Veröffentlicht: 06.08.09
Dossier Studierendenprojekte

Zurück zur Sinnlichkeit

Die Studierendenprojekte an der ETH erfreuen sich zunehmender Beliebtheit - allen voran die Fokusprojekte. ETH Life sprach mit deren «Erfindern», den Professoren Lino Guzzella und Roland Siegwart vom Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik.

Christine Heidemann
Die «Erfinder» der äusserst erfolgreichen Fokusprojekte: Lino Guzzella (links) und Roland Siegwart, Professoren am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik. (Bild: Thomas Langholz/ETH Zürich)
Die «Erfinder» der äusserst erfolgreichen Fokusprojekte: Lino Guzzella (links) und Roland Siegwart, Professoren am Departement für Maschinenbau und Verfahrenstechnik. (Bild: Thomas Langholz/ETH Zürich) (Grossbild)

Der Maschinenbau verzeichnet einen enormen Zulauf an Studierenden. Welche Rolle spielen dabei die in ihrem Departement angebotenen Projekte? Ich denke vor allem an die äusserst medienwirksamen Fokusprojekte, zu denen etwa der Roboter-Segler «Avalon», die fliegende Filmrolle «Reely» oder der Hybridrennwagen «Pegasus» gehören.
Lino Guzzella
: Die Kausalität ist natürlich nicht 1:1. Es ist nicht so, dass man Fokusprojekte anbietet und plötzlich doppelt so viele Studierende bekommt. Aber es hilft. Die Visibilität unseres Departements hat dadurch spürbar zugenommen. Zweitens beschäftigt sich der Maschinenbau mit den zentralen Problemen der Zukunft. Ob Energie, Ernährung oder Umwelt, wir haben die heissen Themen, welche die Menschheit antreiben. Drittens beklagt die Industrie seit Jahren einen Mangel an Ingenieuren. Darauf haben die jungen Leute reagiert.

Dennoch hat gerade das projektorientierte Arbeiten an ihrem Departement eine grosse Bedeutung.
Roland Siegwart
: Das ist richtig. Es beginnt bereits im zweiten Semester mit den Innovationsprojekten. Diese müssen alle absolvieren. Die Studierenden sollen dabei lernen, in Teamarbeit ein Produkt zu entwickeln. Sie müssen Entscheidungen treffen, verschiedene Konzepte miteinander vergleichen. Das motiviert sie, weil sie etwas kreieren können. Der Ingenieur wählt ja sein Studium, weil er Sachen kreieren möchte. Ich glaube, es ist wichtig, dass die Studierenden früh Gelegenheit dazu bekommen. Und da haben wir an der ETH glücklicherweise ausreichend Mittel zur Verfügung, um das bieten zu können.

Wie geht es dann für die Studierenden weiter?
Guzzella
: Ab dem fünften Semester können sie zwischen einem fachorientierten oder projektorientierten Studium wählen. Diejenigen, die sich für die projektorientierte Variante entscheiden, müssen sich ein Thema, ein Team, einen Betreuer und zum Teil auch Sponsoren suchen und arbeiten dann im fünften und vor allem im sechsten Semester an einem Fokusprojekt mit, in das auch die Bachelorarbeit integriert ist.

Woher kommen die Ideen für die Fokusprojekte?
Siegwart
: Sowohl von den Studierenden als auch von uns. Nach meiner Erfahrung funktioniert es am besten, wenn wir Themen, die uns interessieren, als grobe Ideen vorgeben und die Projektteilnehmer diese dann durch eigene Ideen ergänzen. Früher kamen die Themen vor allem aus der Industrie. Doch in den Unternehmen ist der Wissensvorsprung in der Regel so gross, dass die von den Studierenden entwickelten Konzepte dort bereits bekannt sind. Und das ist dann frustrierend.

