Veröffentlicht: 04.08.09
Weinprobe

Erwartungen beeinflussen den Geschmackssinn

Wer vor einer Wein-Verkostung Informationen zum Produkt erhält, für den schmeckt der Wein anschliessend anders. Das zeigten Versuche, bei denen die Probanden jeweils vor und nach der Probe Informationen zum Wein erhielten.

Simone Ulmer
Vorabinformationen zu einem Wein können das Geschmacksempfinden beeinflussen. (Bild: flickr)
Vorabinformationen zu einem Wein können das Geschmacksempfinden beeinflussen. (Bild: flickr) (Grossbild)

Manch ein Winzer zittert vor dem Besuch Robert Parkers, einem der bekanntesten Weinkritiker weltweit. Seine «Parker-Punkte» haben eine ähnliche Wirkung wie einst der Daumen des römischen Imperators: wenn nicht gerade über Gedeih oder Verderb so entscheidet er doch über den Erfolg eines Weingutes. Wie stark Informationen über das Produkt, wie etwa die Bewertung Parkers, den Konsumenten beeinflussen, zeigt eine Studie von Michael Siegrist, Professor für Konsumverhalten am Institute for Environmental Decisions und seiner Postdoc Marie-Eve Cousin von der ETH Zürich, die in der Fachzeitschrift «Appetite» publiziert wurde.

Die beiden Wissenschaftler wollten durch ihren Versuch herausfinden, wie derartige Informationen das Geschmacksempfinden beeinflussen. Sie testeten dabei ihre Hypothese, dass die Beurteilung der Weinkritiker die Geschmackswahrnehmung – und nicht nur die Bewertung – beeinflusst.

Gute und schlechte Informationen

Hierfür liessen sie 163 Probanden den argentinischen Rotwein «Clos de Los Siete Mendoza» (2006) probieren, der von Robert Parker mit 92 von 100 Punkten bewertet wurde und somit laut Parker zu den aussergewöhnlichen Weinen zählt. Die beiden Wissenschaftler teilten die Probanden in fünf Gruppen ein, wobei die eine Gruppe die positive Parker-Beurteilung vor dem Probieren erfuhr. Die zweite Gruppe erhielt die Informationen ebenfalls vorab, jedoch wurde ihr gesagt, dass der Wein mit nur 72 Parker-Punkten bewertet wurde und somit durchschnittlich wäre. Zwei weitere Gruppen erhielten die positiven beziehungsweise negativen Informationen, nachdem sie den Wein gekostet hatten, jedoch bevor sie ihre Bewertung abgaben. Eine weitere Gruppe erhielt weder vor noch nach der Probe Informationen und diente als Kontrollgruppe.

Die Testpersonen, die abgeschirmt voneinander den Wein probierten, wurden aufgefordert, auf einer 10er-Skala den Wein von «überhaupt nicht geschmeckt» bis «sehr gut geschmeckt» einzuordnen. Ausserdem sollten sie angeben, wie viel sie bereit wären, für den Wein zu bezahlen.

Vorabinfo beeinflusst Sinne

Die Auswertung der Testresultate zeigte, dass die Probanden, welche die Beurteilungen mit 92, resp. 72 Punkten vor der Verkostung erfahren haben, den Wein unterschiedlicher beurteilten als jene, die die Parker-Bewertung nach dem Probieren erhielten. Bei den ersten beiden Gruppen beurteilten die Versuchspersonen, die negativ eingestimmt waren, den Wein deutlich schlechter als jene, die von einem gut benoteten Wein ausgingen. Wer vor der Probe wusste, dass der Wein mit 92 Parker-Punkten bewertet wurde, fand den Wein zudem besser, als wer die Bewertung erst nach dem Probieren erfuhr.

Die Information beeinflusst nicht nur das Geschmacksempfinden, sondern auch den Willen, wie tief man für einen Wein ins Portemonnaie greift. Auch hier zeichnete sich das selbe Muster ab: Bei negativer Vorabinformation wollten die Testpersonen am wenigsten bezahlen.

Die Forscher sehen ihre Ausgangshypothese bestätigt und schliessen aus den Versuchen, dass die Beurteilungen von Weinkritikern das Geschmacksempfinden von Weintrinkern beeinflusst. Überraschenderweise verändern die Probanden ihre Beurteilungen nicht, wenn sie die Informationen nach der Degustation erhalten. «Die Probanden wollten sich also nicht einfach in einem guten Licht darstellen, sondern die Informationen veränderten tatsächlich ihr Geschmacksempfinden», sagt Siegrist.

Den Wein vor dem Trinken loben

Psychosoziale Faktoren spielen sicher eine Rolle: Die Wissenschaftler schliessen nämlich nicht aus, dass passionierte Weintrinker- und Kenner, um ihr Gesicht zu wahren, beispielsweise nachträglich ihre Meinung und somit Bewertung revidieren würden. Dieser Frage sollen spätere Studien auf den Grund gehen. Vorab haben die Wissenschaftler aber einen praktischen Tipp für Restaurants oder Gastgeber: Immer die Qualität des Weines hervorheben, bevor er probiert wird!

Literaturhinweis:

Siegrist M & Cousin M-E: Expectations influence sensory experience in a wine tasting: Appetite (2009), 52, 762-765, doi:10.1016/j.appet.2009.02.002