Veröffentlicht: 23.02.09
5 Jahre Stipendium «Society in Science»

Reiche Ernte

«Society in Science» – der Name ist Programm: Das an der ETH domizilierte Stipendium fördert junge Spitzenforschende an der Nahtstelle von Natur- und Sozialwissenschaften. In seinen ersten fünf Jahren hat es eine eindrückliche Dynamik entfaltet. Möglich gemacht hat es Branco Weiss, Unternehmer und grosser ETH-Mäzen. Ein zweitägiges Treffen von Fellows und Alumni am Collegium Helveticum gab Gelegenheit, das Erreichte zu sichten.

Norbert Staub
Geballte internationale Forscherkompetenz: Aktuelle und ehemalige «Branco-Weiss»-Stipendiaten mit Gründer Branco Weiss sowie Betreuern am 5-Jahres-Anlass im Collegium Helveticum. (Bild: Norbert Staub/ETH Zürich)
Geballte internationale Forscherkompetenz: Aktuelle und ehemalige «Branco-Weiss»-Stipendiaten mit Gründer Branco Weiss sowie Betreuern am 5-Jahres-Anlass im Collegium Helveticum. (Bild: Norbert Staub/ETH Zürich) (Grossbild)

«Wissenschaftliche Qualität, dreimal unterstrichen» – dies das sine qua non, welches Helga Nowotny, die damalige Leiterin des Collegium Helveticum, bei der Ankündigung des neuen Branco-Weiss-Fellowships im Jahr 2002 ausgesprochen hatte. Abgesehen davon ist bei diesem grosszügigen, weltweit ausgeschriebenen und in der Regel über fünf Jahre laufenden Stipendium vieles anders als bei anderen Förderinstrumenten: Mäzen Branco Weiss wünschte sich «konstruktive Rebellen» mit dem Talent und dem Bedürfnis, Naturwissenschaft, Kultur und Gesellschaft zu integrieren. Dies ist übrigens nur möglich, weil die Mittel vollumfänglich von Branco Weiss stammen – der sich übrigens engagiert mit den Beiträgen «seiner» Fellows auseinandersetzt.

Zeichen gesetzt

Das Programm will mithelfen, die Kluft zwischen der Gesellschaft und jenen, die in Laborversuchen die Grenzen des Wissens laufend verschieben, zu überbrücken. «Die technisch-wissenschaftliche Zivilisation ist zur globalen Lebens- und Kulturform geworden», meint Olaf Kübler, Programm-Direktor und ehemaliger ETH-Präsident. Technik und Wissenschaft einerseits, Gesellschaft und Kultur andererseits seien einander in gemeinsamer Evolution verbunden. «Society in Science will repräsentative Beispiele solcher Ko-Evolution identifizieren, sie aufklären und verstehen und in besonderen Fällen auch implementieren.» Die Stipendiaten hätten die Chance, sich über fünf Jahre ihrer selbstgestellten Aufgabe zu widmen und sich die dafür notwendigen Denk- und Verfahrensweisen der wissenschaftlichen Kulturen anzueignen und einzusetzen.

Wie hat sich die Idee nun entwickelt? Zum einen hat «Society in Science» institutionelle Zeichen gesetzt. Für Organisationen, die sich den übergreifenden «Advanced Studies» widmen, ist die von den Gründern ins Feld geführte Idee eine Selbstverständlichkeit geworden. So führt heute auch eine renommierte Forschungseinrichtung wie die European Molecular Biology Organization EMBO ein «Science and Society»-Programm.

Licht ins Dickicht der Waldnutzung

Andererseits ist, wie an der Leistungsschau im Collegium verfolgt werden konnte, eine beeindruckende Vielfalt von Projekten entstanden, erarbeitet von insgesamt rund 20 talentierten Forschenden aus Europa, Amerika und Asien. Zum Beispiel von der indischen Ökologin Harini Nagendra. Sie gehörte zum ersten Trio von Forschenden, das ein «Society in Science»-Stipendium erhielt.

Sie nutzte es, um die zahlreichen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und ideologischen Faktoren zu studieren, die in den dicht bevölkerten Landschaften Südasiens für den Erhalt, das Verschwinden oder das Aufforsten von Wäldern verantwortlich sind. Sie leuchtete diese komplexen Prozesse sowohl mittels Grossraumstudien (u.a. mit Hilfe von Geoinformationssystemen) als auch spezifischen Fallstudien aus – um ein Bündel von Kriterien zu identifizieren, die einem erfolgreichen Waldmanagement zu Grunde liegen. So hat sich herausgestellt, dass der Einbezug der lokalen Bevölkerung in die Entscheide und die Verwaltung die Qualität und Nachhaltigkeit der Waldnutzung langfristig fördert.

