Veröffentlicht: 16.04.09
Open Source Community

Warum Freiwillige gratis für Nokia programmieren

Für ein neues Gerät liess Nokia Programmteile von freiwilligen Entwicklern entwerfen. Diese arbeiteten gratis, dafür musste Nokia Einblick in Betriebsgeheimnisse gewähren. Eine ETH-Studie untersucht, ob das eine Win-win-Situation für beide ist und welche Motivation für beide Parteien dahinter steckt.

Alexandra von Ascheraden
Das Internet Tablet von Nokia läuft mit Software, die teilweise von Freiwilligen entwickelt wurde. (Bild: Nokia)
Das Internet Tablet von Nokia läuft mit Software, die teilweise von Freiwilligen entwickelt wurde. (Bild: Nokia) (Grossbild)

Nokia ging bei der Entwicklung seines Internet Tablets, eines mobilen Zugangsgeräts zum Internet, völlig neue Wege. Die Hardware wurde komplett von Nokia selbst entwickelt. Die Software jedoch basiert auf Linux statt auf dem Nokia-eigenen Betriebssystem Symbian. Nicht nur das: Für die Benutzeroberfläche schloss Nokia sich der Gnome Mobile Initiative an.

Voll auf Open Source zu setzen bedeutete, dass Dutzende freiwillige Helfer aus der Open Source Community gratis an der Software mitarbeiteten. Dafür musste Nokia ebenfalls Beiträge zur Entwicklung leisten. Ein Nehmen ohne Geben gibt es bei Open Source nicht. Nur: Was treibt Programmierer dazu, kostenlos für ein Unternehmen zu arbeiten und was macht es für ein Unternehmen attraktiv, Hunderte von Menschen an seinem üblicherweise geheimen Entwicklungsprozess teilhaben zu lassen? Georg von Krogh, Professor für Strategie und Innovation am Department of Management, Technology, and Economics (D-MTEC) der ETH hat das im Rahmen einer Studie untersucht, die er zusammen mit Post-doc Sebastian Späth und Doktorand Matthias Stürmer durchgeführt hat.

Zusammenarbeit nicht unüblich

Zusammenarbeit mit Wettbewerbern, um Entwicklungskosten zu sparen, ist nicht unüblich. Denn wenn drei Wettbewerber zusammen spannen und jeder zwei Entwickler bezahlt, dafür aber die Arbeit von sechs Entwicklern bekommt, die ein gemeinsames Problem lösen, so ist das ein Gewinn für alle.

Etwas anderes ist es, sich mit einer Neuentwicklung in die Open-Source-Szene zu begeben. Sicher, ein Unternehmen erhält dadurch Gratis-Entwicklerarbeit. Von Krogh erklärt aber auch die Risiken: «Nokia musste dafür Kontrolle über die Prozesse und Elemente abgeben und in Kauf nehmen, dass sich die Technologie manchmal in eine Richtung entwickelt, die vom Unternehmen nicht gewollt ist.» Ein ziemliches Risiko. Durch die Freiwilligkeit von Open Source kann jeder jederzeit so viel am Projekt arbeiten wie er will. Terminplanung wird schnell hinfällig. Sebastian Späth ergänzt: «Zudem fordern die Entwickler als Gegenleistung auch Information, wohin sich ein Gerät entwickeln soll, was die nächsten Schritte sind, welche Neuerungen künftig auf den Markt kommen. Da Nokia sich hier verständlicherweise bedeckt halten wollte, liefen die Leute Sturm.» Denn solche Informationen wollte sie ihren Wettbewerbern nicht auf die Nase binden. Diese können schliesslich jederzeit die Entwickler-Foren besuchen, auf denen sie solche Informationen nachlesen könnten.

Dilemma gelöst

Ein Spagat, der Nokia nach den Erkenntnissen der Studie ziemlich zu schaffen machte: Es galt, die Entwickler so weit informiert zu halten, dass sie sich nicht ausgebremst fühlten und gleichzeitig nicht zu viele Informationen preiszugeben, die die Konkurrenz hätte nutzen können. Von Krogh: «Die Kooperation geschah selektiv. Für Anwendungen, die termingerecht fertiggestellt sein mussten oder vor Wettbewerbern geheim gehalten werden sollten, beauftragte Nokia viele unabhängige kleine Entwicklerteams, die unter Non-disclosure-Verträgen arbeiteten und dafür auch bezahlt wurden.» So hielt das Unternehmen die gesamten E-Mail-Applikationen und sämtliche Interfaces geschlossen.

Nokia profitierte aber nicht nur von der Entwicklungsarbeit. Auch die Lerneffekte waren gross, da in den Internetforen sehr engagiert diskutiert wurde und Probleme schnell thematisiert und engagiert angegangen werden konnten. Für den Ruf von Nokia, das ja nicht gerade als das offenste Unternehmen gilt, war die offene Entwicklung sehr förderlich. «Einerseits wurde Nokia so als Arbeitgeber attraktiver, da das Internet Tablet in Entwicklerkreisen als sehr attraktives Gerät empfunden wurde. Andererseits schätzten es die Kunden, ein offenes Gerät zu haben, an dem sie viel selbst machen konnten und nicht auf Herstellereigene Softwarepatches und Schnittstellen angewiesen waren», ergänzt Sebastian Späth.

Die time-to-market verkürzte sich zudem stark. Die Adaption im Markt ging viel schneller, da Bausteine verwendet werden konnten, die ausserhalb von Nokia schon längst existieren. Zudem werden dank Open Source sehr schnell sehr viele Applikationen zum Gerät entwickelt, die den Nutzern dann wiederum gratis zur Verfügung stehen, ohne dass Nokia hier involviert wäre. Das macht das Gerät sehr attraktiv für Käufer.

Starker Trend

Für Nokia war das Ganze ein solcher Erfolg, dass das Unternehmen in Zukunft auch das eigene Betriebssystem Symbian für Open Source freigeben will. Das, obwohl es Millionen Zeilen Einzelcode enthält und somit ein sehr teures Produkt ist, das die Firma bisher tunlichst unter Verschluss hielt.

Die gemeinsame Entwicklung sehen die Autoren der Studie als starken Trend, da Innovation so teuer wird, dass Einzelfirmen manche Probleme nicht mehr allein lösen können. «Vor allen anderen werden vielleicht Teile der Biotechnologie-Branche immer stärker auf dieses Modell setzen», prophezeit von Krogh, «denn dort sind die Entwicklungskosten sehr hoch. Dann braucht es allerdings auch neue Rechte für Lizenzen.» Kurz: Wenn mehrere Firmen zusammen spannen, profitieren am Ende alle.