Veröffentlicht: 08.01.09
Pathogene Mikroorganismen und phänotypisches Rauschen

Aufklärung der Kampfzone

Das phänotypische Rauschen ist ein neues Konzept für die Biologie, das die Arbeitsteilung bei Krankheitserregern erklärt. ETH-Forscher haben nun eine neue Methode entwickelt, mit der sich Gene, welche die krankmachenden Eigenschaften tragen, leichter finden lassen.

Peter Rüegg
«Rauschende» Salmonellen im Mausdarm: Die Bakterien sind grün, die Zellkerne der Mauszellen blau; rot ist der Aktin-Bürstensaum des Dünndarms. (Bildrechte: B. Stecher/W.-D. Hardt / ETH Zürich)
«Rauschende» Salmonellen im Mausdarm: Die Bakterien sind grün, die Zellkerne der Mauszellen blau; rot ist der Aktin-Bürstensaum des Dünndarms. (Bildrechte: B. Stecher/W.-D. Hardt / ETH Zürich) (Grossbild)

ETH-Forscher um Martin Ackermann und Wolf-Dietrich Hardt haben vor kurzem ein aussergewöhnliches neues biologisches Konzept beschrieben: Arbeitsteilung durch phänotypische Rauschen. Dieses Konzept beruht darauf, dass sich bei Zellteilungen von Salmonellen zwei spezialisierte Gruppen bilden, die zwar genetisch einheitlich sind, jedoch ganz unterschiedliche Funktionen wahrnehmen. Diese Gruppen bilden sich, wenn sich bei einer Zellteilung die Proteine der Mutterzelle nicht gleichmässig, sondern zufällig auf die Tochterklone verteilen. Das bestimmt, wie sich diese verhalten.

Für die Salmonellen hat dieses phänotypische Rauschen einen grossen Vorteil. Der eine Teil der Erreger kann in Darmzellen eindringen, wo sie vom Immunsystem erkannt und vernichtet werden. Die anderen, denen die Eigenschaften der Eindringlinge fehlen, warten im Darmlumen, sozusagen im Hinterhalt, darauf, dass die Infektion der Darmzellen Löcher in die Darmflora schlägt, so dass sie sich selbst vermehren und sich festsetzen können.

Neue Methode findet rauschende Gene

Haben sich die Forscher in einer ersten Studie (vgl. ETH Life Bericht vom 21.08.08) vor allem auf ein Gen und seine Produkte konzentriert, so haben sie nun eine Methode entwickelt, mit der sie die Gene des ganzen Organismus überprüfen können. Damit sollen Gene gefunden werden, die besonders stark «rauschen» und für die Pathogenität des Erregers verantwortlich sind. Angeführt wurde die neue Studie von der Doktorandin Nikki Freed.

Mit der neuen Methode, die soeben im Online-Journal PLoS Genetics veröffentlicht wurde, ist es den Wissenschaftlern gelungen, bei Salmonellen zwei Gene herauszufiltern, die den Aufbau der Flagellen der Salmonelle kontrollieren und damit deren Pathogenität steuern. Die Methode ermöglicht zudem, dass auch weitere pro- oder eukarytische Systeme auf Gene, die ein Rauschen verursachen, überprüft werden können.

Coli-Bakterien im Visier

Die Forscher wollen deshalb ihre Untersuchungen auf andere Bakterien ausdehnen, um herauszufinden, ob das phänotypische Rauschen weiter verbreitet ist als angenommen. So soll nun bei Escherichia coli abgeklärt werden, ob auch dieses Bakterium von Arbeitsteilung durch phänotypische Rauschen Gebrauch macht. Damit erhoffen sich die Wissenschaftler mehr Klarheit darüber, ob sich das phänotypische Rauschen als allgemeines Prinzip in biologischen Systemen durchgesetzt hat.

Martin Ackermann kann sich zudem vorstellen, dass ihre Erkenntnisse die Theorie über die Entstehung von mehrzelligen Lebewesen beeinflussen könnte. Bisher war die Lehrmeinung, dass sich zuerst identische Zellen mit gleicher Funktion zusammenlagerten und sich die Spezialfunktionen – also die «Organe» des Mehrzellers – im Verbund später entwickelten. Das phänotypische Rauschen könnte diese Theorie auf den Kopf stellen. Zuerst könnten spezialisierte Zellen entstehen, die sich zu einem heterogenen Verband mit verschiedenen Funktionen zusammenlagern und eine Vorstufe eines mehrzelligen Lebewesen darstellen könnten. «Würde es uns gelingen, diese Hypothese zu unterstützen, könnten wir einen grossen Schritt bei der Erklärung der Entstehung von mehrzelligen Lebewesen vorwärts kommen», findet der ETH-Professor.

Literaturhinweis:

Freed NE, Silander OK, Stecher B, Böhm A, Hardt W, et al. 2008 A Simple Screen to Identify Promoters Conferring High Levels of Phenotypic Noise. PLoS Genetics 4(12): e1000307 doi:10.1371/journal.pgen.1000307

 
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