Veröffentlicht: 02.07.09
Lokaltermin Risiko

Wissensbeschleuniger in Sachen Risiko

Klimawandel, Nahrungsmittelknappheit, Finanzkrise – an Risikobotschaften mangelt es wahrlich nicht. Die ETH Zürich will zusammen mit Partnern ein weltweit führendes Zentrum für Integratives Risikomanagement aufbauen. Gemeinsam mit der ETH Zürich Foundation stellte sie am gestrigen Lokaltermin des ETH-Präsidenten ihr Projekt Donatoren und Freunden der ETH vor.

Martina Märki
Sie traten an der Podiumsdiskussion für die Risiko-Initiative der ETH Zürich ein (v.l.): Hans Gersbach, Professor für Makroökonomie, Michael Faber, Professor für Baustatik und Konstruktion, Axel P. Lehmann, Group Risk Officer von Zurich Financial Services, Stefan Lippe, Chief Executive Officer von Swiss Re, und Jürgen Dormann als Stiftungsratspräsident der ETH Zürich Foundation. Moderation Reto Lipp (Dritter von links). (Bild: Tom Kawara/ETH Zürich)
Sie traten an der Podiumsdiskussion für die Risiko-Initiative der ETH Zürich ein (v.l.): Hans Gersbach, Professor für Makroökonomie, Michael Faber, Professor für Baustatik und Konstruktion, Axel P. Lehmann, Group Risk Officer von Zurich Financial Services, Stefan Lippe, Chief Executive Officer von Swiss Re, und Jürgen Dormann als Stiftungsratspräsident der ETH Zürich Foundation. Moderation Reto Lipp (Dritter von links). (Bild: Tom Kawara/ETH Zürich) (Grossbild)

Der Ort des Geschehens, das Versuchslabor der Versuchsanstalt für Wasserbau, Hydrologie und Glaziologie, stellte durchaus Anforderungen an die Risikokompetenz und Voraussicht der Besucher. Es galt, sich zwischen Mauern, die nur darauf warten, durch Wassergewalt umgeworfen zu werden, Hangrutschsimulatoren und anderen Fährnissen den Weg zur Veranstaltung zu bahnen.

Das war keine schlechte Einstimmung auf die Botschaft, die Jürgen Dormann, Stiftungsratspräsident der ETH Zürich Foundation und Verwaltungsratspräsident der Metall Zug AG, im Laufe der Veranstaltung so formulierte: «Es gibt derzeit keine bessere Investition als eine Investition in integratives Risikomanagement.»

Die Risiko-Initiative läuft an

Rund 50 Millionen Schweizer Franken sollen aufgebracht werden, um das weltweit einmalige Zentrum zur Integrativen Risikoforschung zu realisieren. Das Ziel dieser Initiative ist es, durch verstärkte Forschung und Lehre besonders die Zusammenhänge zwischen den vielfältigen Risiken der modernen Gesellschaft besser zu verstehen. Dabei kann auf einem breiten Fundament aufgebaut werden. Bereits heute arbeiten an die 40 Professuren der ETH an verschiedensten Risikothemen. Zentren der Forschung sind beispielsweise die Bereiche Risiken technischer Systeme (LSA), Naturgefahren (HazNETH), Finanzen (RiskLab)  und Krisen in sozioökonomischen Systemen (CCSS) .

ETH-Präsident Ralph Eichler stellte die zukünftigen Bausteine der Risiko-Initiative vor. Geplant sind 3 neue Professuren im Gebiet Integratives Risikomanagement. Eine davon soll ausdrücklich fachübergreifend ausgelegt sein, die anderen beiden haben voraussichtlich je einen Fokus im Bereich Versicherungen und Banking/Finanzen. In Stein gemeisselt ist diese Ausrichtung jedoch nicht. Wie Ralph Eichler präzisierte, sucht man vor allem Persönlichkeiten, die inmitten sich wandelnder Risikolandschaften ihre Kompetenzen beweisen.

