Veröffentlicht: 27.03.09
Dossier Citius

Physisch spüren, was ein guter Bob braucht

Warum es wichtig ist, selbst in der Werkstatt zu schrauben, wenn ein Ingenieur zum Bob-Bauer wird, zeigt die Arbeit des Teams Kinematik I des Bob-Bau-Projekts Citius unter Federführung der ETH Zürich.

Simone Ulmer
Pascal Arnold schraubt an der Lenkungsaufhängung des Citius-Bobs. (Bild: Pablo Faccinetto)
Pascal Arnold schraubt an der Lenkungsaufhängung des Citius-Bobs. (Bild: Pablo Faccinetto) (Grossbild)

Während Pascal Arnold in der Werkstatt des Departements Materialwissenschaft vom Fahrgehäuse des 2er-Citius-Bobs vier Schrauben der Verkleidung löst, die die Lenkmechanik des Citius-Bobs vor neugierigen «Spionage-Augen» schützen, schraubt Christian Reich an der Bremse des Bobs. Pascal Arnold ist Doktorand am Institut für mechanische Systeme und Christian Reich Bob-Bauer und bis vor wenigen Jahren selbst noch erfolgreicher Bob-Fahrer. Gemeinsam bereiten sie das baufrische und noch nicht lackierte zweite Modell des 2er-Bobs für die Pilotenschulung im italienischen Cesana, in der Provinz Turin, vor. Dass der Lack fehlt, macht nichts. Wichtig ist, dass das Gehäuse fahrtüchtig ist. Arnold gehört dem Team Kinematik I an, das von Christoph Glocker, Professor am Institut für mechanische Systeme der ETH Zürich, geleitet wird. Das Team hat für den Citius-Bob das Fahrwerk entwickelt und mit Unterstützung der Industriepartner hergestellt.

Als ETH Ingenieur in der Pilotenschule

Für Pascal Arnold, Doktorand bei Glocker, bedeutete das Projekt, wie für viele Beteiligte, ein arbeitsintensives Jahr, aber auch eine einmalige, abenteurerreiche und breitgefächerte Tätigkeit. Denn bis zum offiziellen Projektstart im Herbst 2007, hatte das Team Kinematik I keine Ahnung vom Bob-Bauen. Sie waren deshalb bei der Konstruktion auf die enge Zusammenarbeit mit Christian Reich angewiesen. Selbst scheuten sie keine Mühe, um möglichst viel Feingefühl und Erfahrung einzubringen. Dies ging so weit, dass Arnold für eine Woche in St. Moritz eine Pilotenschule besuchte, um das Bobfahren zu erlernen und zu spüren, was wichtig ist. Alle anderen Bob-Entwickler versuchten über eine sogenannte Taxifahrt in einem Bob eine Vorstellung davon zu erhalten, was es bedeutet, einen Bob zu fahren, wie rasend schnell sich der Bob im Eiskanal bewegt und welche immensen Kräfte wirken. In Kurven, wie der berühmten Horseshoe-Kurve in St. Moritz, wirkt auf die Fahrer die bis zu sechsfache Erdbeschleunigung. Das entspricht etwa einer Fahrt durch ein kurvenreiches Parkhaus mit 100 km/h.

Ziel: Ein sportlicherer Schlitten

Ein erster wichtiger Schritt in der Fahrgestell-Entwicklung waren für das Team Testfahrten mit einem bereits vorhandenen Bob, die Christian Reich im Februar 2008 in St. Moritz fuhr. Die Wissenschaftler statteten im Vorfeld den Bob mit einer eigens zusammengestellten transportablen Messelektronik aus, welche die auf den Bob wirkenden Kräfte und Beanspruchungen für das Team sichtbar machte. Die Messvorrichtung, die den Beanspruchungen standhalten musste, zeichnete auf, welche Kräfte wo auf das Fahrwerk wirken, was für Vibrationen auftreten, wie der Federweg an verschiedenen Stellen im Bob ist und welche Steifigkeit das Fahrwerk besitzt. Bei der Datenanalyse fand das Team prompt Details, die verbessert werden mussten, um die Schlitten sportlicher zu machen. Das war erklärtes Ziel von Arnold.

Das Optimierungskonzept für das Fahrgestell beschäftigte das Team fast ein Jahr. Jedes Teil des Fahrgestells wurde neu überdacht und konstruiert. Ein enges Reglement bot dabei nur wenig Spielraum. «In diesem Zusammenhang war es absolut wichtig, nicht nur am Schreibtisch Entwürfe herzustellen, sondern auch selbst zu schrauben», sagt Arnold. Nur so könne man sehen, worauf es ankommt.

Aus tausend Teilen ein Fahrgestell fertigen

Für das Team zeigte sich bei der Konstruktion schnell, dass zwischen den am Computer entworfenen Konstruktionsplänen und der Umsetzung Welten lagen. Angefangen bei der sinnvollsten Arbeitsreihenfolge über die Herstellungstechnik bis hin zur Materialsuche. Die Gesamtkonstruktion lag bei der ETH Zürich, namentlich bei Pascal Arnold und seinem Kollegen Martin Elsener von der Werkstatt des Departements Materialwissenschaft. Von den rund 1000 Spezialteilen des Fahrgestells wurden 200 Konstruktionsteile an der ETH Zürich, mit dem CAD, entwickelt. Die Firma V-Zug fertigte die Grossbauteile, Schörling kümmerte sich um die Kleinteile und die Lenkung, und Promtec Estech um die Schweissarbeiten.

Anfang Februar war es soweit: Citius musste seine erste Testfahrt im Eiskanal von Igls bestehen (siehe ETH Life vom 19.12.2008). Dafür wurde er mit der selben Messelektronik ausgestattet wie der Testschlitten ein Jahr zuvor. Beide mussten nun gegeneinander Konkurrenz fahren. Die Ergebnisse waren, wie schon jene im Windkanal (siehe ETH Life vom 16.12.2008), mehr als zufriedenstellend. Welche Auswirkungen die Verbesserungen im Endeffekt auf ein richtiges Rennen haben, ob sie den Schlitten wirklich schneller machen, darüber kann nur spekuliert werden. Glocker sagt: «Die Zeit, die die Verbesserung des Fahrwerks bringt, ist sehr indirekt.» Denn ein besseres Fahrwerk mache ein Gefährt in erster Linie nur besser lenkbar, dadurch sei es wahrscheinlich, dass die Fahrer weniger Fehler machen und darüber Zeit gewinnen.

In den nächsten Wochen sind Testfahrten für die Piloten angesagt, während oder nach denen die Piloten noch Verbesserungsvorschläge machen können. Bisherige Testläufe haben aber gezeigt, dass die Athleten im Grossen und Ganzen sehr zufrieden mit Citius-Bob sind. Gewöhnungsbedürftig sei die Lenkung und die soll sich von der Konstruktion her auch deutlich von herkömmlichen unterscheiden – deshalb ist ihre Mechanik auch abgedeckt und musste, um einen Blick darauf werfen zu können, erst durch den schraubenden Pascal Arnold enthüllt werden.

 
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