Veröffentlicht: 19.12.08
Dossier Citius

Premiere im Eiskanal

Nach den Tests im Windkanal kam nun der Eiskanal, ein grosser Moment für die beteiligten Entwickler und Bauer des Bobs Citius. Die ersten Ergebnisse waren mehr als erleichternd.

Simone Ulmer
Die ersten Sekunden von Citius im Eiskanal. (Bild: Pablo Faccinetto)
Die ersten Sekunden von Citius im Eiskanal. (Bild: Pablo Faccinetto) (Grossbild)

Am Montagmittag um vierzehn Uhr war es so weit: Der Bob Cititus, ein Gemeinschaftsprojekt des Schweizer Bobverbands, der ETH Zürich und der Industrie, hatte seine erste Fahrt im Eiskanal. Emsiges Treiben herrschte am Start der 1233 Meter langen Bobbahn von Igls, einem Vorort von Innsbruck in Österreich. Dabei machten es die Mechaniker, Studenten und Doktoranden, aber auch der Pilot der Testfahrten, Christian Reich, spannend.

Am Start wartete bereits der 2er-Bob von der Vorjahressaison. Von Citius war noch nichts zu sehen. Erst kurz vor Startbeginn wird das „Baby“ herangefahren und bleibt in eine Plane gehüllt den neugierigen Blicken der Umstehenden verborgen. Hie und da wird ein Zipfel der Plane angehoben um ein Kabel zu befestigen oder etwas heraus zu holen. Kurz vor zwei Uhr wird das Geheimnis endgültig gelüftet: Citius, mit seiner knallgelben, windschlüpfrigen Aussenhülle, ist auf seiner Innenseite mit grauem Klebeband verpflastert, das die Kabel befestigt, die den Bob durchziehen. Die Kabel führen zu kleinen Kästchen, die die Daten der Testfahrten speichern; Pilot Christian Reich hält sich noch im Hintergrund.

Rund um die Uhr im Dienste des Bobs

Pascal Arnold, Doktorand am Institut für Mechanische Systeme, und Benjamin Zoller, Doktorand am Institut für Fluiddynamik der ETH Zürich, eilen mit dem Laptop hin und her und überprüfen nochmals den mit der Messsensorik ausgestatteten Bob und befestigen auf dem Helm des Piloten, der noch auf einem Tisch liegt, eine Kamera. Sie soll den Fahrverlauf aufzeichnen. Währenddessen bereitet Martin Elsener von der Werkstatt D-MATL der ETH Zürich zusammen mit anderen Helfern alles weitere Notwendige für den Start vor. Sie alle hatten den Bob in den vergangenen zwei Wochen unter Hochdruck in der ETH Hönggerberg für den Eiskanal vorbereitet. Oft über sechzehn Stunden täglich, einschliesslich am Wochenende, präparierten sie den Bob mit Messsensoren. Diese seien an jenen Stellen, an denen sich kritische Verbindungen befinden, platziert worden, erklärt Christoph Glocker, Professor am Institut für mechanische Systeme der ETH Zürich und Leiter des Teams Kinematik I vom Projekt Citius. Beispielsweise wurden Sensoren an den Gelenken der Kufen installiert, um deren Bewegungen nachzuverfolgen. Daneben wurden Kraftsensoren in besonders beanspruchten Bereichen angebracht, um die auftretenden Kräfte zu messen. Mit den Details der Testanlagen sind die Beteiligten jedoch sehr zurückhaltend, da man der Konkurrenz nicht zu viel preisgeben möchte.

In den Probeläufen soll vor allem die Fahrdynamik wie Beschleunigung und Rotation erfasst werden. Ausserdem auch das aerodynamische Verhalten. Hierfür bedienen sich die Wissenschaftler und Techniker einer relativ einfachen Methode, in dem sie Wollfäden auf dem Bob aufkleben und deren Verhalten während des Rennens filmen und später analysieren.

Sechzehn Jahre Renn-Erfahrung

Als alles bereit ist, taucht auch Christian Reich auf. Er ist ehemaliger Bobfahrer des Schweizer Bobverbands und baut heute Bobs. Er war massgeblich am Bau von Citius beteiligt. In seiner Kariere startete er acht Jahre als Bremser und acht Jahre als Pilot. Ihm eilt der Ruf voraus, dass er enorm präzise, gleichförmig und „saumässig gut“ fährt. „Die Datenkurven der verschiedenen Testfahrten mit dem alten Bob, die im vergangenen Jahr in St. Moritz durchgeführt wurden, konnte man praktisch deckungsgleich übereinander legen“, sagt Glocker. Reich zeigt sich auch entsprechend gelassen: „Wenn man so viele Jahre gefahren ist, kann man das einfach, und dann macht einem so etwas nicht mehr nervös.“ Er schätzt, dass er die Bahn in Innsbruck bereits 200 bis 300 Mal gefahren ist.

