Veröffentlicht: 08.04.09
ETH-Bibliothek

Besuch aus dem Kosovo

Eine Delegation der National- und Universitätsbibliothek Kosovo besuchte im März die ETH-Bibliothek und die Zentralbibliothek Zürich. Sie informierte sich, wie das Bibliothekssystem Aleph 500 eingesetzt wird und sondierten die Möglichkeiten einer Zusammenarbeit.

Maja Schaffner
Sali Bashota, Direktor der National- und Universitätsbibliothek Kosovo, bei seinem Besuch in Zürich. (Bild: Maja Schaffner/ETH Zürich)
Sali Bashota, Direktor der National- und Universitätsbibliothek Kosovo, bei seinem Besuch in Zürich. (Bild: Maja Schaffner/ETH Zürich) (Grossbild)

Im Kosovo werden grosse Anstrengungen unternommen, in verschiedenen Bereichen die Infrastruktur auszubauen, unter anderem im Bibliothekswesen. Die grösste Bibliothek des Landes, die National- und Universitätsbibliothek Kosovo, hat in technischer Hinsicht grossen Nachholbedarf. Sie besitzt das gleiche moderne Bibliothekssystem, Aleph 500, wie die ETH-Bibliothek und die Zentralbibliothek Zürich. Aber sie nutzt das System bisher nur zum Katalogisieren. Die Ausleihe erfolgt via Karteikarten. Sali Bashota, Direktor der National- und Universitätsbibliothek Kosovo, erklärt bei seinem zweitägigen Besuch in Zürich, dass das Knowhow für einen umfassenderen Einsatz von Aleph 500 fehlt. In Prishtina sind ausgebildete Fachkräfte im Bibliotheks- und Informatikbereich Mangelware. «Unsere Bibliothekare haben zwar Universitätsabschlüsse, aber keine bibliotheksspezifische Ausbildung», berichtet Bashota. In seiner Bibliothek kümmert sich eine einzige Person um alle technischen Belange. Sie macht den PC-Support, kauft Software ein, wartet die Server und betreut die Website.

Bibliotheken im elektronischen Zeitalter

An der Zentralbibliothek Zürich sind dagegen zehn Informatiker, an der ETH-Bibliothek sogar 20, mit dem Betrieb und Ausbau der elektronischen Dienstleistungen beschäftigt. «Bei uns läuft alles elektronisch, von der Erwerbung über die Katalogisierung, die Zeitschriftenkontrolle, die Ausleihe, den Online-Katalog bis hin zum Mahnwesen», erklärt Oliver Thiele, Chefbibliothekar Benutzung und Leiter Öffentlichkeit der Zentralbibliothek Zürich. Dasselbe gilt auch für die ETH-Bibliothek. Dort wird bereits seit 1976 elektronisch katalogisiert. Mittlerweile sind alle Bücher und Zeitschriftenbände im Bibliothekssystem Aleph 500 erfasst. Recherche und Ausleihe erfolgen über den online zugänglichen Verbundkatalog NEBIS, der im Auftrag von rund 90 Verbundbibliotheken, darunter der Zentralbibliothek als grösstem Partner, von der ETH-Bibliothek betrieben wird.

Zusätzlich wird in der ETH-Bibliothek bereits am nächsten Schritt in Richtung elektronische Bibliothek gearbeitet. Hier soll ein Wissensportal entstehen, das den Nutzerinnen und Nutzern alles auf einer einzigen Oberfläche bieten kann. «Auf der Ebene der Bestände liegt der Fokus nicht mehr bei den gedruckten Büchern und Zeitschriften, sondern bei den elektronischen Dokumenten», illustriert Rudolf Mumenthaler, Leiter Innovation und Marketing der ETH-Bibliothek, das Umfeld moderner Bibliotheken. Die National- und Universitätsbibliothek Kosovo dagegen muss erst einmal ein funktionierendes Bibliothekssystem aufbauen.

National- und Universitätsbibliothek im Wandel der Zeit

Die National- und Universitätsbibliothek Kosovo besitzt heute rund zwei Millionen Bücher. Ihre Vorläuferin wurde 1944 gegründet und befindet sich seit 1945 in Prishtina. Ursprünglich wurde sie von der Zentralregierung als Bibliothek für die albanische Bevölkerung in der Provinz Kosovo geplant. Seit der Unabhängigkeit ist sie die National- und Universitätsbibliothek Kosovo.

Das futuristisch anmutende Bibliotheksgebäude wurde von 1976 bis 1982 gebaut. Während des Kosovo-Krieges, von März bis Juni 1999, litt auch die Bibliothek. Durch die Wiederverwertung von Büchern zur Papierherstellung und die Besetzung des Bibliotheksgebäudes durch das Militär entstanden grosse Lücken in den Beständen. Die Zahl der verlorenen Bücher wird auf über 100 000 Stück geschätzt. Viele ehemalige Angestellte kehrten zudem nach dem Krieg nicht an ihren Arbeitsplatz zurück, wodurch wichtiges Knowhow verloren ging.

Im Herbst dieses Jahres steht eine grosse Veränderung an: National- und Universitätsbibliothek werden getrennt. Die Universitätsbibliothek zieht in ein neues Gebäude in Prishtina um.

Zusammenarbeit angestrebt

Bashota beeindruckten bei seinem zweitägigen Besuch in Zürich vor allem, wie die Arbeitsabläufe organisiert sind, sowie die Arbeitsteilung und Spezialisierung der Mitarbeitenden. Bashotas Ziel ist es, Aleph 500 auch in der National- und Universitätsbibliothek Kosovo in allen Bereichen einsetzen zu können. Er wäre deshalb sehr an einer Zusammenarbeit mit ETH-Bibliothek und Zentralbibliothek Zürich interessiert. Die beiden Zürcher Bibliotheken klären deshalb ab, unter welchen Voraussetzungen sie die National- und Universitätsbibliothek Kosovo unterstützen könnten. Denkbar wäre eine Kooperation im Rahmen des Programmes SCOPES der DEZA zur wissenschaftlichen Kooperation mit Osteuropa.

 
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