Veröffentlicht: 19.02.09
Ausstellung

Eine laute Annäherung an Stiller

Wie setzt man Literatur architektonisch um – und wie manifestiert sich Architektur in der Literatur? Diese Fragen standen an der Vernissage zum Werk «The Lost Space of Stiller» im Mittelpunkt. Der Architekt Markus Seifermann hat mit seiner Installation in der Haupthalle der ETH Zürich eine räumliche Annäherung an Max Frischs berühmten Roman «Stiller» gewagt.

Samuel Schläfli
Torsos und Fleischwölfe als Teil der Installation «The Lost Space of Stiller». (Bilder: S. Schläfli/ETH Zürich)
Torsos und Fleischwölfe als Teil der Installation «The Lost Space of Stiller». (Bilder: S. Schläfli/ETH Zürich) (Grossbild)

«Schulautor zu werden, ist die gefährlichste Form von Unsterblichkeit. Weil die Schule die Werke auf ihren pädagogischen Nutzen hin liest und wohl auch lesen muss, erscheinen sie in der Erinnerung als reine Belehrungs- und Erziehungsmittel», stellte Peter von Matt, Präsident der Max Frisch-Stiftung, gleich zu Beginn des Abends fest. Mit Werken wie «Andorra» oder «Biedermann und die Brandstifter» kämpfen sich bis heute Mittelschüler im gesamten deutschen Sprachraum mehr oder minder motiviert ab. Der tatsächliche Facettenreichtum des Autors kommt dabei selten zum Vorschein: Frisch, der Architekt, oder Frisch, der Architektur-Theoretiker zum Beispiel, bleibt den meisten verborgen.

Rasiertagebuch und Fleischwölfe

Max Frisch hatte von 1936 bis 1940 an der ETH Zürich Architektur studiert. In den anschliessenden 14 Jahren seiner «nebenberuflichen» Tätigkeit als Architekt entstanden zwar nur gerade vier Bauwerke. Trotzdem interessierte sich Frisch zeitlebens für Architektur und Raum – sei es im konkreten Bau oder imaginär in den Erzählungen seiner Geschichten. Kein Wunder also, steht Frischs Werk gerade bei Architekten nach wie vor hoch im Kurs. Der deutsche Architekt Markus Seifermann hat sich einhergehend mit Frischs Roman «Stiller» auseinandergesetzt. Am vergangenen Mittwoch stellte er seine Installation «The Lost Space of Stiller» vor, die vom Max Frisch-Archiv der ETH Zürich mitorganisiert wurde. In einer Art raumgreifenden Collage hat der junge Architekt in der grossen Eingangshalle des ETH-Hauptgebäudes eine «räumliche Annäherung» an Frischs Roman realisiert. In drei übergrossen Holz-Frachtcontainern, die sich um eine Wohnzimmer-ähnliche Szenerie mit gemütlicher Couch, Fernseher, Teppich und Kronleuchter gruppieren, hat Seifermann freie Assoziationen zum Roman «gebaut». In einem musealen Badezimmer im einen Container zum Beispiel, summen mehrere in den Raum gehängte Rasierapparate einen elektrisierenden, repetitiven Rhythmus. Gegenüber finden sich in einer Vitrine Glasschalen mit präparierten Barthaar-Landschaften – ein «Rasiertagebuch», wie man im Begleittext nachlesen kann. Aus einer anderen Ecke der Halle steigen aus mehreren Grammophontrichtern Gesprächsfetzen in die Höhe, während im dritten Container sechs Puppentorsos an Fleischerhaken über einem langen Tisch mit Fleischwölfen hängen. Fundobjekte, Film, Geräusche und Bilder verschwimmen in der Installation zu einem teils heiteren, teils beängstigenden Gesamtkunstwerk. Nur Texte sucht man hier vergeblich – der Architekt ist seiner Ausdrucksform treu geblieben.