Sie reden von früher. Wie lange gibt es die Fokusprojekte schon?
Guzzella
: Seit 1996. Damals hatten wir einen Tiefstand in unserem Departement. Die Studierendenzahlen lagen bei gerade mal 170 und unser Departement hatte einen eher bescheidenen Ruf. Da haben die älteren Kollegen zu uns Jüngeren gesagt: «Ihr dürft machen, was ihr wollt, aber macht was!» Das war nicht selbstverständlich. Und dann haben wir uns bei anderen Universitäten umgeschaut und die Idee mit den Studierendenprojekten quasi kopiert. Federführend war damals Markus Meier.

Was war die Absicht dahinter?
Guzzella
: Es gibt Studierende, die sind glücklich mit einem klassischen Stundenplan und solche, die lieber gestalten. Das heisst nicht, dass diese Leute keine theoretischen Kenntnisse erwerben. Das war mir von Anfang an ganz wichtig. Aber sie erwerben sie in einer Art, in der sie besser motiviert sind: um ein Projekt herum.

Das projektorientierte Studium ist also nicht das Patentrezept für jeden?
Siegwart
: Absolut nicht. Das ist vom Charakter abhängig. Der Grossteil der Studierenden, und das wird auch so bleiben, entscheidet sich für einen fachorientierten Fokus im Studium.

Guzella: Es ist nicht das allein selig machende Rezept. Und ich bin nicht der Meinung, dass wir im gesamten Maschinenbau in diese Richtung drängen sollten. Aber für gewisse Studierenden macht es sehr viel Sinn, projektorientiert zu arbeiten.

Was fasziniert die Studierenden so sehr an den Projekten?
Guzzella
: Das Erleben, die Sinnhaftigkeit. Wer in der Forschung heutzutage an der Spitze dabei sein will, muss sich extrem auf ein Fachgebiet konzentrieren. Das ist nötig, richtig und spannend - aber es fehlt ein bisschen die Breite. Sich in ein Auto oder Segelboot zu setzen, das Sinnliche, geht ein bisschen unter. Und bei den Studierendenprojekten steht genau das im Vordergrund.

Siegwart: Die Studierenden sind derart begeistert, dass sie sogar freiwillig auf ihre Ferien verzichten, um den ganzen Sommer durcharbeiten zu können.

Die Projekte sind also ein voller Erfolg?
Guzzella
: Das kann man sagen. Wir sind schon fast ein wenig Opfer unseres Erfolgs geworden. Denn wenn die Nachfrage weiter so steigt, wissen wir bald nicht mehr, wie wir den damit verbundenen Aufwand bewältigen sollen. Aber es hat sich in jedem Fall gelohnt, die Projekte einzuführen.

Der grosse Erfolg macht sie zum Massstab für andere Departemente. Lässt sich das Konzept übertragen?
Guzzella
: Wir definieren uns nicht als Benchmark. Jeder muss selber entscheiden, was für ihn Sinn macht. Im Maschinenbau macht es Sinn, in der Mathematik sicherlich nicht.

Siegwart: Zum Teil integrieren die Fokusprojekte zudem Studierende aus anderen Fachbereichen. Wir haben zum Beispiel mit der Hochschule für Gestaltung und Kunst zusammengearbeitet. Oder mit dem Departement für Informationstechnologie und Elektrotechnik. Ich hoffe, dass wir die Zusammenarbeit langfristig noch intensivieren können.

Wäre also künftig eine stärkere Vernetzung mit anderen Fachbereichen denkbar?
Guzella
: Ja, da müssen wir noch besser werden. Wir haben es noch nicht geschafft, andere Departemente, die Interesse haben, genügend zu integrieren.

Mal abgesehen von den organisatorischen Herausforderungen: Fiebern Sie manchmal auch richtig mit ihren Studierenden mit?
Siegwart
: Na klar, und wie. Wir sind jedes Mal extrem fasziniert, was unsere Studierenden alles zu Stande bringen.

 
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