Systemübergreifende Partnerschaften

Die Finanzierung der ersten Professur ist durch den Partner Swiss Re gesichert. Das Unternehmen finanziert diese Professur während der kommenden sechs Jahre mit insgesamt 5 Millionen Schweizer Franken. «Der Aspekt der systemübergreifenden Betrachtungsweise ist für unser Engagement zentral», erläuterte Stefan Lippe, CEO von Swiss Re. «Es gibt sehr viel Expertise im Bereich einzelner Risiken, aber die Fähigkeit, Zusammenhänge zwischen den verschiedenen Systemen herzustellen, ist weltweit Mangelware.» Für die beiden anderen Professuren wie auch für das zweite Standbein der Risikoinitiative, ein neues Gebäude an der Leonhardstrasse, das die Risikokompetenzen nicht nur geistig sondern auch physisch zusammenführen könnte, werden noch Partner und Mittel gesucht.

Für Axel P. Lehmann, Group Risk Officer von Zurich Financial Services, sind Partnerschaften ein entscheidendes Erfolgsmerkmal: «Diese Initiative wird den Wirtschaftsstandort Zürich mit seinen Banken und Versicherungen entscheidend stützen, wenn genügend andere Institutionen daran beteiligt sind», betonte er an der Podiumsdiskussion der Veranstaltung. Dass dies viel mehr als Geldtransfer bedeutet, erläuterte Swiss Re-Chef Lippe im Gespräch: «Wir investieren in diese Partnerschaft nicht nur Geld, wir investieren vor allem Zeit, um einen optimalen Wissenstransfer zu erreichen,» sagte er. Dass der Wissenstransfer dabei durchaus gegenseitig ist, verdeutlichte ETH-Präsident Ralph Eichler: «Für uns liegt ein grosser Reiz dieser Partnerschaft auch darin, dass eine Institution wie Swiss Re über Datenmaterial verfügt, das sonst der Wissenschaft nicht zur Verfügung steht.»

Hochaktuelles Transferwissen

Dafür, dass ein erster Wissenstransfer bereits am Lokaltermin stattfand, sorgten die beiden ETH-Professoren Hans Gersbach und Dirk Helbing. Gersbach leitet den Lehrstuhl für Makroökonomie am Departement Management, Technologie und Ökonomie. Sein Forschungsgebiet - Fragen der Stabilität von Banken- und Finanzsystemen - könnte derzeit nicht aktueller sein. Als Berater der deutschen Bundesregierung hat er dieser Tage alle Hände voll zu tun. Warum die gegenwärtige Finanzkrise anders ist als andere Finanzkrisen, erläuterte er am Lokaltermin: «Wir erleben den grössten Abschwung seit der Depression vor dem zweiten Weltkrieg und den grössten Einkommensrückgang der Geschichte überhaupt.» Krisen gebe es immer wieder, doch dass das Finanzsystem die Verluste von 580 Milliarden US-Dollar durch die Hypothekenkrise nicht verkraftet habe, sei ein Alarmzeichen. «Ein gesundes Finanzsystem müsste einen solchen Verlust, der kaum ein Prozent des globalen Finanzsystems ausmacht, problemlos überstehen können», so Gersbach. Jetzt sei eine Neugestaltung der Finanzarchitektur notwendig. Makroökonomisches Systemwissen könne dabei helfen.

Warum an sich recht robuste soziale Systeme plötzlich zusammenbrechen können, erläuterte Dirk Helbing, Professor für Soziologie am Departement für Geistes-, Sozial- und Staatswissenschaften und Direktor des Kompetenzzentrums CCSS, anhand verschiedener Computer-Simulationen. So konnte er zeigen, dass sich unter normalen Umständen Fussgängerströme sehr gut selbst organisieren. Ab einer bestimmten Dichte aber funktioniert diese Selbstregulation nicht mehr. Trauriges Beispiel dafür war die Katastrophe in Mekka, wo Stauungen in den Pilgerströmen zu rund 300 Todesopfern führten. Praktische Anwendung finden solche Simulationen derzeit beispielsweise in einem gemeinsamen Projekt mit VW, wo mit Hilfe von automatischen Steuerungssystemen die Geschwindigkeit und der Abstand einzelner Wagen vor möglichen Staupunkten wie Autobahneinfahrten so reguliert wird, dass der Verkehr im Fluss bleibt.

Auf dem Weg zum abschliessenden Apéro stellte so mancher Teilnehmer des Lokaltermins schmunzelnd fest, dass dieses Antistau-System auch hier äusserst sinnvoll eingesetzt werden könnte. Womit die Praxisrelevanz der ETH-Risiko-Forschung bewiesen war.

 
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