Auf der Suche nach dem «magischen Moment»

Wer den Roman Frischs kennt und sich direkte Verweise auf den Inhalt erhofft, ist von der Installation wahrscheinlich enttäuscht. Seifermann geht es bei seinem Werk nicht um eine Visualisierung oder eine Nachstellung des Buches, wie er an der Vernissage erläuterte. Diese erste, vordergründige Ebene von Räumlichkeiten, wie das im Buch beschriebene Sanatorium oder die Gefängniszelle, hätten ihn nur bedingt interessiert, so der Architekt. Vielmehr habe er sich für die zweite Ebene interessiert, für die Räume, die sich zwischen den Menschen in Frischs Buch auftun – so zum Beispiel zwischen den Hauptprotagonisten Stiller und Julika. Die Technik der Collage und des «Readymade», wie sie hier verwendet wird, steht in direktem Bezug zu Frischs eigener literarischer Herangehensweise. Auch er hat in Erzählungen wie «Der Mensch erscheint im Holozän» Fremdtexte collageartig in die Geschichte seiner Protagonisten eingewoben.

«Was wichtig ist: das Unsagbare, das Weisse zwischen den Worten...», hatte Frisch einst geschrieben. Das gleiche gilt auch für die Installation Seifermanns. Nicht die einzelnen ausgestellten Gegenstände sollen im Vordergrund stehen, sondern das, was sich durch deren Kombination im Raum abspielt, erklärte Seifermann. Er nannte dies auch den «magischen Moment» – ein Glücksgefühl, das gute Architektur durch die Gestaltung von Räumen in Menschen provozieren könne. Diese zweite Ebene dürfte zwar sicherlich nicht für jeden Besucher der Installation auf anhin zugänglich sein. Doch lässt man sich ein wenig auf die Umgebung ein, so kriegt man doch unwillkürlich ein Gefühl für Stillers hoffnungslose Identitätssuche und seine Kämpfe mit der eigenen Person – sei es zum Beispiel nur durch die nervtötende, sich nach einem hereinbrechenden Gewitter anhörenden Endlosschlaufe einer Wachs-Schallplatte.

Zu wenig narrative Architektur

Wie stark Frischs Werk von der Architektur durchdrungen ist und wie sich erzählerische Formen auch in der Architektur zeigen, ergründeten Roman Bucheli, Literaturredakteur der Neuen Zürcher Zeitung, Professor Andreas Kilcher vom Lehrstuhl für Kultur– und Literaturwissenschaft der ETH Zürich und Seifermann an der Vernissage-Diskussion. Kilcher war überzeugt, dass die Übertragbarkeit von Charakteristiken der Literatur in die Architektur und umgekehrt begrenzt ist. Trotzdem erkennt auch er in einem Werk wie Daniel Libeskinds jüdischem Museum in Berlin eine narrative, literarische Komponente. Eine solche sei jedoch leider in der Architektur die Ausnahme, so Seifermann. Zu oft werde Architektur rein funktional definiert, da bleibe für Geschichten meist kein Platz mehr. Hinzu komme, dass der Literat in seiner Arbeit doch meist viel freier sei als der Architekt, der von vielen anderen in ein Bauprojekt Involvierten abhängig ist. Einig waren sich die Gesprächspartner darüber, dass Räume in Frischs Werk eine ganz besondere Rolle spielen und zum Teil auch die Innenwelten seiner Romancharaktere auf eindrucksvolle Weise wiedergeben. Wie stark sich «Frisch, der Architekt» aber tatsächlich in seinem Werk wiederfindet, konnte auch an diesem Abend nicht abschliessend geklärt werden.

The Lost Space Of Stiller

Eine räumliche Annäherung
19. Februar bis 13. März 2009
ETH Zürich, Rämistrasse 101, Haupthalle
Montag bis Freitag 7h – 21h, Samstag 7h – 16:30h
Weitere Informationen: www.mfa.ethz.ch/veranstaltungen.html

Weitere Veranstaltungen:
Markus Seifermann führt durch die Ausstellung; Dienstag, 3. März 2009, 
10h, 14h, 19h (18:15 Abendführung des Max Frisch-Archivs)
Vortrag von Daniel Rothenbühler: Wo ist Stiller? Zur Ironie des Erzählraums bei Max Frisch; Mittwoch 11. März 2009 18:15h, ETH Hauptgebäude E5

 
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