Veröffentlicht: 30.01.09
Organische Chemie

Algengift aus Muscheln nachgebaut

Chemiker der ETH Zürich haben einen Algengiftstoff im Labor nachbilden können, der sich in Muscheln ansammelt. Das wird helfen, eine Methode zu entwickeln, mit der das Gift in den Weichtieren nachgewiesen werden kann, ehe sie auf der Speisekarte des Menschen landen.

Peter Rüegg
Der Verzehr von Miesmuscheln birgt wegen angereicherten Algentoxinen akute Vergiftungsgefahr (Bild: wikipedia).
Der Verzehr von Miesmuscheln birgt wegen angereicherten Algentoxinen akute Vergiftungsgefahr (Bild: wikipedia). (Grossbild)

Magenverstimmungen nach dem Verzehr von Meeresfrüchten und Fischen kommen häufig vor. Als besonders «gefährlich» gelten Muscheln. Und dies nicht nur, weil sie allenfalls das Meer schon lange hinter sich gelassen haben, wenn sie auf dem Teller landen, sondern weil sich die Weichtiere von Plankton ernähren, den sie aus dem Wasser filtern. Einige der im Plankton enthaltenen Organismen, vor allem Algen, produzieren Giftstoffe, die sich in den Muscheln anreichern – und schliesslich denjenigen vergiften, der davon isst.

Unbekannte Substanz synthetisiert

Einem Team um Chemieprofessor Erick Carreira am Laboratorium für Organische Chemie ist es nun zum ersten Mal gelungen, einen Stoff aus der Klasse der Chlorosulpholipide vollständig im Labor zu synthetisieren und dessen Struktur zu bestätigen. Ihre Resultate haben die Forscher soeben in «Nature» publiziert.

Der künstlich hergestellte Stoff besitzt cytotoxische Eigenschaften und könnte für Lebensmittelvergiftungen durch Muscheln mitverantwortlich sein. Er kommt in der Natur nur in kleinsten Mengen als Bestandteil der Membran der Organismen vor, aus denen er isoliert wurde. Das untersuchte Chlorosulpholipid stammt vermutlich aus einem Dinoflagellaten, einer winzigen Algenart. Welche Rolle die Substanz als Membranbaustein spielt, ist jedoch nicht geklärt, gerade auch deshalb, weil für wissenschaftliche Untersuchungen keine ausreichenden Mengen vorhanden waren.

Chlorosulpholipide sind zwar bereits seit den 60er Jahren bekannt, der soeben künstlich synthetisierte Vertreter dieser Lipide wurde allerdings erst in den 90er Jahren aus der Miesmuschel Mytilus galloprovincialis, die in der Adria vorkommt, isoliert. Die Chemiker Christian Nilewski und Roger W. Geisser aus Carreiras Labor haben grundlegende Methodiken und Strategien zur Synthese verwandter Strukturen entwickelt.

Weg frei für toxikologische Studien

Dank ihren Synthesekünsten können die ETH-Forscher nun grössere Mengen des Stoffs herstellen. Dadurch eröffnen sich neue Möglichkeiten für biochemische, toxikologische und medizinische Studien. «Das synthetisierte Molekül hilft uns auch, Analysemethoden zu entwicklen, mit denen das Gift in den Muscheln nachgewiesen werden kann, bevor die Tiere an ein Restaurant verkauft werden», erklärt Carreira. Der Erfolg der ETH-Chemiker erleichtert den Lebensmitteltechnikern ihre Arbeit. So prüften sie bis anhin den Gehalt von Algentoxinen in Muscheln mithilfe von Mäusen. Trotz dieser Tests und der Faustregeln, dass in den Frühlings- und Sommermonaten keine Muscheln gegessen werden sollten, kommt es jährlich zu zahlreichen Vergiftungen. Insbesondere Muschelvergiftungen sind oft schwer, die Symptome reichen von kribbelnden Lippen bis hin zur Lähmung der Atemmuskulatur, was tödlich enden kann.

Viele offene Fragen

Die erste Synthese eines Vertreters der Chlorosulpholipide bietet nun die Möglichkeit, weitere Geheimnisse der «Muschel-Toxine» zu entschlüsseln. So ist beispielsweise wenig über die ökologische Funktion und das Gefährdungspotenzial dieser Substanzen bekannt. Dank der künstlichen Synthese werden diese Stoffe den Wissenschaftlern – und den Liebhabern von Meeresfrüchten – wohl bald schon weniger Bauchschmerzen bereiten.

Literaturhinweis

Nilewski C, Geisser RW, Carreira EM. Total synthesis of a chlorosulpholipid cytotoxin associated with seafood poisoning. Nature 457, 573 - 576 (29 Jan 2009), doi: 10.1038/nature07734

 
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