginnt
bereits im zweiten Semester mit den Innovationsprojekten. Diese müssen alle
absolvieren. Die Studierenden sollen dabei lernen, in Teamarbeit ein Produkt zu
entwickeln. Sie müssen Entscheidungen treffen, verschiedene Konzepte
miteinander vergleichen. Das motiviert sie, weil sie etwas kreieren
können. Der Ingenieur wählt ja sein
Studium, weil er Sachen kreieren möchte. Ich glaube, es ist wichtig, dass die
Studierenden früh Gelegenheit dazu bekommen. Und da haben wir an der ETH
glücklicherweise ausreichend Mittel zur Verfügung, um das bieten zu können.
Wie geht es dann für die Studierenden weiter?
Guzzella: Ab dem fünften Semester können
sie zwischen einem fachorientierten oder projektorientierten Studium wählen.
Diejenigen, die sich für die projektorientierte Variante entscheiden, müssen
sich ein Thema, ein Team, einen Betreuer und zum Teil auch Sponsoren suchen und
arbeiten dann im fünften und vor allem im sechsten Semester an einem
Fokusprojekt mit, in das auch die Bachelorarbeit integriert ist.
Woher kommen die Ideen für die Fokusprojekte?
Siegwart: Sowohl von den Studierenden als
auch von uns. Nach meiner Erfahrung funktioniert es am besten, wenn wir Themen,
die uns interessieren, als grobe Ideen vorgeben und die Projektteilnehmer diese
dann durch eigene Ideen ergänzen. Früher kamen die Themen vor allem aus der
Industrie. Doch in den Unternehmen ist der Wissensvorsprung in der Regel so
gross, dass die von den Studierenden entwickelten Konzepte dort bereits bekannt
sind. Und das ist dann frustrierend.
Sie reden von früher. Wie lange gibt es die
Fokusprojekte schon?
Guzzella: Seit 1996. Damals hatten wir
einen Tiefstand in unserem Departement. Die Studierendenzahlen lagen bei gerade
mal 170 und unser Departement hatte einen eher bescheidenen Ruf. Da haben die älteren Kollegen zu uns Jüngeren
gesagt: «Ihr dürft machen, was ihr wollt, aber macht was!» Das war nicht
selbstverständlich. Und dann haben wir uns bei anderen Universitäten umgeschaut
und die Idee mit den Studierendenprojekten quasi kopiert. Federführend war damals Markus Meier.
Was war die Absicht dahinter?
Guzzella: Es gibt Studierende, die sind glücklich
mit einem klassischen Stundenplan und solche, die lieber gestalten. Das heisst
nicht, dass diese Leute keine theoretischen Kenntnisse erwerben. Das war mir
von Anfang an ganz wichtig. Aber sie erwerben sie in einer Art, in der sie
besser motiviert sind: um ein Projekt herum.
Das projektorientierte Studium ist also nicht
das Patentrezept für jeden?
Siegwart: Absolut nicht. Das ist vom
Charakter abhängig. Der Grossteil der
Studierenden, und das wird auch so bleiben, entscheidet sich für einen fachorientierten
Fokus im Studium.
Guzella: Es ist nicht das allein selig machende Rezept. Und ich bin nicht der Meinung, dass wir im gesamten Maschinenbau in diese Richtung drängen sollten. Aber für gewisse Studierenden macht es sehr viel Sinn, projektorientiert zu arbeiten.
Was fasziniert die Studierenden so sehr an
den Projekten?
Guzzella: Das Erleben, die Sinnhaftigkeit.
Wer in der Forschung heutzutage an der Spitze dabei sein will, muss sich extrem
auf ein Fachgebiet konzentrieren. Das ist nötig, richtig und spannend - aber
es fehlt ein bisschen die Breite. Sich in ein Auto oder Segelboot zu setzen,
das Sinnliche, geht ein bisschen unter. Und bei den Studierendenprojekten steht
genau das im Vordergrund.
Siegwart: Die Studierenden sind derart begeistert, dass sie sogar freiwillig auf ihre Ferien verzichten, um den ganzen Sommer durcharbeiten zu können.
Die Projekte sind also ein voller Erfolg?
Guzzella: Das kann man sagen. Wir sind
schon fast ein wenig Opfer unseres Erfolgs geworden. Denn wenn die Nachfrage
weiter so steigt, wissen wir bald nicht mehr, wie wir den damit verbundenen
Aufwand bewältigen sollen. Aber es hat
sich in jedem Fall gelohnt, die Projekte einzuführen.
Der grosse Erfolg macht sie zum Massstab für andere
Departemente. Lässt sich das Konzept übertragen?
Guzzella: Wir definieren uns nicht als
Benchmark. Jeder muss selber entscheiden, was für ihn Sinn macht. Im
Maschinenbau macht es Sinn, in der Mathematik sicherlich nicht.
Siegwart: Zum Teil integrieren die Fokusprojekte zudem Studierende aus anderen Fachbereichen. Wir haben zum Beispiel mit der Hochschule für Gestaltung und Kunst zusammengearbeitet. Oder mit dem Departement für Informationstechnologie und Elektrotechnik. Ich hoffe, dass wir die Zusammenarbeit langfristig noch intensivieren können.
Wäre also künftig eine stärkere Vernetzung
mit anderen Fachbereichen denkbar?
Guzella: Ja, da müssen wir noch besser
werden. Wir haben es noch nicht geschafft, andere Departemente, die Interesse
haben, genügend zu integrieren.
Mal abgesehen von den organisatorischen
Herausforderungen: Fiebern Sie manchmal auch richtig mit ihren Studierenden
mit?
Siegwart: Na klar, und wie. Wir sind jedes
Mal extrem fasziniert, was unsere Studierenden alles zu Stande bringen.
LESERKOMMENTARE