Das Team der ETH wirkt hingegen nicht so gelassen, ist es doch das erste Mal, dass sie einen Bob bauen. Sie sind konzentriert bei der Sache, wenig gesprächig und lassen sich durch nichts ablenken. Dann verkündet eine Stimme durch den Lautsprecher grünes Licht für den Start. Zuerst wird der Bob vom Vorjahr mit dem Piloten Gregor Baumann vom Schweizer Bobverband starten. Er dient als Referenz-Bob und hat das Prozedere, das Citius nun durchläuft, bereits in St. Moritz durchgemacht.

Bungee-Seil als Schwunggeber

Um vergleichbare Startbedingungen zu haben, wird nicht Anlauf genommen, stattdessen setzt sich das Team des Referenz-Bobs ins Gefährt und wartet darauf, dass Martin Elsener von der ETH und Thomas Landolt vom Bobverband ihnen durch ein gespanntes Bungee-Seil Anschub gibt. Dann ist Reich mit Citius an der Reihe: Das Bungee-Seil wird durch Zurückziehen des Bobs gespannt. Als es losgelassen wird, setzt sich Cititus in Bewegung. Gebannt schauen alle auf die Anzeigetafel, auf der die Zeitmessungen zu sehen sind. Die Startzeit ist direkt besser als die des Referenz-Bobs. Aber noch hat der Bob keine sonderliche Beanspruchung und keine nennenswerte Beschleunigung oder Belastung in einer der Kurven erfahren. Er verschwindet rasch aus dem Blickfeld des Startbereichs und man hört nur noch das sich entfernende typische dumpf-donnernde Geräusch von Kufen auf Eis. Mit gespanntem Blick verfolgen alle die Werte auf der Anzeigetafel. Cititus fährt schneller als sein Vorgänger! Aber kein Freudengebrüll, es scheint, als seien alle nur erleichtert. „Er ist runter gekommen“, bemerkt Christoph Glocker lachend, halb im Scherz, halb im Ernst.

Bis zu diesem Zeitpunkt gingen die Forscher, Entwickler und Bauer zwar davon aus, dass sie einen perfekten Bob gebaut haben, aber keiner konnte mit Gewissheit sagen, wie sich Citius im Eiskanal verhalten wird.

Nüchtern und gelassen wirkt auch Christian Reich, als er mit dem LKW, der Bobs und Mannschaft transportiert, wieder oben ankommt. Auch Mitarbeiter des Projekts kommen mit dem LKW wieder hoch. Sie haben im Ziel bereits anhand von Reichs Bericht ein Fahrprotokoll verfasst, das nun kurz mit dem Team am Start diskutiert wird. Eine gewisse Zufriedenheit kommt durch, als Reich nur trocken anmerkt, dass der Bob sich gut fahren liesse und sein Fahrgefühl nicht von den Bobs, die er bisher gefahren habe, abweiche. Fast etwas überrascht bemerkt er beiläufig, dass das Fahrverhalten des Chassis ungewohnt ruhig sei. Nur eins gebe es zu bemängeln: „Die Lenkung ist zu wenig aggressiv und direkt.“ Dieses Problem könne aber ohne viel Aufwand behoben werden.

Nüchtern bis zum Schluss

Währenddessen zieht Pascal Arnold die von den Sensoren aufgezeichneten Daten auf seinen Laptop herunter. Nach insgesamt drei Durchläufen, in denen einmal – nach einem Kufen-Wechsel – der Referenz-Bob schneller war, zeigen sich zufriedene Gesichter. In den darauffolgenden zwei Tagen gibt es je sechs weitere Läufe. Die Daten werden in Zürich sorgfältig analysiert werden. Erst dann wird man eine Vorstellung davon haben, was von Citius erwartet werden kann. Walter Caseri, Professor am Institut für Polymere, und Christoph Glocker, die das Projekt wissenschaftlich begleiten, zeigen sich vorerst zufrieden: “Das sieht alles ganz vernünftig aus.“ Vielleicht durch die harte Arbeit erschöpft, zeigt jedoch niemand grosse Emotionen über den ersten Erfolg. Aber sichtlich entspannter wurde rasch zusammengepackt, denn nach zwei Stunden auf der Eisbahn hatten einige kalte Füsse bekommen.