Von der genetischen Schere zur Individuation

Ein anderer Stipendiat, der aus Frankreich stammende Bruno Reversade, setzt sich seit Jahren grundlegend mit dem Phänomen Mehrlingsgeburten auseinander. Der junge Forscher hat bereits Entscheidendes zur genetischen Aufklärung des Zwillingsphänomens beim Menschen beigetragen. Den Umstand, dass es sich bei Mehrlingen und beim umstrittenen reproduktiven Klonen genetisch um Dasselbe handelt, hat er auch in einen sozialwissenschaftlichen Kontext gesetzt.

Reversades Kardinalfrage lautet: Was macht monoklonale Zwillinge dennoch je zu einzigartigen Wesen? Er scheint auf einem viel versprechenden Weg zur Klärung dieses Rätsels zu sein: Es gelang ihm nämlich, auf dem humanen Genom eine Stelle zu identifizieren, die für die Entstehung von Zwillingen verantwortlich sein könnte – sozusagen die genetische Schere. Zu untersuchen, wie sich nun die Individuation herausbildet, wird Ressourcen beanspruchen, die über das Branco-Weiss-Stipendium hinaus gehen. Bruno Reversade hat inzwischen den ersten der 2006 eingerichteten A*-Star Investigatorship Awards der Agency for Science, Technology and Research in Singapur erhalten.

Epidemien und der Faktor Mensch

Marcel Salathé, ein Schweizer Biologe, der an der ETH doktoriert hat, ist seit 2008 Branco-Weiss-Stipendiat. Er erforscht derzeit in Stanford die vielschichtigen Interdependenzen von Individuen und Kollektiven einerseits sowie epidemischen Krankheiten andererseits. Beim Studium der Ausbreitung von Krankheiten wie SARS oder Masern hat die Forschung bisher den Faktor Mensch und seine kulturelle Bedingtheit vernachlässigt. So beziehen bisherige Infektionsmodelle menschliche Verhaltensmuster nur unzureichend ein; dasselbe gilt für die Entwicklung von Antibiotika-Resistenzen. Licht ins Dunkel bringen will Salathé etwa mit der Integration sozialer Netzwerktheorien in die genetische Forschung und mit einer eigenen Fallstudie, die soziale Dynamiken an einer Schule im kalifornischen San José erforscht.

Von der Forschung zur Kunst - und zurück

Ein spezieller «Society in Science»-Fellow ist die Engländerin Anne Osbourn. Ihr Anliegen ist es, anhand von sinnlichen Erfahrungen vor allem bei Schulkindern Verständnis, ja Bewunderung für die Natur und den wissenschaftlichen Zugang zu ihr zu wecken. Dabei geht es der ausgewiesenen Pflanzenbiologin keineswegs um eine naive Verklärung. Vielmehr sieht sich Anne Osbourn herausgefordert, auf die extreme Spezialisierung der Forschung zu reagieren, die letztlich droht, nur noch mit sich selbst zu kommunizieren. Herausgekommen ist dabei ein virtuoser Befreiungsschlag, der Kunst, Forschung und Pädagogik elegant verknüpft und in England, den USA und Italien in mittlerweile 75 Schulprojekten (SAW – Science, Art and Writing) Furore gemacht hat.

So bilden mikroskopische Bilder von Bodenbakterien bis zu Fraktalen Ausgangspunkte für spielerische Deutungen, die aber auch in seriöse Auseinandersetzungen mit den Phänomenen münden. Der unvoreingenommene Blick der Kinder führt mitunter zu überraschenden Rückkopplungen. Wie Anne Osbourn schilderte, gingen den Forschern aufgrund der Beschreibungen ihrer Bilder auch neue Aspekte auf, die ihnen bei der routiniert-professionellen Analyse entgangen waren.

Stolz auf die Qualität

«Ich blicke mit Society in Science auf fünf pionierhafte Jahre zurück», bilanziert Olaf Kübler. «Die Stipendiaten haben die gebotenen Chancen mutig genutzt und in spannende Projekte umgesetzt. Ich bin stolz auf ihre Qualität und auf die Lust und Fähigkeit dieser jungen Forscherinnen und Forscher, sich auf diese Herausforderung einzulassen.» Alle, auch der wissenschaftliche Beirat, hätten in dieser Pionierphase viel gelernt. Künftig werde es darum gehen, Society in Science weiter zu öffnen und dessen Anziehungskraft für hervorragende Fellows mit bemerkenswerten Themen noch zu steigern.

 
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